Eine Person blickt in ihren leeren Geldbeutel.
/ 26. Februar 2024

Wer Arbeitslosengeld und Notstandshilfe senken will, befördert die Armut im Land. Und schwächt die Arbeitnehmer:innen bei Gehaltsverhandlungen.

Wieder einmal will die Kanzlerpartei ÖVP das Arbeitslosengeld kürzen. Die NEOS, die Wirtschaftskammer, aber auch konzernnahe Think-Tanks wie die Agenda Austria stimmen in den Chor ein, dass das Arbeitslosengeld „reformiert“ gehöre. Was wie eine Drohung klingt, ist eine. Schon jetzt bekommen Leute, die von ihren Unternehmen in die Wüste geschickt werden, nur gut die Hälfte ihres vorherigen Netto-Gehalts als Arbeitslosengeld ausbezahlt. Künftig sollen es „unter 50 Prozent sein“.

Kürzungen bei den Ärmsten der Gesellschaft

Das trifft die finanziell Schwächsten der Gesellschaft direkt ins Herz. Besonders länger Arbeitslose sind schon jetzt am Limit. Ein paar Zahlen gefällig? Jeder dritte Arbeitslose, der über ein halbes Jahr arbeitslos ist, ist armutsgefährdet. Jeder Zweite, der über ein Jahr keinen Job findet. Jeder dritte Arbeitslose kann die Wohnung nicht angemessen warm halten. Mehr als jeder dritte Arbeitslose erwartet Zahlungsschwierigkeiten bei Miete und Energierechnungen. Jeder Fünfte muss alle zwei Tage auf eine Hauptmahlzeit verzichten, weil das Geld nicht reicht.

Was steckt hinter der Idee, Arbeitslosengeld und Notstandshilfe zu kürzen? Einerseits lässt sich dort Geld holen, mit dem man für (tendenziell reichere) Unternehmer Steuer- oder Sozialabgaben senken kann. Klassenkampf von oben. Andererseits geht es um Macht im Betrieb. Wer nach einer Kündigung finanziell ins Bodenlose fällt, der traut sich nicht gegen den Chef aufzumucken. Schlechte Arbeitsbedingungen anprangern oder nach einer Lohnerhöhung fragen? Geht dann nicht.

„Sollen sie doch was hackeln“ geht sich nie für alle aus

Gesagt wird uns oft: Es herrsche doch Fach- und Arbeitskräftemangel, da finde doch jeder einen Job, der arbeiten wolle. Die nackten Zahlen widersprechen dem. Die Wirtschaft schrumpfte im letzten Jahr, und kommt auch heuer kaum vom Fleck. Unternehmen brauchen weniger Leute als gedacht. Ende Jänner gab es deshalb 30.000 Arbeitslose mehr als noch vor einem Jahr. Die Unternehmen bieten weniger offene Stellen an. Das zeigt, wie absurd die Forderung ist, das Arbeitslosengeld zu kürzen. Es gibt nicht genug bezahlte Arbeit. Vier Arbeitslose rangeln sich um eine offene Stelle. Der Arbeitsmarkt erinnert an den „Sesseltanz“ in der Volksschule. Vier Kinder tanzen um einen einzigen Stuhl – die offene Stelle – herum, doch nur einer kommt mit der Bewerbung zum Zug, wenn die Musik stehen bleibt. Drei bleiben jedenfalls übrig. Auf Arbeitslose umgemünzt heißt das: Genau diese drei sollen weniger Geld erhalten, damit sie sich „mehr anstrengen“, eine neue Stelle zu finden. Nur wie, wenn es die Jobs nicht gibt?

Die wissenschaftliche Rechtfertigung, trotzdem zu kürzen, lautet: Im Schnitt seien dann Menschen ein paar Tage kürzer arbeitslos – in vielen, aber nicht allen Studien zur Senkung des Arbeitslosengeldes. Das mag sein. Der finanzielle Druck auf Arbeitslose bleibt sicher nicht ohne Wirkung, schlechte Jobs möglichst schnell anzunehmen. Doch wer länger mit einem auskömmlichen Arbeitslosengeld auf Jobsuche gehen kann, der findet besser bezahlte Jobs in besseren Firmen.

Das Menschenbild ist erschreckend

Moralisch verfehlt ist auch die Unterstellung, Arbeitslose seien eben „zu faul“ zum Arbeiten, deshalb müsse man ihnen das Geld entziehen. Fast alle wollen arbeiten. Nur in absoluten Ausnahmefällen findet man Leute, die tatsächlich nicht arbeiten möchten. Schon die erste Studie zum Thema Langzeit-Arbeitslosigkeit, die nebenbei noch die Wissenschaftsdisziplin Soziologie begründete, zeigte uns schon in den 1930ern: Ohne bezahlte Arbeit zu leben macht antriebslos, erstickt jegliches Interesse an anderen Dingen, führt zur Selbstaufgabe. Das Familienleben wird schwieriger, die Kinder leiden. Die viele freie Zeit wollten die Menschen nicht anderweitig nutzen. Wer erwartet hätte, dass die Leute etwa mehr Zeit fürs Lesen bleibt: Nein, die Bücherei war wie ausgestorben.

Zurück in der Gegenwart. Wahr ist: Manche haben die Nase voll von schlechten Jobs, unbezahlten Überstunden, respektlosen Arbeitsbedingungen, und der Ausbeutung durch ihre rüden Chefs. Doch ihnen macht das AMS trotzdem ordentlich Dampf. Wer den kleinsten Fehler macht, wird sanktioniert. Über 100.000 Mal im Jahr passiert das. Unentschuldigt oder zu spät zum (unsinnigen?) Kurs? Nicht beworben auf eine Stelle, die man aus guten Gründen nicht will? Etwa weil der katastrophale Ruf einer berüchtigten Firma ihr vorauseilt? Schon ist das Arbeitslosengeld für sechs Wochen gestrichen. Beim zweiten Mal für acht Wochen, beim dritten Mal ist es ganz weg. Arbeitslose werden dabei strenger beurteilt als andere Bevölkerungsgruppen. Wer als Gutverdiener vergisst, seine Steuerschulden zu bezahlen, erhält nicht gleich eine Strafe, sondern wird zunächst höflich und korrekt von der Finanz aufgefordert, doch bitte nun zu bezahlen. Wer gar reich ist und Steuern hinterzogen hat, der muss seine Steuern nicht einmal vollständig nachzahlen.

Weniger Schikane, mehr Jobs

Als Gesellschaft sollten wir aufhören darüber nachzudenken, wie wir Arbeitslose noch stärker schikanieren können. Stattdessen müssen wir gute Jobs für sie schaffen. Dazu gehört eine Vollbeschäftigungspolitik. Ausreichend hohe Staatsausgaben und -investitionen, damit die Wirtschaft floriert. Dann schafft die Wirtschaft wie von selbst ausreichend Jobs und erhöht die Löhne. Die USA machen vor wie es geht. Auch eine Jobgarantie für Langzeitarbeitslose gehört dazu. Vorzeigeprojekte in Marienthal oder die Aktion 20.000 schufen staatlich geförderte Jobs, damit auch Langzeitarbeitslose wieder Arbeit haben und damit in die Gesellschaft zurückfinden.

Dieser Text erschien zunächst in unserer Kolumne bei ZackZack.

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