Arbeitszeit_vs_Produktivitaet
/ 4. November 2019

Der technologische Fortschritt hat großen Einfluss auf die Arbeitswelt. Aufgaben, die heute in einem Augenblick erledigt sind, haben vor ein paar Jahrzehnten viel mehr Zeit in Anspruch genommen. Ein E-Mail ist deutlicher schneller am Zielort als ein Brief oder ein Paket mit Akten. Moderne Produktionsmaschinen nehmen Menschen schwere und gefährliche Arbeiten ab, die sie schneller und effizienter erledigen können. Diese Beispiele illustrieren, warum die Produktivität in den Betrieben gestiegen ist. Pro Stunde wird mehr geleistet, die Beschäftigten werden immer produktiver.

Für die Produktion einer bestimmten Menge von Gütern wird dadurch im Schnitt weniger Arbeitszeit benötigt, die gleiche Arbeit ist schneller erledigt. Das schafft mehr Wohlstand. Die offene Frage ist: Wer profitiert von diesem Wohlstandswachstum? Und sind diese Produktivitätssteigerungen auch ökologisch nachhaltig? Denn trotz der gestiegenen Produktivität ist die durchschnittliche Arbeitszeit in den letzten Jahrzehnten gewachsen.

 

Was wissen wir?

 

  • Die Produktivität (geleistete Wertschöpfung pro Arbeitsstunde) hat sich in Österreich seit 1950 versiebenfacht.
  • Die Arbeitszeit wurde zwischen 1950 und 1975 schrittweise verkürzt, seit den 1970er Jahren steigt die durchschnittliche Arbeitszeit jedoch wieder.
  • Ein Teil der erhöhten Produktivität wurde in Form von höheren Löhnen der Beschäftigten abgegolten (im Zuge der Kollektivvertragsverhandlungen der Sozialpartner). Jedoch fehlt seit längerem ein Mechanismus für die Anpassung der Dauer von Voll-Arbeitszeit.
  • Vollzeitbeschäftigte ÖsterreicherInnen arbeiten im Schnitt 42,3 Stunden pro Woche. Der Grund dafür sind jene gut 750.000 Beschäftigten, die im Jahr 2017 250 Millionen Mehr- und Überstunden geleistet haben. (Statistik Austria)
  • 31 Stunden pro Woche ist die Wunscharbeitszeit der ÖsterreicherInnen. (Eurofound, 2016)
Arbeitszeit vs Produktivität

Seit 1950 ist die Arbeitszeit nur leicht gesunken - obwohl wir siebenmal so produktiv sind.

Was ist die Faktenbasis?

 

Die Arbeitsproduktivität misst die Wertschöpfung, die ein Beschäftigter mit seiner Arbeit schafft. Sie ist damit ein zentraler Indikator, um wirtschaftlichen Fortschritt zu messen. Hier liegen Werte der Österreichischen Nationalbank (OeNB) auf Stundenbasis vor. Das ist wichtig, damit unterschiedliche Beschäftigungsausmaße den Wert nicht verzerren. Denn wird die Produktivität je Beschäftigter/m gemessen, führt ein Anstieg der Teilzeitbeschäftigung zu einem Absinken der Produktivität.

Die Werte zur Arbeitszeit liefert das statistische Amt der Europäischen Union (EUROSTAT). Wir zeigen die durchschnittliche Wochenstundenzahl von vollzeitbeschäftigten Personen. Teilzeitbeschäftigung ist nicht berücksichtigt, um die Entwicklung der realen Vollzeitarbeit nicht zu verfälschen.


Was wird diskutiert?

Talking Point

Faktencheck

Eine Arbeitszeitverkürzung sorgt für den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit und gefährdet damit Arbeitsplätze.

Verschiedene Studien zeigen, dass Arbeitszeitverkürzung zu einem Anstieg der Produktivität, etwa durch eine bessere Gesundheit (weniger Stress, mehr Freizeit) führt (De Spiegelaere und Piasna, 2017). Auf internationaler Ebene sind Länder mit höherer durchschnittlicher Arbeitszeit generell weniger produktiv als Länder mit kürzerer Arbeitszeit (Rehm und Tesar, 2018).

Die Arbeitszeit wird sofort von 40h auf 30h gesenkt. Dadurch werden viele Betriebe pleitegehen.

Die Ausgestaltung einer Arbeitszeitverkürzung ist nicht fix vorgegeben, sondern kann im Rahmen von politischen Prozessen so gestaltet werden, dass sowohl Betriebe ihre Abläufe als auch ArbeitnehmerInnen ihre Lebensführung Schritt für Schritt anpassen können. Zur Umsetzung einer Arbeitszeitverkürzung gibt es verschiedene Modelle. (De Spiegelaere und Piasna, 2017)

Viele Jobs erfordern längere Arbeitszeiten als 30 Stunden pro Woche.

Arbeitszeitverkürzung muss nicht unbedingt eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit bedeuten. Höherer Urlaubsanspruch oder Zeitausgleich, Karenzmodelle für Familie oder Weiterbildung, zusätzliche Feiertage oder Sabatticals reduzieren ebenfalls die Arbeitszeit.

Niemand will weniger arbeiten.

Die durchschnittlich gewünschte Arbeitszeit in Österreich beträgt laut einer Studie von Eurofound (2016) etwa 31 Stunden. Die Arbeitszeitpräferenz hängt zudem von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen ab und ist damit politisch gestaltbar. (Huemer, 2017)

Die Länge der Arbeitszeit folgt wirtschaftlichen Notwendigkeiten.

Die Arbeitszeit ist das Ergebnis eines politischen Aushandlungsprozesses und spiegelt gesellschaftliche Machtverhältnisse wider. Es geht um die Verteilung des erarbeiteten Wohlstandes.

Wer mehr arbeitet leistet mehr.

Bei langer Arbeit wird man keineswegs produktiver. Die Konzentration nimmt ab, die Arbeitsschritte dauern länger und das Unfallrisiko steigt.

 

Was ist der Wert von Arbeit und Arbeitszeitverkürzung?

Es geht in der Frage der Arbeitszeit nicht nur um ökonomische Zusammenhänge, sondern auch darum, allen Menschen Teilhabe an der Gesellschaft gesichert werden kann. Dazu braucht es Erwerbsarbeit, um das Auskommen zu sichern. Ebenso sichert Arbeit die Beteiligung an gemeinsamen gesellschaftlichen Prozessen, sie gibt eine Struktur für den Lebensalltag und einen Stellenwert in der Gesellschaft. Diese sozialen Effekte sind wesentliche Merkmale guter Arbeit, die zum Wohlergehen der Gesellschaft und zum Funktionieren der Wirtschaft beiträgt, ohne krank zu machen und genügend Zeit lässt für Familie und Freunde für Freizeit.
Diese sozialen Argumente gemeinsam mit der steigenden Produktivität sprechen für eine generelle Verkürzung der Arbeitszeit.

 

Quellen und Links:

De Spiegelaere, S., Piasna, A. (2017) The why and how of working time reduction, Verfügbar unter: https://www.eurofound.europa.eu/data/european-quality-of-life-survey (letzter Zugriff: 07.08.2019).
EUROFOUND (2016) European Quality of Life Survey 2016 - Data visualisation, Verfügbar unter: https://www.etui.org/Publications2/Guides/The-why-and-how-of-working-time-reduction (letzter Zugriff: 07.08.2019).
Eurostat (2019): Average number of usual weekly hours of work in main job (full time), https://appsso.eurostat.ec.europa.eu/nui/submitViewTableAction.do (letzter Zugriff: 07.08.2019).
Gerold, S. Soder, M. Schwendinger, M. (2017): Arbeitszeitverkürzung in der Praxis. Innovative Modelle in österreichischen Betrieben. Wirtschaft und Gesellschaft (43), S.177-204, Verfügbar unter: https://wug.akwien.at/WUG_Archiv/2017_43_2/2017_43_2_0177.pdf (letzter Zugriff: 07.08.2019)
Huemer, U. (2017) Verteilung der Arbeitszeit WIFO-Beitrag zum Sozialbericht 2015-2016, Verfügbar unter: https://www.wifo.ac.at/jart/prj3/wifo/resources/person_dokument/person_dokument.jart?publikationsid=59268&mime_type=application/pdf (letzter Zugriff: 07.08.2019).
Kapeller, J. Gräbner, C., Heimberger, P. (2019) Wirtschaftliche Polarisierung in Europa, Ursachen und Handlungsoptionen, Verfügbar unter: http://library.fes.de/pdf-files/fes/15556.pdf (letzter Zugriff: 07.08.2019).
Oesterreichische Nationalbank (2014): Labor Productivity Developments in Austria in an International Perspective, Wien. https://www.oenb.at/dam/jcr:0bda344a-b453-4b54-80eb-5a211c3c66f7/mop_2014_q3_analyses_2.pdf
Rehm, M., Tesar, S. (2018) Lange Arbeitszeit bringt niedrige Produktivität für Unternehmen: Kostenfaktor 12-Stunden-Tag, Verfügbar unter: https://awblog.at/lange-arbeitszeit-niedrige-produktivitaet/ (letzter Zugriff: 07.08.2019).
Schütz, B. (2015) Arbeitszeitverkürzung ist notwendig, Verfügbar unter: https://jbi.or.at/wp-content/uploads/2016/02/perspektiven_06_2015_arbeitszeitverkuerzung.pdf (letzter Zugriff: 07.08.2019).
Statistik Austria (2019) Durchschnittlich geleistete Arbeitszeit, Überstunden. https://www.statistik.at/web_de/statistiken/menschen_und_gesellschaft/arbeitsmarkt/arbeitszeit/durchschnittlich_geleistete_arbeitszeit_ueberstunden/index.html

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