Ein Plakat von Sozial aber nicht blöd bei der letzten Demo im Oktobber: "Wir sind Streikbereit"
/ 3. Dezember 2022

Streiks kannten wir in Österreich bislang höchstens aus dem Urlaub, denn eigentlich sind wir ein besonders streikarmes Land. Im Durchschnitt der letzten zehn Jahre kommen auf 1.000 österreichische Beschäftigte nur 2,1 Streiktage. Zum Vergleich: Bei unseren Nachbarn in Deutschland sind es rund achtmal so viele, in Frankreich sogar 60-mal so viele Tage.

Umso größer war die Aufregung, als die Gewerkschaft ihre Drohung wahrmachte und für 24 Stunden den Bahnverkehr in Österreich stilllegte. Am Dienstag kam es auch bei der Telekom Austria zu einem einstündigen Warnstreik. Und die Gewerkschaft im Handel ließ mit einer – in der Vorweihnachtszeit besonders wirkungsvollen – zweitägigen Streikdrohung aufhorchen. Durch den gerade noch rechtzeitigen Abschluss der Verhandlungen im Handel blieb es bei einer Drohung. Woher kommt die Streiklust der Gewerkschaft?

Außergewöhnliche Teuerungsrate

Das hat mit den außergewöhnlichen Teuerungsraten zu tun. Die Preiserhöhungen der Unternehmen sowie die niedrigen Lohnabschlüsse in der Vergangenheit führen zu den höchsten Reallohnverlusten für Beschäftigte seit den 1960er Jahren. Die Schlangen an den Sozialmärkten werden länger, für viele Familien geht es um das finanzielle Überleben. Auf diese Extremsituation muss die Gewerkschaft reagieren. Zahlreiche Verhandlungsrunden starteten mit Forderung nach einer absoluten Lohnerhöhung, etwa 500 Euro mehr für alle, statt mit der Forderung nach einer prozentuellen Forderung in die Lohnverhandlungen. Würde die Gewerkschaft sich mit dieser Forderung durchsetzen, würden davon niedrige Löhne überproportional stark profitieren.

Ein zweiter Grund, warum die Lohnverhandlungen dieses Jahr intensiver geführt werden als in den vergangenen Jahren, sind die teils sehr geringen Angebote der Unternehmen, die sich vor allem auf Einmalzahlungen fokussieren. Die Bundesregierung hat den Unternehmen den Wunsch nach der Möglichkeit erfüllt, Einmalzahlungen steuerfrei an ihre Beschäftigten auszuzahlen. Das mag auf den ersten Blick zwar gut wirken – ein Batzen Geld, den viele gerade gut brauchen können. Auf den zweiten Blick sind die Einmalzahlungen eine Mogelpackung, denn diese ist schon im nächsten Jahr verpufft. Für die nächste Lohnerhöhung wird das Grundgehalt ohne der Einmalzahlung herangezogen. Für die Unternehmen ein gutes Geschäft, für die Beschäftigten nicht.

Streiks in Zukunft beliebter?

Auch langfristige Entwicklungen am Arbeitsmarkt könnten das Streiken in Zukunft beliebter machen. Bis 2020 war Österreichs Arbeitsmarkt geprägt von globaler Konkurrenz für Beschäftigte, etwa durch die EU-Osterweiterung, höherer Arbeitslosigkeit und niedrigen Lohnabschlüssen. Nur 9-mal in den vergangen 25 Jahren kam es zu Reallohnzuwächsen. Das heißt: 9-mal in den vergangen 25 Jahren strichen die Unternehmen den gesamten Kuchen ein, den die Beschäftigten erwirtschaftet hatten. Dieses Kräfteverhältnis dreht sich gerade zugunsten der Arbeitnehmer:innen. Die Arbeitslosigkeit sinkt trotz schwacher Konjunkturprognosen weiter und die Zahl der unbesetzten Stellen ist heuer die höchste seit Aufzeichnungsbeginn. Das stärkt die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer:innen.

Gut möglich, dass wir uns an Streiks gewöhnen müssen. Ist das etwas so Schlechtes? Nein. Wer sich über sein Weihnachtsgeld am Konto freut, dem sei versichert: Das hat die Gewerkschaft nicht erkämpft, in dem sie bei den Wirtschaftstreibenden lieb darum gebeten hat. Auch der 8-Stunden-Tag, die Arbeitslosenversicherung oder das Recht auf Mutterschutz haben die Arbeitnehmer:innen gegen Widerstände durchgesetzt. Fortschritt wird eben nie geschenkt.

 

Dieser Text erschien zunächst in der Momentum-Kolumne "Ausgerechnet" bei ZackZack.

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