Brieftasche mit 50-Euro-Scheinen als Symbolbild für Lohnverhandlungen
/ 22. November 2023

Das jährliche Ritual zwischen den Arbeitgeber:innen und den Arbeitnehmer:innen geht so: Die Unternehmen erhöhen die Preise ein Jahr lang. Die Beschäftigten haben derweil gleich viel Geld im Börsel, müssen die gestiegenen Preise aber trotzdem zahlen. Was bleibt ihnen auch anderes übrig. Eine Arbeiterin arbeitet durch die Teuerung des letzten Jahres schon zwei ihrer zwanzig Arbeitstage im Monat gratis.
Im Herbst steigen dann die Vertreter:innen beider Seiten in den Ring: Der Kampf um die Lohnerhöhung beginnt. Um wie viel darf’s mehr sein? Die Rechnung ist denkbar einfach: Ein ganzes Jahr lang erhöhen Unternehmen die Preise, schließlich ist ja Inflation. Damit die Arbeitnerhmer:innen nicht plötzlich vor einer de facto Lohnkürzung stehen, müssen die Löhne aber zumindest um die Teuerungsrate steigen.

Das Jahr der großen Teuerung

Je höher die Preise also steigen, umso mehr müssen auch die Löhne nachziehen. Unternehmer:innen und Vermieter:innen setzten ihre Preise insgesamt im letzten Jahr kräftig hinauf, im Schnitt um über neun Prozent. Dabei stiegen die Profite oft im Gleichklang mit den Preisen. Energiekonzerne oder Banken verdienen prächtig an der Teuerung. Für die Arbeitnehmer:innen hat das vor allem eines bedeutet: Den größten Kaufkraftverlust, den es überhaupt seit Beginn der Aufzeichnungen gegeben hat. Ihre Kaufkraft ist um ein Jahrzehnt zurückkatapultiert, sie können sich heute nur noch so viel leisten wie damals. Dabei stellen wir heute fast doppelt so viel her wie in den 80er Jahren. Nur wird dieser Gewinn an Wohlstand nicht fair verteilt wie früher.
Bei den Lohnerhöhungen geht es aber eigentlich gar nicht nur darum, den Leuten die Inflation auszugleichen. Es geht auch darum ihnen ein Stückchen vom erwirtschafteten Wohlstands-Kuchen – den immerhin auch die Arbeitnehmer:innen erarbeitet haben – weiterzugeben. Das heißt, die Lohnerhöhung muss über der Teuerungsrate liegen, ansonsten bleibt für die Beschäftigten unterm Strich lediglich eine Null oder gar ein Minus.

Arbeitszeitverkürzung: Völlig normal eigentlich

Früher wurden Wohlstandsgewinne auch in Form von weniger Wochenarbeitsstunden oder mehr Urlaub an die Arbeitnehmer:innen weitegegeben. Bis in die 80er Jahre wurde die Arbeitszeit auch immer wieder gesenkt und der Urlaub erhöht. Im 19. Jahrhundert schufteten Arbeiter:innen 70 oder 80 Stunden in der Woche. Bis 1974 wurde die Wochenarbeitszeit schrittweise auf 40 Stunden gesenkt. Das war ein beispielloser Erfolg, der erstmals ein menschenwürdiges Berufsleben ermöglichte. Eine fünfte Urlaubswoche – ausverhandelt 1984 – war der letzte Streich dieser Erfolgsserie. Seither herrscht absoluter Stillstand. Vierzig Jahre ist nichts mehr passiert. Eine Arbeitszeitverkürzung sieht wahrlich anders aus. Zu einer Arbeitszeitverkürzung verliert die Arbeitgeberseite bei den Lohnverhandlungen übrigens keinen Mucks, trotz der Forderung der Arbeitnehmer:innen. Sie romantisieren lieber ‘kreative Lösungen’ wie Einmalzahlungen oder Zweijahresabschlüsse.

Der Einserschmäh Einmalzahlung

Die Gewerkschaften lehnen Einmalzahlungen aber kategorisch ab. Und das vollkommen zu Recht. Einmalig mehr Geld, unversteuert für Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen. Klingt im ersten Moment vielleicht verlockend. Der Teufel steckt aber im Detail: Eine Einmalzahlung bekommt man genau ein Mal, hebt aber das monatliche Gehalt nicht langfristig. Das bedeutet bei den kommenden Lohnverhandlungen im nächsten Jahr geht man wieder zurück an den Start. Die Ausgangsbasis ist das Gehalt vor der Einmalzahlung. Für die Arbeitnehmer:innen ein schlechter Deal: Sie verlieren tausende Euros ihres Lebenseinkommens. Ein Zweijahresabschluss heißt, dass die Arbeitnehmer:in die gestiegenen Preise statt bisher ‘nur’ ein Jahr ohne Teuerungsanpassung des Gehalts, ganze zwei Jahre stemmen müssen. In anderen Worten: ein fantastischer Multiplikator für den Kaufkraftverlust.

Lohnerhöhungen stärken die Wirtschaft

Was streift aktuell durch die Medien? Unternehmen seien nicht dafür zuständig, dass den Arbeitnehmer:innen die Kaufkraft nicht flöten geht. Diese Erzählung hakt aber gewaltig: Was machen Menschen mit ihren Gehältern normalerweise? Sie bezahlen damit Dinge. Sei es die Heizrechnung, Lebensmittel, Kleidung oder andere Konsumgüter und Dienstleistungen. Und wohin geht das Geld, wird ein Kauf getätigt? Zu den Unternehmen. Dort klingelt die Kasse. Für etliche Branchen sind die Konsumausgaben der Arbeitnehmer:innen die Basis fast all ihrer Umsätze. Frisst die Teuerung aber die Einkommen der Menschen auf, können sie weniger einkaufen. Die Katze beißt sich in den Schwanz. Österreich ist in die Rezession geschlittert, weil etliche Unternehmen ihre Preise über ihre gestiegenen Kosten hinaus erhöht haben. Die Teuerung drückte den Konsum nach unten. Bis heute liegt der reale Konsum pro Kopf im Land weiterhin unter dem Niveau vor der Pandemie. In normalen Zeiten können sich Konsument:innen jedes Jahr etwas mehr kaufen. Durch die Pandemie, den Ukraine-Krieg und die Inflation erleben sie mittlerweile drei verlorene Jahre.

Die Regierung hat zu spät und zu wenig mit Preisbremsen eingegriffen, um die Inflation in Zaum zu halten. Um die Rezession zu bremsen, kommt den Lohnverhandlungen nun eine bedeutende Rolle zu: Steigen die Löhne, dann wird die Hälfte dieser Erhöhung im ersten Jahr wieder ausgegeben und direkt in die Wirtschaft gepumpt. Die zweite Hälfte landet etwas später in der Wirtschaft, weil Menschen sie eine Zeit lang für größere Anschaffungen sparen. Steigen die Löhne nun nicht kräftig, wird auch die Wirtschaft weiter stottern.

 

Dieser Text erschien zunächst in unserer Kolumne "Ausgerechnet" bei ZackZack.

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