Arbeitslosigkeit Arbeitslose Arbeitslosen-Monitor
/ 1. September 2021

Arbeitslosigkeit ist ein gesamtgesellschaftliches Problem. Die Ursache dafür, dass Menschen arbeitslos werden und bleiben, liegt meistens bei den Betrieben und der gesellschaftlichen Stigmatisierung, die mit Arbeitslosigkeit einhergeht. Fast alle arbeitslosen Menschen (95 Prozent) suchen aktiv nach Beschäftigung. Obwohl 83 Prozent der Arbeitslosen durchschnittlich sechs Bewerbungen im Monat versenden, werden sie nur einmal im Monat zu einem Bewerbungsgesprächen eingeladen, bestimmte Gruppen noch viel seltener.

Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue SORA-Studie "Arbeitslosen-Monitor" im Auftrag des sozialliberalen Momentum Instituts, für die 1.844 Menschen im Alter von 15 bis 64 Jahren im Zeitraum Mai bis Juli 2021 befragt wurden. 1.215 Interviewpartner:innen waren zum Befragungszeitpunkt arbeitslos, davon 332 langzeitarbeitslos. Es handelt sich um die erste repräsentative Studie zur Situation von Arbeitslosen dieser Größenordnung in Österreich seit Beginn der Corona-Pandemie.

Arbeitslosengeld versagt bei Existenzsicherung

Arbeitslose Menschen in Österreich leben in prekären ökonomischen Verhältnissen. Seit sie ihren Job verloren haben, müssen 97 Prozent der Befragten mit unter 1.400 Euro netto im Monat auskommen. Rund neun von zehn Arbeitslosen erhalten nun weniger als 1.200 Euro monatlich. Für viele bedeutet das ein Leben an der Armutsgrenze, die für einen Ein-Personen-Haushalt bei 1.328 Euro liegt. Berücksichtigt man die unterschiedlichen Haushaltsformen, leben zwischen 51 Prozent und 66 Prozent aller Arbeitslosen in einem armutsgefährdeten Haushalt.

Die hohe Gefahr, aufgrund von Arbeitslosigkeit in Armut abzurutschen, liegt einerseits am international vergleichsweise niedrigen Arbeitslosengeld in Österreich, das als Grundbetrag nur 55 Prozent des vorherigen Nettoeinkommens ausbezahlt. Andererseits verlieren Menschen mit niedrigeren Arbeitseinkommen häufiger ihren Job. Finanziell besonders hart trifft es daher jene Menschen, die bereits vor ihrer Arbeitslosigkeit weniger verdient hatten: 63 Prozent der befragten Arbeitslosen verdienten im letzten Job weniger als 1.400 Euro netto pro Monat – die meisten, weil sie keinen Vollzeit-Job hatten.

In vielen Fällen versagt das Arbeitslosengeld in seiner Funktion der Existenzsicherung. Drei von vier Arbeitslosen müssen Notmaßnahmen treffen: Mehr als die Hälfte aller Arbeitslosen (58 Prozent) braucht zusätzlich zum Arbeitslosengeld eigene Ersparnisse auf – sofern vorhanden. Andere sind wiederum auf Gelegenheitsarbeiten angewiesen. Ein Viertel aller Arbeitslosen muss Freund:innen oder Familienmitglieder um Geld bitten.

Armut im Sinne finanzieller Deprivation liegt unter Arbeitslosen 3,5-mal so hoch wie unter abhängig Beschäftigten, d. h. 47 Prozent können sich vier von sieben Grundbedürfnisse nicht mehr leisten. Unerwartete Ausgaben sind für 75 Prozent der befragten Arbeitslosen existenzbedrohend. Vier von zehn Arbeitslosen können sich bei Bedarf keine neue Kleidung kaufen. Zwischen einem Viertel und einem Fünftel aller Arbeitslosen kann es sich nicht leisten, mehrmals die Woche Fleisch, Fisch oder eine entsprechende vegetarische Speise zu essen oder die gesamte Wohnung warm zu halten. 18 Prozent glauben nicht, dass sie die nächsten sechs Monate die Miete bezahlen werden können.

3 von 4 Arbeitslose haben Arbeitslosigkeit nicht gewählt

Arbeitslose sind an ihrer Situation nicht selbst schuld: Von 100 Arbeitslosen wurden nur 4 auf eigenen Wunsch im Zuge einer einvernehmlichen Kündigung arbeitslos. Nur 8 haben selbst gekündigt oder ihre selbständige Tätigkeit aufgegeben. Drei von vier Arbeitslosen wurden gekündigt oder aufgrund betrieblicher Umstände arbeitslos, auf die sie selbst keinerlei Einfluss haben.

Arbeitslose, die von sich aus gekündigt haben, sind zumeist beruflich und finanziell bessergestellt. Dies zeigt sich etwa am engen Zusammenhang zwischen den Gründen für die Arbeitslosigkeit und der höchsten Ausbildung: Mehr als 80 Prozent aller Betroffenen mit maximal Lehrabschluss wurden von ihrem Betrieb gekündigt, weniger als 10 Prozent haben von sich aus den Job aufgegeben. Bei arbeitslosen Akademiker:innen hat hingegen mehr als die Hälfte entweder selbst gekündigt oder nennt andere Gründe (etwa dass sie nach Ende ihrer Ausbildung keinen Job gefunden hätten). Diese Unterschiede spiegeln sich auch zwischen den Erwerbsklassen: 42 Prozent aller ehemaligen Beschäftigten in einer Managementposition haben selbst gekündigt, während z. B. 84 Prozent aller Produktionsarbeiter:innen und 88 Prozent aller Dienstleistungsarbeiter:innen von ihrem Betrieb gekündigt wurden.

Die Risiken für Arbeitslosigkeit sind ungleich verteilt. Zwar glauben 97 Prozent der Menschen in Österreich, dass Arbeitslosigkeit jede:n jederzeit treffen kann. Großteils betroffen sind jedoch vor allem Arbeiterinnen und Arbeiter in der Produktion oder Dienstleistung, oft in Berufen, die gesellschaftlich wenig angesehen und unterdurchschnittlich bezahlt sind. Die Mehrheit der Arbeitslosen (70 Prozent) ging zuvor einem Beruf mit niedrigerem sozioökonomischen Status nach, der zu 60 Prozent auch gesellschaftlich wenig angesehen ist.

Arbeitslose suchen aktiv nach Arbeit – und werden kaum zu Bewerbungsgesprächen eingeladen

Fast alle (95 Prozent) arbeitslosen Menschen suchen aktiv nach Beschäftigung. Sie wenden dafür unterschiedliche Strategien an. Zu den häufigsten Suchstrategien zählen die Recherche im Internet (72 Prozent) und/oder in Zeitungen (35 Prozent) sowie Vermittlungsvorschläge des AMS (65 Prozent). 83 Prozent aller Arbeitslosen haben sich in den letzten vier Wochen für einen neuen Job beworben, diese verschickten im Schnitt sogar sechs Bewerbungen. Zu Bewerbungsgesprächen eingeladen werden sie durchschnittlich jedoch nur einmal pro Monat. Auf sechs Bewerbungen kommt also nur eine Einladung.

Signifikant geringer sind die Chancen auf eine Bewerbungseinladung für Frauen, ältere Arbeitslose, Arbeitslose mit maximal Lehrabschluss. Auch die Dauer der Arbeitslosigkeit spielt eine Rolle: Bereits nach sechs Monaten müssen Arbeitslose im Schnitt 14 Bewerbungen versenden, um eine Einladung zu erhalten. Obwohl sich Langzeitarbeitslose genauso häufig bewerben, werden sie noch viel seltener zu Bewerbungsgesprächen eingeladen. Das spiegelt sich auch in ihrer Selbstwahrnehmung wider: 8 von 10 Langzeitarbeitslosen schätzen ihre eigenen Einflussmöglichkeiten darauf, einen neuen Job zu finden, als gering ein.

Stigmatisierung von Arbeitslosen

Arbeitslosigkeit ist mit gesellschaftlichen Vorurteilen besetzt, die mit der realen Situation von arbeitslosen Menschen kaum zu tun haben. Beschäftigte unterschätzen die Anstrengungen von Arbeitslosen, einen Job zu finden, enorm, überschätzen aber deren finanzielle Situation in der Arbeitslosigkeit deutlich.

Der Status, den die Gesellschaft Arbeitslosen zuschreibt, spiegelt sich auch in der Selbstwahrnehmung von arbeitslosen Menschen wider. Besonders gravierend ist der Verlust von Sinn und Nützlichkeit in der Arbeitslosigkeit. 6 von 10 Arbeitslosen haben das Gefühl, sie seien kein wertvoller Teil der Gesellschaft mehr. Dies zeigt, wie stark das Selbstwertgefühl von Menschen heutzutage an Erwerbsarbeit geknüpft ist. Unter Arbeitslosen sinkt der Selbstwert, gleichzeitig steigt das Gefühl der Scham und Exklusion. Knapp 60 Prozent aller Arbeitslosen schämen sich für ihre Arbeitslosigkeit und versuchen zu verheimlichen, dass sie arbeitslos sind.

Wie Arbeitslosigkeit Alltag und Gesundheit beeinflusst

Durch das niedrige Arbeitslosengeld werden 80 Prozent der Arbeitslosen in ihrem Lebensalltag stark eingeschränkt („die Dinge tun, die ich will“). Die Hälfte kann aufgrund des Wegfalls ihres Einkommens soziale Kontakte nicht mehr so häufig pflegen, wie sie es eigentlich gerne möchte. Die Situation verschärft sich mit der Dauer der Arbeitslosigkeit: Während 59 Prozent aller Beschäftigten sagen, ihr Einkommen erlaube es ihnen, Dinge zu tun, die sie wollen, sind es unter Langzeitarbeitslosen nur noch 8 Prozent. 6 von 10 Langzeitarbeitslosen können aufgrund von Armutsgefährdung soziale Kontakte kaum mehr pflegen.

Mehr als jede:r vierte Arbeitslose hat mindestens ein psychosomatisches Symptom. Besonders belastet sind Langzeitarbeitslose: 38 Prozent leiden unter depressiven Gedanken, 31 Prozent unter Nervosität und Ängstlichkeit, 28 Prozent unter unkontrollierbaren Sorgen und 27 Prozent unter Einschlafproblemen. Fast die Hälfte (46 Prozent) aller Langzeitarbeitslosen leidet unter mindestens einem Symptom, mehr als jede:r zehnte sogar unter allen vier.

Die zunehmende Kluft zwischen Arbeitslosen und jenen, die Arbeit haben, zeigt sich auch darin, wie schlecht sich arbeitslose Menschen von der Politik vertreten fühlen: Sieben von zehn Arbeitslosen fühlen sich von der Politik als Menschen zweiter Klasse behandelt. Nur drei von zehn arbeitslosen Menschen sehen sich im österreichischen Parlament gut vertreten.

Die Ökonom:innen des Momentum Institut empfehlen folgende Maßnahmen zum Thema Arbeitslosigkeit:

  • Erhöhung des Arbeitslosengelds auf 70 Prozent Nettoersatzrate zur Armutsbekämpfung.
  • Existenzsichernde Löhne: Niedriglöhne und hohe Teilzeitquoten führen auch zu niedrigen Sozialleistungen. Ein Mindestlohn von 1.800 Euro für Vollzeit-Arbeit ist empfehlenswert. Davon würden vor allem Frauen profitieren.
  • Öffentliche Beschäftigungsprogramme zur Bekämpfung von Langzeitarbeitslosigkeit. Beschäftigungsprogramme sind eine effektive Möglichkeit, Langzeitarbeitslosigkeit zu bekämpfen, die sich sonst zu verfestigen droht – mit allen negativen Auswirkungen für lange arbeitslose Menschen. Der Modellversuch Arbeitsplatzgarantie Marienthal des AMS sollte ausgeweitet werden.

 

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