Martin Kocher

Der von der ÖVP ins Amt geholte Arbeitsminister Martin Kocher. // Foto: Helmut Fohringer / APA

/ 13. Mai 2022

Arbeitsminister Martin Kocher wird befördert zum „Superminister“ für Wirtschaft und Arbeit. Er verspricht, sich künftig um alle zu kümmern. „Geht’s der Wirtschaft gut, geht’s uns allen gut“ als neues (altes) Leitmotiv? Man muss nicht Karl Marx gelesen haben, um zu verstehen, dass Arbeitgeberin und Arbeitnehmer fundamental gegensätzliche Interessen haben. Bei Löhnen, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen und Arbeitnehmerschutz gilt ab einem gewissen Niveau: Was der eine gewinnt, verliert der andere.
 
Im „Nullsummenspiel“ schwang das Pendel zuletzt selbst im Arbeitsministerium stark in Richtung der Interessen von Unternehmerverbänden. Die Ausweitung von Saisonnierzahlen, Mangelberufsliste und Rot-Weiß-Rote-Karte macht es leichter, auch mit Dumping-Löhnen Personal zu finden. Geringere Strafhöhen bei Verstößen gegen das Arbeitsrecht machen Rechtsverletzungen für schwarze Schafe unter den Betrieben auch noch rentabel. Der Vorschlag eines abfallenden Arbeitslosengeldes wiederum soll Arbeitslose dazu zwingen, Jobs mit schlechten Arbeitsbedingungen anzunehmen.
 
Eine Regierungsumbildung hätte die Chance geboten, Martin Kocher offiziell zu dem zu machen, was er inoffiziell schon davor war: Minister für die Wirtschaft. Dafür als Gegengewicht eine echte Arbeitsministerin zu installieren, die sich primär um die Probleme und Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer kümmert. Beide Minister müssten ihre jeweilige Zielgruppe kennen, vertreten, und Kompromisse suchen. In einem Superministerium wird Arbeit zum kleinen Bruder der Wirtschaft degradiert. Übermächtige Interessen von Konzernen und Wirtschaftsverbänden bestimmen. Dieses Machtgefälle ist für Arbeitnehmer problematisch. Einzelne Arbeitnehmerinnen sind im Betrieb in den meisten Fällen in einer schwächeren Position als der Arbeitgeber. Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben also ein legitimes Schutzbedürfnis, auf das ein wachsamer Arbeitsminister achten muss. Diese Rolle hätte jemand von den Grünen oder dem konservativen Arbeitnehmerbund ÖAAB ausfüllen können.
 
Angesichts der Herausforderungen täten zwei unterschiedliche, auf Ausgleich bedachte Personen gut. Österreich ist mit der schwersten Energiekrise seit den späten 1940ern konfrontiert, in näherer Zukunft gibt es weniger zu verteilen. Weil ausländisches Gas und Öl mehr kostet, ist Wirtschaftswachstum abgesagt, rollt eine Teuerungswelle durch das Land. Doch ein Teil der hohen Preise ist hausgemacht. Heimische Stromerzeuger verdienen sich eine goldene Nase viel Geld mit kriegsbedingten Übergewinnen, während der Großteil der Bevölkerung und Unternehmen unter hohen Gas- und Strompreisen leidet. Grundstückspreise und Mieten explodieren seit 20 Jahren. Betriebe geben ihre gestiegenen Kosten an die Konsumentinnen und Konsumenten weiter. Die Gewerkschaften hecheln hinterher, damit die größten Reallohnverluste seit Jahrzehnten nicht zur Gänze an den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern kleben bleiben. Ein perfekter Sturm.
 
In diesem Sturm braucht es einen Wirtschaftsminister, der mit einem Pakt zur Senkung der Lebenshaltungskosten die Teuerungsdynamik einbremst. Intelligente Preiskontrollen können die Einkommen der unteren Mittelschicht im Land schützen – Höchstpreise für Grundnahrungsmittel, Preisdeckel auf Mieten und den Haushaltsgrundbedarf an Gas und Strom. Ein Inflationsausgleich der Sozialleistungen gäbe den Ärmsten Luft zum Atmen.
 
Sinken die Energiepreise nicht, muss jemand die Kaufkraftverluste tragen. Gut umgehen damit können Vermögende, Maximalverdiendende, Vermieterinnen, Unternehmer mit Gewinnen. Befristete höhere Abgaben für diese Gruppen könnten einen Verteilungskampf mit dauerhafter Inflation vermeiden. Das zu organisieren, zu verhandeln – damit ist ein Wirtschaftsminister ausgelastet.
 
Auf einen Arbeitsminister wartet eine Verschärfung der Situation am Arbeitsmarkt. Bald könnte Stagflation – die Kombination aus hoher Inflation und niedrigem Wachstum – die Arbeitslosigkeit wieder steigen lassen, Kurzarbeit nötig machen. Das große Reformprojekt des Ministeriums – ein neues Arbeitslosengeld – schleppt sich seit einem Jahr dahin. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist mehr als doppelt so hoch wie vor einem Jahrzehnt. Mammutaufgaben warten. Selbst Superman wäre da wohl lieber zu zweit.

 

Dieser Text  erschien zunächst als Gastkommentar in "Der Standard".

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