Die Europäische Zentralbank begeht gerade einen historischen Fehler. Sie erhöhte gestern die Zinsen weiter. Obwohl die Inflation bereits fällt. Obwohl die Wirtschaftsleistung bereits kippt. Die vorausgesagte Stagnation droht sich zu verschlimmern: In eine Rezession – ein Rückgang der Wirtschaftstätigkeit. Mit ein paar Monaten Verspätung folgt dem eine höhere Zahl an arbeitslosen Menschen.
Gestern hat die Europäischen Zentralbank (EZB) ihren Leitzins um weitere 0,25 Prozent erhöht. Die EZB hebt die Zinsen damit innerhalb von 13 Monaten so stark an, wie es seit 1945 in Österreich noch nie vorgekommen ist. Damit will sie die Wirtschaft steuern. Ihr Ziel ist, die Teuerung abzubremsen. Doch ihre Methode – Zinserhöhungen – gleicht einem Vorschlaghammer. Die höheren Zinsen nehmen kreditfinanzierten Unternehmen und Haushalten immer mehr Geld weg, dass an die Banken und die EZB geht. Die Zentralbank klopft so lange auf diese Unternehmen drauf, bis sie zerspringen. Viele Firmen und Haushalte müssen ihre Pläne – etwa mit einem Kredit ein Haus zu finanzieren – überhaupt aufgeben, weil es mit den hohen Zinsen unleistbar geworden ist. Firmen brechen so letztlich die Aufträge weg. Nach ein paar Monaten entsteht eine unnötig hohe Arbeitslosigkeit.
Die Zinsen steigen, obwohl die Inflation sinkt
Die EZB erhöhte gestern die Zinsen weiter. Sie tat das, obwohl die Inflation aktuell von selbst zurückgeht. Denn der Exzess der Energiepreise – die Hauptursache der hohen Inflationsraten – ist vorbei. Die wichtigsten Preise auf den internationalen Märkten haben sich wieder normalisiert: Gas und Treibstoff kostet wieder so viel wie vor der Pandemie. Holz- und Heizölpreise sind im freien Fall von ihren Höchstständen. Der Strom hat seine völlig überhöhten Preise ebenfalls hinter sich gelassen, und liegt mittlerweile etwas über seinem historischen Schnitt. Der Schock der hohen Energiepreise, ausgelöst durch Russlands Angriff auf die Ukraine, verläuft sich. Und mit dem Sinken der Energiepreise geht der Großteil der Inflation ebenso so rasch zurück, wie sie gekommen ist. Das lässt sich auch an den Preisen im Großhandel oder an den sogenannten Erzeugerpreisen ablesen. Diese Preise enthalten auch den Handel zwischen Firmen. Was sich dort abspielt, kommt mit etwas Verspätung bei den Preisen an, die die Konsument:innen beim Einkauf bezahlen. Sie haben eine Vollbremsung hingelegt, sind in der Eurozone im Mai zum ersten Mal sogar gesunken. Zwar dauert es noch, bis das auch bei den Konsument:innen in Österreich ankommt. Denn die heimischen Unternehmen geben die fallenden Preise nur zeitverzögert weiter. Doch in welche Richtung es geht, zeigen die europäischen Musterschüler mit niedriger Inflation vor. Belgien, Luxemburg, Spanien und Dänemark haben Inflationsraten zwischen ein und zweieinhalb Prozent erreicht – das erfüllt das Inflationsziel der Europäischen Zentralbank bereits. Aber auch hierzulande bremst sich die Teuerung ein. Seit Februar 2023 sank die Inflation in Österreich von 11,6 auf aktuell 7,8 Prozent. Sie wird weiter sinken.
Österreichs Wirtschaft nimmt Schaden
Die heimische Wirtschaft leidet unter den Zinserhöhungen. Die österreichische Bauwirtschaft ist eingebrochen. Immobilienpreise schwächeln, die Baubewilligungen sind um ein Drittel eingebrochen. Banken vergeben um knapp zwei Drittel weniger neue Kredite für Wohnungen und Häuser, auch weniger neue Unternehmens- und Konsumkredite. In der Industrie zeichnet sich ebenfalls ein deutlicher Abschwung ab. Sie baut Personal ab, weil die Aufträge ausbleiben. Der Einkaufsmanager-Index in der Industrie sieht entsprechend düster aus. Auch verschleppte Insolvenzen aus der Corona Pandemie werden nachgeholt, etwa Kika/Leiner oder Forstinger. Die Zahl der Bankrotte liegt erstmals wieder über dem Niveau vor der Pandemie.
Wachstumstreiber muss man mit der Lupe suchen
Für die nächsten Monate bahnt sich Schlimmeres an. Es gibt keinen großen Retter, der uns aus der Wachstumsschwäche holen könnte. Der Konsum entwickelt sich nicht besonders. 2022 lag er pro Kopf immer noch unter dem Niveau von 2019. Das Vertrauen der Konsument:innen ist ebenfalls auf einem Tiefststand – größere Anschaffungen planen sie tendenziell nicht. Auch der typische Wachstumstreiber, der Export, dürfte in den nächsten Monaten eher auslassen. Der Verkauf unserer Produkte ans Ausland wird die schwache Nachfrage wohl nicht auffangen können. Zwar läuft in den USA die Wirtschaft noch weiter gut. Doch Deutschland, unser wichtigster Handelspartner, befindet sich schon in einer leichten Rezession. Auch auf China darf man nicht hoffen, das Reich der Mitte schwächelt gerade.
Als Letztes kommt das Nachlassen der Wirtschaft am Arbeitsmarkt an. Die Zahl der offenen Stellen ist schon 16 Prozent niedriger als vor einem Jahr, die Zahl der Arbeitslosen um 3,1 Prozent höher. Doch das ist wohl erst der Beginn. Die EZB sollte jetzt auf die Bremse steigen und keine weiteren Zinserhöhungen vornehmen. Sonst fügt sie der europäischen und österreichischen Wirtschaft tiefergehende Schäden zu. Die wirtschaftliche Entwicklung steht auf so wackeligen Beinen, dass sie keine weitere Belastung durch höhere Zinsen verträgt.
Dieser Text erschien zunächst in unserer Kolumne auf Zackzack.at.