Ökonomie der Zukunft
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  Alina Pohl
/ 7. November 2019

Alina Pohl über „Die Donut Ökonomie“ von Kate Raworth (deutsche 1. Auflage 2018).

 

Mit der „Donut-Ökonomie“ legt Kate Raworth ein kritisches Konzept des vorherrschenden ökonomischen Imperativs vor. Wirtschaftswissenschaftliche Theorien beeinflussen Politik und Gesellschaft und sind daher wesentlich in der Gestaltung des Transformationsprozesses hin zur ökologischen Nachhaltigkeit. Daher muss der Anspruch an die Ökonomie neu gedacht werden.

„Was ist der Zweck des Wirtschaftens?“ sei die wichtigste Frage, die sich künftige ökonomische Denkschulen des 21. Jahrhunderts stellen müssten. Die Antwort ist ein „Gutes Leben“ und anschließende Überlegungen, was den Menschen dieses „Gute Leben“ ermögliche.

Raworth thematisiert die großen wirtschaftspolitischen Themen unserer Zeit – vom Ausgleich von Arbeit- und Lebenszeit, Klimaproblematik, gesellschaftliche Solidarität, Ungleichheit, Debatte um Wachstum und Wohlstand, Verteilung, und Digitalisierung. Die Wirtschaftswissenschaften müssten sich mit den Herausforderungen und Anliegen der heutigen Generationen befassen. Die simplifizierenden theoretischen Annahmen des vergangenen Jahrhunderts sind für zeitgemäße Analysen nicht mehr anwendbar, wenn sogar ÖkonomInnen die eigenen Theorien durch die Finanzkrise 2008 falsifiziert sehen und seither vermehrt infrage stellen. Daher stellt Raworth die Frage, ob die komplexen Zusammenhänge unserer heutigen Welt in der gegenwärtigen Ökonomie noch richtig wiedergegeben werden (können).

Neue Maßstäbe zur Messung von Krisen der Gegenwart

Kritik an bestehenden Modellen erhebt sie beispielsweise anhand des permanenten Strebens nach Wirtschaftswachstum, das der gängigen Theorie nach nur mit positivem Vorzeichen den Menschen Wohlstand ermögliche. Das Bruttoinlandsprodukt – als DIE EINE Maßzahl für Wachstum – sei der „Kuckuck im Nest der Ökonomie“, an dem sich Politik und Ökonomie fälschlicherweise nahezu ausschließlich orientierten und als Sinn des Wirtschaftens definierten. So wie das BIP ein Produkt aus vergangenen Krisenzeiten ist, und sich für den Aufbau der Wirtschaft auch bewährt hat, so braucht es heute neue Maßstäbe zur Messung von Krisen der Gegenwart (Klimakrise, Unsicherheit durch technologischen Wandel, soziale Ungleichheit). Die Kritik daran ist vermutlich fast so alt wie das BIP selbst. Raworth ist nicht die erste, die diese Debatte führt. Auch die Frage, ob und welches Wirtschaftswachstum sinnvoll ist, ist nicht neu – sie stellt mit der Donut-Ökonomie aber ein anschauliches und verständliches Konzept zur Verfügung, auf dem detaillierte Analysen aufbauen können.

Visualisierung des Donutmodells von Kate Raworth mit deutschen Beschriftungen. Urheber: Apfelsamen

Ihren plakativen Vorschlag eines zukünftigen Wirtschaftsmodells formuliert sie als zwei ineinander liegende Kreise – ein Donut. Der innere Kreis zeichnet das Fundament von Gesellschaft und (Zusammen-)Leben, wie Nahrung, Wasser, Wohnen, Einkommen, soziale Gerechtigkeit, Frieden und Bildung; der äußere Kreis die ökologische Decke, das heißt die planetaren Grenzen wie beispielsweise Verlust der Artenvielfalt, Klimawandel, Flächenumwandlung, Stickstoff- und Phosphorbelastung, Luftverschmutzung, etc. In dem Bereich dazwischen befindet sich der sichere und gerechte Raum, in dem es sich für Natur und Menschheit zu leben lohnt. Derzeit befindet sich die Menschheit aber in vielen der Bereiche weit außerhalb dieser nachhaltigen und überlebensfähigen „Komfortzone“. Die Anstrengung aller, vor allem der Ökonomie und ihrer Theorien, muss daher sein jene Modelle, Steuerungsmechanismen und Politikmaßnahmen zu finden, um ein Gutes Leben für alle zu gewährleisten. Notwendig, um in den inneren Bereich des Donuts zu gelangen, ist der Übergang von einer linear wachsenden aber sich verschlechternden (degenerativen) Wirtschaft mit mechanischem Gleichgewicht, hin zu einer regenerativen und verteilenden (distributiven) Wirtschaft mit dynamischen Gleichgewicht – vom Primat des Marktes hin zu einer in Gesellschaft und Ökologie eingebetteten Ökonomie.

Neues ökonomisches Narrativ

Die Bildsprache ist zentral in diesem Buch; alte Bilder durch neue zu ersetzen ist das erklärte Ziel der Autorin. Die proklamierten „Sieben Denkansätze, wie ein Ökonom des 21. Jahrhunderts zu denken“ werden mittels der „Kraft des visuellen Framings“ beschrieben. Gängige – und bisweilen theoretisch stark einschränkende – ökonomische Denkmuster werden aktuellen Prinzipien bzw. der Anwendungsplausibilität heutiger Prozesse gegenüber gestellt und mit Diagrammen einprägsam visualisiert. Für eine neue Perspektive bzw. Wirtschaftslehre des 21. Jahrhunderts sollen alte Ideen durch zeitgemäße ersetzt sowie verschiedene ökonomische Denkschulen miteinander verbunden werden. Die Herausforderungen unserer Zeit müssten Grundsätze und Funktionalität unseres gelernten ökonomischen Denkens hinterfragen und schließlich zu einer Transformation desselben führen.

Schließlich ist dieses Buch ein Plädoyer für ein neues ökonomisches Narrativ. LeserInnen, auch Nicht-ÖkonomInnen, werden angehalten dieses Narrativ neu zu definieren und so den Beginn einer Revolution der Wirtschaftswissenschaften einzuleiten. Es werden keine konkreten Handlungsanweisungen oder Vorschläge für institutionelle Veränderungen gegeben, vielmehr ist es ein Gesamtbild über gängige Debatten und deren Zusammenhänge auf theoretischer Ebene. Raworth legt damit ein essentielles Buch für eine notwendige neue Ökonomie der Zukunft vor.

Alina Pohl ist Ökonomin im Dezernat Wirtschaft der Abteilung Wirtschaft, Arbeit und Statistik der Stadt Wien.

 

Buchhinweis

Kate Raworth
Die Donut-Ökonomie: Endlich ein Wirtschaftsmodell, das den Planeten nicht zerstört
Carl Hanser Verlag GmbH & Co. KG, München, 2018
ISBN 978-3-446-25845-7

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