Finanzmarkt

Hohe Zinsen für manche Länder gefährden den Euro

EZB Zinserhöhung

„Man sagt, dass sich Geschichte wiederholt, aber die Wahrheit ist, dass ihre Lektionen nicht gelernt werden.“ Der französische Politiker Camille Sée würde das heute wohl wieder äußern. In regelmäßigen Abständen bahnt sich eine neue Krise des Euro an. Diesmal haben Finanzspekulanten Italien als verwundbarstes Opfer auserkoren. Die Europäische Zentralbank hat dem Spuk bisher kein Ende bereitet, obwohl es in ihrer Macht steht.

Ein Rückblick: Ab 2010 geraten Griechenland, Zypern, Irland, Spanien, Portugal und Italien ins Visier der Finanzmärkte. Die glauben nicht an den Zusammenhalt des Euro. Treiben Zinssätze für die Staatsanleihen ihrer Opfer so schnell in die Höhe, dass kein Land der Welt damit umgehen könnte. Ein künstlich herbeigeführter Bankrott droht. Nordeuropa verschreibt dem Süden eine Schocktherapie. Am härtesten trifft es Griechenland, das sich nie mehr erholt von harten Kürzungen im Staatshaushalt, der Privatisierungen essenzieller Infrastruktur und der Abschaffung von gewerkschaftlich erkämpften Arbeitsrechten. Auf die Eurozone – auch nach Österreich – strahlen die Schmerzen aus. Sie bleibt bis Ende des Jahrzehnts beim Wirtschaftswachstum deutlich hinter den USA zurück. Dem Spar- und Kürzungsdogma fallen öffentliche Investitionen zum Opfer. Die Spätfolgen: In Genua stürzt eine Brücke ein. Wegen Lecks im Trinkwassersystem verliert Norditalien mitten in der größten Trockenheit einen großen Teil des gepumpten Wassers. Das schlimmste verhindert lediglich EZB-Präsident Mario Draghi, als er mit seinem Ausspruch „whatever it takes“ den Zusammenbruch der Eurozone verhindert und die Zinsen wieder drückt.

Nun geht es erneut los. Italien muss Banken und Anlegern erneut mehr für seine Staatanleihen bezahlen als etwa Deutschland. Die „Gefahrenzone“ – 2,5 Prozentpunkte Aufschlag – ist fast erreicht. Die Investmentbank Goldman Sachs prophezeit einen weiteren Anstieg. Doch wo bleibt die Lösung?
Unter dem Kürzel „TPI“ beschloss die EZB zwar, dass sie Staatsanleihen ausgewählter Länder aufkaufen kann. Beeindruckt hat das – ob der theoretisch strengen Bedingungen – die Finanzmärkte nicht. Die Zinsen, die Italien auf seine Staatsanleihen zahlen muss, steigen weiter. Mit jeder Zinserhöhung der EZB wird sich das Problem nur verschärfen.

Zeit für einen neuen „whatever it takes“-Moment: EZB-Präsidentin Lagarde muss die Finanzmärkte an der Hand nehmen. Klarstellen, dass die EZB nicht zulassen wird, dass Italien unter die Räder kommt. Das Zauberwort heißt „Rendite-Kontrolle“. Dafür setzt die Zentralbank einen maximalen Risikoaufschlag, etwa ein Prozent, den Italien mehr als Deutschland berappen muss. Glauben ihr die Finanzmärkte nicht, kauft die EZB die italienischen Anleihen. Das kann sie unlimitiert machen, hat sie doch als einziger Spieler am Geldmarkt die Fähigkeit, Euros selbst zu drucken. Meist reicht jedoch die pure Drohung aus, um die Spekulanten zu brechen.

Ob der EZB-Rat seine Lektion gelernt hat, wird sich erst weisen. Europa leidet währenddessen weiter unter einer Klimakrise, Corona-Krise, Gaskrise und Inflationskrise. Hilfreich wäre jedenfalls, wenn sich zumindest die Geschichte der Eurokrise nicht als Farce wiederholt.

 

Dieser Text erschien zunächst als Gastkommentar in der Wiener Zeitung.

 

EZB-Käufe österreichischer Unternehmensanleihen alles andere als "grün"

Durch Öl verseuchter Boden

Rund 62 % der österreichischen Anleihen im Unternehmensanleihen-Kaufprogramm "Corporate Sector Purchase Programme" (CSPP) der Europäischen Zentralbank (EZB) sind der Erdöl- und Gasindustrie zuzurechnen. Im Juni 2019 betrug der Anteil noch 42 %. Die Geldpolitik der EZB könnte somit indirekt die klimapolitischen Ziele der Europäischen Union behindern.

Das Momentum Institut empfiehlt eine grünere Geldpolitik: Nachhaltigkeitskriterien als Voraussetzung für die Aufnahme von Unternehmensanleihen in Kaufprogramme. Banken mit klimafreundlichen Unternehmens- und Immobilienfinanzierungen sollen günstigere Refinanzierungen der Zentralbanken erhalten.

Zusammensetzung der österreichischen Anleihen im Kaufprogramm

Seit mehreren Jahren gehören großvolumige Anleihenkäufe zum geldpolitischen Programm der EZB. Neben Staatsanleihen werden auch Unternehmensanleihen gekauft. Dies soll die Finanzierung von privaten Investitionen erleichtern. Dabei werden lediglich Anleihen mit entsprechender Bonität in das Kaufprogramm aufgenommen. Weil die Struktur kohlenstoffintensiver Industrien aber oft große Unternehmen hervorbringt, sind diese im Kaufprogramm überrepräsentiert. Konkret hat sich das Momentum Institut angesehen, welche österreichischen Anleihen die EZB für ihr Kaufprogramm ausgewählt hat.

Sektoranteile am Gesamtvolumen der österreichischen Unternehmensanleihen im CSPP

Im Oktober 2020 machten Anleihen der fossilen Industrie rund 62 % der verfügbaren österreichischen Unternehmensanleihen im EZB-Programmaus. Die genaue Zusammensetzung ihres Portfolios hält die EZB geheim. Geht man aber ihrer generellen ‚marktneutralen‘ Kaufstrategie folgend davon aus, dass sie einen möglichst gleich hohen Prozentsatz aller Anleihen besitzen möchte, dann spiegeln die in Frage kommenden Anleihen auch die tatsächlich gekauften wider – zumindest nach einiger Zeit. Auch wenn die Motive natürlich ganz andere sind, indirekt unterstützt die EZB am Anleihenmarkt damit vor allem die fossile Industrie. In diese Sparte fallen Anleihen der OMV, Borealis und der strategischen Erdölreserve des Bundes (ELG). Das verbleibende Drittel teilte sich auf verschiedene andere Branchen auf: Die Anleihegeschäfte der Telekom Austria machten 12 % aus, die im internationalen Vergleich relativ grünen Energieproduzenten (EVN. Verbund, KELAG, Energie AG Oberösterreich) 9 %. Immobilien machten weitere 7 % aus, Glücksspiel (NOVOMATIC AG) 5 %, Versicherungen 4 % und der Bausektor 1 %.

Zeitliche Entwicklung

Verglichen mit Juni 2019 zeigt sich zudem, dass der Anteil der fossilen Industrie sogar zugenommen hat. Damals lag der Anteil des fossilen Sektors noch bei 42 %, um zwanzig Prozentpunkte unter dem aktuellen Wert. Dagegen waren mit 25 % noch mehr Anleihen anderer Energiefirmen mit einem nachhaltigeren Energiemix vertreten.

Sektoranteile der Unternehmensanleihen am Gesamtvolumen der österreichischen Unternehmensanleihen im CSPP, Stand Juni 2019

Maßnahmen für eine klimaverträgliche Geldpolitik

Die Klimakrise hat das Potenzial, das Preisstabilitätsziel der EZB zu gefährden. So könnten Naturkatastrophen etwa zu starken Schwankungen der Lebensmittelpreise führen. Auch die Finanzmarktstabilität könnte durch klimawandelbedingte Wertverluste negativ beeinflusst werden. Neben der Preisstabilität ist aber auch die Unterstützung der allgemeinen Wirtschaftspolitik der EU im Mandat der EZB verankert, u. a. daher auch die anvisierte Senkung der CO2-Emissionen um 55% bis 2030. Das Momentum Institut schlägt daher eine Reihe von Maßnahmen vor, mit denen die Geldpolitik der EZB in größere Übereinstimmung mit den klimapolitischen Zielen der Europäischen Union gebracht werden kann.

  • Nachhaltigkeitskriterien sollten Voraussetzung für den Kauf von Unternehmensanleihen im Zuge von Anleihenkaufprogrammen werden.  
  • Banken mit vielen grünen Projekten sollten günstigere Finanzierungen der Zentralbanken erhalten
  • Unternehmen sollen zur Offenlegung von CO2-Bilanzen verpflichtet werden. Ratingagenturen sollen diese in ihre Bonitätsprüfungen einfließen lassen.

Der Policy Brief im Detail: