Rechnung als Symbolbild für die Herbstlohnrunde
/ 25. September 2023

Am Montag beginnt der "heiße Herbst". Die alljährlichen Verhandlungen um höhere Löhne gehen los. Gewerkschaften und Wirtschaftskammer legen die Richtung für die Löhne und Gehälter in Österreich für die nächsten Monate fest.

Fest steht: Die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer haben viel aufzuholen, damit sie nicht als Letzte auf der Rechnung für die Teuerung sitzenbleiben. In den vergangenen zwölf Monaten haben die Unternehmen die Preise um 9,6 Prozent erhöht. Ohne Ausgleich dafür arbeitet eine Arbeiterin künftig zwei ihrer zwanzig Arbeitstage im Monat gratis. Dass die Forderung der Metaller-Gewerkschaft nach mehr Lohn heute daher zweistellig ausfallen wird, ist wenig überraschend. Seit Mitte 2021 haben die Unternehmen die Preise so schnell und so stark erhöht, dass die Löhne nicht mithalten konnten. Schon 2022 sank die tatsächliche Kaufkraft der Löhne um knapp vier Prozent, der höchste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen. Noch schlimmer sieht es für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer aus, die über wenig Verhandlungsmacht verfügen und daher nicht besser bezahlt werden, als in den Kollektivverträgen vorgesehen ist. Gehen sie heute einkaufen, können sie sich mit ihren Löhnen im Schnitt so viel leisten wie vor elf Jahren. Ein ganzes Jahrzehnt an Wohlstandsgewinnen ist ausgelöscht.

Mehr Verhandlungsmacht

Der Inflationsausgleich – 9,6 Prozent – gilt daher als Untergrenze für eine Lohnerhöhung. Ist dieses Jahr mehr drin als der Teuerungsausgleich? Mancher Wirtschaftsforscher sagt Nein, denn die Produktivität sei nicht gestiegen. Doch in der Realität der Lohnverhandlungen zählen auch die gestiegenen Gewinne der Unternehmen. Gerade die sprechen für einen kräftigen Lohnabschluss. Laut Nationalbank sind die Gewinne der Unternehmen – um die Corona-Subventionen bereinigt – 2022 um ganze 24 Prozent gestiegen. Die Profite der großen börsennotierten Konzerne stiegen gar um 42 Prozent, die Ausschüttungen an Aktionäre noch stärker. Langen die Betriebe insgesamt kräftig zu, müssen die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nachziehen. Zumal diese Gewinne ihren Kaufkraftverlust in die Höhe getrieben haben.

Für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer spricht auch die relativ gute Arbeitsmarktlage. Die Unternehmen suchen deutlich mehr Leute als noch vor ein paar Jahren. Die offenen Stellen im Vergleich zur Zahl der verfügbaren Arbeitslosen sind so hoch wie schon seit 40 Jahren nicht mehr. Das verschiebt Verhandlungsmacht zu den Gewerkschaften. Bei niedriger Arbeitslosigkeit können sie sich ein größeres Stück vom jährlich erwirtschafteten Kuchen abschneiden – so wie das umgekehrt die Unternehmensbesitzer in den vergangenen Jahrzehnten taten.

Verantwortung der Verhandler

Gerne appelliert wird an die gesamtwirtschaftliche Verantwortung der Lohnverhandler. Doch gerade zu niedrige Lohnabschlüsse können höchst unverantwortlich sein. Die Löhne finanzieren unser Sozialsystem. Käme es etwa zu einer Nulllohnrunde dieses Jahr, würden der Krankenversicherung und dem Pensionssystem Milliardeneinnahmen fehlen. Auf Dauer.

Löhne sind nur aus einer verengten betriebswirtschaftlichen Sicht ausschließlich Kostentreiber. Sie sind auch Einkommen für die vielen Konsumentinnen und Konsumenten im Land. Ganze Branchen – vom Handel bis zur Gastronomie – leben von deren Kaufkraft. Diese Wirtschaftszweige leiden bereits, die Umsätze brechen ein. Sie brauchen den Lohnabschluss wie die Butter aufs Brot. Auch die staatlichen Budgets leben von Steuereinnahmen durch Lohnerhöhungen. Damit werden Lehrerinnen, Polizisten, Infrastruktur und viele staatliche Dienst- und Geldleistungen bezahlt.

Gefährdet ein Lohnabschluss aber die Wettbewerbsfähigkeit? Werden Österreichs Produkte international zu teuer? Die harten Fakten sprechen dagegen. Österreich ist ein Top-Standort, gerade auch für die Industrie. Seit dem Jahr 2000 wuchs die industrielle Produktion in Österreich am stärksten unter allen westeuropäischen EU-Ländern. Österreichische Exportunternehmen sind oft Weltmarktführer, beherrschen komplexe Technologien und bleiben am Ball der Innovation. Möglich ist das durch hervorragend ausgebildete Fachkräfte, die auch etwas kosten dürfen. Der Preis spielt dabei nur eine Nebenrolle. Hätte Österreich tatsächlich versucht, über Löhne oder Preise zu konkurrieren, wir wären auch heute noch im Einkommensniveau von Bangladesch steckengeblieben.

Unkontrolliert erhöht

Aus Sicht der Industrie ist die Lohnerhöhung dieses Jahr der Preis dafür, dass manche unter den Unternehmen die Preise voriges Jahr unkontrolliert erhöht haben. Hätten sich Branchen wie die Energie, Banken, Bau und Landwirtschaft bei den Gewinnen zurückgehalten und damit weniger Teuerung erzeugt, würde die Lohnforderung um rund vier Prozentpunkte niedriger ausfallen. Damit den Letzten nicht "die Hunde fressen", müssen die Gewerkschaften dieses Jahr jedoch auf einen vollen Ausgleich der Teuerung bestehen. Doch wiederholen sollte man diese Situation nicht.

Damit die Sozialpartner nächstes Jahr nicht wieder um zehn Prozent mehr feilschen müssen, muss Österreich eine Kehrtwende in der Bekämpfung der Teuerung einlegen. Dazu gehören stärkere Preiseingriffe bei Strom, Gas, Fernwärme, bei Mieten und Krediten genauso wie ein stärkerer Wettbewerb im Lebensmittelbereich, um die Preise zu drücken.

 

Dieser Text erschien zunächst als Gastkommentar im "Standard".

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