Umwelt

Ampel-Koalition schaltet auf freie Fahrt: Schnellanalyse des Momentum Instituts

Bundestag.jpg

Deutschlands Ampel-Koalition zwischen SPD, Grünen und FDP steht, der Koalitionsvertrag wurde heute Nachmittag präsentiert. Das sozialliberale Momentum Institut hat die Pläne der Koalition analysiert: Positiv hervorzuheben ist der Anstieg des Mindestlohns auf 12 Euro pro Stunde. Im Klima-Kapitel will die Koalition zwar den Kohleausstieg auf 2030 vorziehen, versäumt es jedoch, den Ausstoß von CO2 angemessen zu bepreisen.

Mindestlohn von 12 Euro pro Stunde auch für Österreich sinnvoll

Die Ampel-Koalition will den Mindestlohn von derzeit 9,60 Euro pro Stunde im kommenden Jahr auf 12 Euro (1.782 Euro pro Monat) anheben. „Ein Mindestlohn in dieser Höhe würde auch in Österreich einiges bewirken. Vor allem in frauendominierten Sektoren sind manche Einstiegsgehälter deutlich unter dem künftigen deutschen Mindestlohn“, sagt Oliver Picek, Chefökonom am Momentum Institut. Ein Mindestlohn von 12 Euro brutto pro Stunde würde etwa das kollektivvertragliche Brutto-Einstiegsgehalt einer angelernten Frisörin in Österreich um 261 Euro pro Monat anheben, der Lohn einer Servicekraft mit Lehrabschluss um 208 Euro pro Monat steigen.

Klima: CO2-Preis zu niedrig, Kohleausstieg 2030

Höhere CO2-Preise hat die Ampel nicht vorgesehen. Der CO2-Preis liegt in Deutschland seit diesem Jahr bei 25 Euro pro Tonne, bis 2025 soll er stufenweise auf 55 Euro wachsen, wie die Vorgänger-Koalition beschloss.

Mit der Steuerreform wurde für Österreichs ein CO2-Preis beschlossen, der sich an den deutschen Preisen orientiert. „Um eine tatsächliche Lenkungswirkung zu erzielen, ist ein Einstiegspreis von mindestens 50–60 Euro pro Tonne notwendig, der in den kommenden Jahren deutlich anwachsen muss. Sowohl Deutschland als auch Österreich versäumen es somit, klimaschädliches Verhalten angemessen zu bepreisen“, so Joel Tölgyes, Klima-Experte am Momentum Institut. Damit erhöht sich der Erfolgsdruck für andere klimapolitische Maßnahmen, wie Ordnungspolitik oder öffentliche Klimainvestitionen. Neue Studien aus Deutschland zeigen, dass zum Erreichen der Klimaziele jährlich Bundesmittel von rund 30 Milliarden Euro notwendig wären.

Der Ausstieg aus der Kohleenergie soll in Deutschland „idealerweise“ bereits 2030 erfolgen, anstatt wie ursprünglich geplant 2038. Zumindest für gewerbliche Neubauten will die Ampel-Koalition eine Solardachpflicht einführen. Auch Österreich setzt im Rahmen des Energie-Ausbau-Gesetzes auf Photovoltaik-Anlagen auf Dächern, jedoch ohne entsprechende Verpflichtungen.

Zusätzliches Risiko für Pensionen durch Aktienmarkt

Nach schwedischem Vorbild soll ein staatlicher finanzmarktabhängiger Pensionsfonds eingeführt werden, der das Umlagesystem ergänzen soll. Zunächst soll ein Pensionsvermögen von 10 Milliarden Euro für die weltweite Anlage am Kapitalmarkt zur Verfügung stehen. Das sind 0,3% der deutschen Wirtschaftsleistung oder 240 Euro pro PensionistIn. Eine Anlage von öffentlichen Pensionsbeiträgen auf globalen Kapitalmärkten setzt die deutsche Pensionsvorsorge damit höheren Risiken als bisher aus, weil dadurch Wechselkursschwankungen unmittelbaren Einfluss auf das Rentenniveau haben können. Geprüft werden soll außerdem die gesetzliche Anerkennung privater Anlageprodukte mit höheren Renditen, was ebenfalls höhere Risiken für die individuelle Altersversorgung mit sich bringen dürfte. „Höhere Gewinne gibt es immer nur mit höherem Risiko. Doch höheres Risiko bedeutet auch, dass aus dem Gewinn schnell ein Verlust werden kann“, analysiert Alexander Huber, Pensionsexperte des Momentum Instituts.

Für Österreich macht so ein Fonds wenig Sinn, denn er kommt für den demographischen Wandel zu spät. Der vollzieht sich in Österreich bis 2030, während solch ein Fonds erst Jahrzehnte später seine maximale Auszahlung abwerfen würde - sofern diese sich überhaupt einstellen. Denn die historische Rendite ist kein Naturgesetz für die Zukunft. Wenn das Risiko in Form einer negativen Rendite zuschlägt, könnte solch ein Fonds sogar eine zusätzliche finanzielle Belastung für das Pensionssystem bedeuten.

Österreichs EU-Parlamentarier:innen im Klima-Check

Klimademonstration

COP26: Welche österreichischen Parteien sind Klimaschützer?

Am 31.10. startet die 26. UN-Klimakonferenz. Die Konferenz mit dem offiziellen Namen „Conference of the Parties 26 (COP26)“ im schottischen Glasgow gilt als die wichtigste seit dem Pariser Klimaabkommen. Die teilnehmenden Staaten wollen dort ihre Emissionsziele nachbessern und die Resultate der vergangenen Jahre besprechen. Die meisten Länder der Europäischen Union (EU) haben ihre inländischen Treibhausgasemissionen zwar im Vergleich zum Referenzjahr 1990 insgesamt reduziert, jedoch nicht in einem Ausmaß, das mit dem Ziel von maximal 1.5 Grad Erderhitzung im Einklang steht.

CO2-Reduktionsziele für Österreich wichtig

Österreich konnte seine CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 etwa um nur 5,8 Prozent senken – von 7,6 auf 7,2 Tonnen jährlich pro Kopf. EU-weit konnten alle Mitgliedsstaaten hier höhere Reduktionen einfahren: Die Pro-Kopf-CO2-Emissionen sind für alle Staaten kumuliert um ein Viertel geringer als noch vor 30 Jahren – sie sanken von 8,5 auf 6,4 Tonnen pro Kopf und Jahr (Weltbank, 2021).

Zusätzlich zu versäumten Reduktionen ist Österreichs inländischer CO2-Ausstoß pro Kopf auch durchgehend höher als im EU-Schnitt. 2018 belegten wir damit Platz 19 von 27, beim Pro-Kopf-Ausstoß aller inländischen Treibhausgase Platz 18.

EU-Parlament: Klimaschutz geht über Grenzen hinaus

Um die Klimaziele der COP26 und des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, braucht es vor allem politische Maßnahmen. Hier spielt das Europäische Parlament eine tragende Rolle: Grenzübergreifender Klima- und Umweltschutz, der für einen nachhaltigen europäischen Wirtschaftsraum von immenser Bedeutung ist, wird zu großen Teilen über die Europäische Union festgelegt, und braucht dazu die Zustimmung von genügend EU-Parlamentarier:innen. Europapolitik hat also eine große Bedeutung, weil sie einerseits nationale Gesetzgebung und somit den Alltag der Österreicher:innen beeinflusst, und andererseits über Grenzen hinweg Maßnahmen setzen kann. Luft- und Wasserverschmutzung, Biodiversitätserhaltung, Regulierung von Chemikalien, Meeresschutz und Emissionsreduktionen (z. B. durch das Emissionshandelssystem) sind nur einige der Aspekte, die auf EU-Ebene behandelt werden und die Basis für viele nationale Regelungen stellen.

EU-Parlament: Welche österreichischen Abgeordneten setzen sich für Klima- und Umweltschutz ein?

Österreich stellt in der aktuellen Legislaturperiode insgesamt 19 Abgeordnete (ÖVP: 7; SPÖ: 5; FPÖ: 3; Grüne: 3; NEOS: 1). Zwei Jahre nach der letzten EU-Parlamentswahl im Jahr 2019 zeigt sich ein klares Bild, welche der Abgeordneten innerhalb der 14 wichtigsten Entschließungsanträge der aktuellen Legislaturperiode für stärken Umwelt- und Klimaschutz eintreten.

Demnach stimmen Abgeordnete der FPÖ in acht von zehn Fällen gegen Verschärfungen von Umwelt- und Klimaschutzauflagen. Die mandatsstärkste Partei ÖVP stimmt ebenfalls in mehr als sieben von zehn Fällen dagegen. Auch die NEOS stimmen in zwei Drittel aller Anträge gegen schärferen Umwelt- und Klimaschutz. Anders sieht es bei SPÖ und Grünen aus: Die Sozialdemokraten stimmen in zwei Drittel der Fälle für härtere Auflagen, Grüne in sogar fast allen untersuchten Fällen (96 Prozent). FPÖ, ÖVP und NEOS blockieren somit durch negierendes und restriktives Verhalten Umwelt- und Klimaschutz auf europäischer Ebene, während sich SPÖ und allen voran Grüne ihm stärker widmen.

Die Relevanz österreichischer und europäischer Klimapolitik

Die Auswirkungen der sozial-ökologischen Krisen zeigen sich in den letzten Jahren immer stärker. Zehn der letzten 15 Jahre waren die heißesten seit Beginn der Wetteraufzeichnungen. Umweltkatastrophen haben sich seit dem Jahr 1980 mehr als verdreifacht. Dafür sind die EU und Österreich in einem hohen Ausmaß mitverantwortlich: Etwa 17.8 Prozent aller anthropogenen CO2-Emissionen wurden innerhalb der EU27 ausgestoßen, und Österreichs Pro-Kopf-CO2-Ausstoß lag in den letzten 20 Jahren durchgehend über jenem der EU. Deshalb muss nicht nur auf österreichischer, sondern auch auf grenzübergreifender Ebene gehandelt werden. Für den notwendigen Wandel in eine nachhaltige, lebenswerte Zukunft haben auch österreichische Politiker:innen eine entscheidende Verantwortung, die sie unter anderem während der UN-Klimakonferenz vertreten. Um die Klimakrise abzuschwächen, muss sich das Verhalten der nicht-klimafreundlichen Parteien auf europäischer Ebene ändern.

Quirin Dammerer

EU Fit for 55 – eine erste Schnelleinschätzung

EU Fit for 55 Plan zu Emissionseinsparung.png

Was ist das EU Fit for 55?

Fit for 55 benennt das Paket der EU-Kommission, mit dem sie das Klimaziel von -55% der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 erreichen will. Die Kommission um Präsidentin Van der Leyen präsentierte den Plan, der im Rahmen des “Green Deals” ausgearbeitet wurde, heute am 14.07.2021.

Worum geht es?

Der Plan EU Fit for 55 soll vorlegen, wie Europa das neue Ziel erreichen kann. Verschiedenste Maßnahmen, realisiert durch 12 Gesetzesvorschläge, schließen Änderungen in Klimagesetzen und CO2-Bepreisungen (etwa Zertifikatehandel und CO2-Steuern) mit ein. So sollen bis zum Jahr 2030 EU-weit jährlich nur noch maximal 2,1 Mrd. Tonnen CO2-Äquivalent ausgestoßen werden.

Fit for 55: Zielwert bis 2030 um 55% niedriger als 1990

Eines der wohl größten Projekte ist die Änderung des Europäischen Zertifikathandelssystems (ETS). Einerseits präsentierte Van der Leyen die Einführung eines zweiten ETS für die Sektoren Gebäude und Straßenverkehr, andererseits soll das bestehende System auf die Schifffahrt ausgeweitet werden und die Gratis-Zuteilung an Bedingungen geknüpft werden. Das ETS ist eines der Kerninstrumente der EU zur Reduktion der Treibhausgasemmissionen: Ihm unterliegen aktuell rund 45% der europäischen Emissionen. Auch Österreichs Emissionen sind stark an dieses EU-Instrument gekoppelt: Hierzulande werden mehr als ein Drittel der Gesamtemissionen nicht national, sondern durch den ETS reguliert.

Fit for 55: Anteil ETS Emissionen Österreich

Bisher sind die Klimaziele sowie die Konsequenzen bei Nicht-Erreichung der Einsparungsziele dieser beiden Sektoren durch die EU-Lastenteilung geregelt. Die EU-Lastenteilung sieht nationale Emissionsziele vor. Erreicht ein Nationalstaat, zum Beispiel Österreich, seine Ziele innerhalb einer Abrechnungsperiode (aktuell 2020-2030) nicht, müssen Zertifikate von Ländern, die ihre Ziele übererfüllt haben, abgekauft werden. Dieses Vorgehen kann für Klimasünderstaaten mit der Zeit immer teurer werden, wenn einerseits Zertifikate knapper und das Ausmaß der Nicht-Erfüllung der Ziele immer größer wird.

Gebäude und Verkehr machen einen großen Teil der Emissionen in der EU aus: Der Gebäudesektor steuert direkt und indirekt rund 36% der gesamten europäischen Treibhausgasemissionen bei, alleine der Straßenverkehrssektor ein Fünftel (Europäische Kommission 2021). Eine Eingliederung in das ETS soll die Emissionen dieser beiden Sektoren schneller und effektiver senken. Das Emissionshandelssystem ist ein Markt für CO2-Zertifikate, auf dem eine Maximalmenge von Zertifikaten ausgegeben wird. Die Betriebe der inkludierten Sektoren müssen für ihre Anlagen am Ende des Jahres genügend Zertifikate vorweisen. Ist das nicht der Fall, drohen Geldstrafen. So sollen Sektoren zur Reduktion ihrer Emissionen angehalten werden.

Ein weiteres Instrument ist der Carbon Border Adjustment Mechanism (kurz: CBAM), welcher ab 2023 eingeführt werden soll. Darunter versteht man eine CO2-Grenzabgabe bzw. einen CO2-”Zoll” auf ausgewählte importierte Produkte. So sollen Güter, die in Ländern außerhalb der EU, die sich nicht um Emissionen kümmern, produziert werden, entsprechend ihrer CO2-Abdrücke bepreist werden. Ziel davon ist, das sogenannte “Carbon Leakage” zu verhindern: Eine voranschreitende Klimapolitik in der Europäischen Union kann dazu führen, dass Unternehmen ihre Produktionsstätten in Drittländer verlegen, die weniger strenge oder keine CO2-Vorschriften haben. So könnten sie während des Produktionsprozesses CO2-Steuerleistungen bzw. -Maßnahmen umgehen. Werden diese Güter bei Import nicht an inner-europäische Teuerungen angepasst, steigt der Anreiz, die Produktion weiterhin ins Ausland zu verlegen, was den gewünschten Effekt einer Emissionsreduktion stark schmälern würde. Außerdem soll damit die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischen Herstellern gewährleistet werden.

Betroffen sind laut Gesetzesentwurf von 14.07.21 vorerst nur die energieintensivsten Sektoren Zement, Elektrizität, Düngemittel, Eisen, Stahl und Aluminium.

Zusätzlich umfasst der Plan eine Aktualisierung der Energiebesteuerungsrichtlinie. Ihr liegt der Besteuerungsunterschied zwischen Öl/Gas und Elektrizität zugrunde. Derzeit werden weniger Steuern auf fossile Energieträger eingehoben als auf Elektrizität. Dennoch könnte dieser Vorschlag wie schon 2011 an der Zustimmung einiger Mitgliedstaaten scheitern. Außerdem werden Änderungen in verschiedensten Richtlinien forciert: Dazu gehören die Erneuerbaren-Energie-Richtlinie sowie die Energieeffizienz-Richtlinie, die Richtlinie zum Aufbau einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (mehr E-Ladestationen) und die Überarbeitung der Verordnung zur Festlegung von CO₂-Emissionsnormen für neue Autos und leichte Nutzfahrzeuge.

Was bedeutet eine Integration des Gebäude- & Verkehrssektors in das ETS?

Der Verkehrssektor kann, wie auch der Gebäudesektor auf zwei Arten in das Europäische Zertifikathandelssystem eingegliedert werden: Einerseits könnte das bestehende System einfach auf die zusätzlichen Sektoren ausgeweitet werden. Andererseits könnte ein parallellaufendes System für Verkehr und Gebäude gebildet werden. Im Vorschlag der europäischen Kommission wird letzteres ab dem Jahr 2025 für die Sektoren Straßenverkehr und Gebäude vorgezogen. Die Schifffahrt soll mit einer Übergangsphase in das bestehende System eingegliedert werden.

Die Entscheidung gegen die Integration in das bestehende ETS baut auf der höheren Einsparungs-Effizienz eines eigenen Systems für Straßenverkehr und Gebäude. Würde das bestehende System auf den Verkehrssektor ausgeweitet, heißt das, dass derzeit inkludierte Sektoren wie Wärme- und Energieerzeugung oder energieintensive Industriezweige (Ölraffinerien, Stahlwerke,…) mit dem Verkehrssektor um dieselben CO2-Zertifikate bieten. Eine Analyse des Policy Departments for Economic, Scientific and Quality of Life Policies des Europäischen Parlaments, weist daraufhin, dass der Verkehrssektor höhere Umstiegs- bzw. Treibhausgas-Vermeidungskosten aufweist, als bereits inkludierte Sektoren. Sofern sich der Zertifikatshandelspreis weiterhin über alle Sektoren kumuliert bildet, würde damit der Preis auch für alle Sektoren ansteigen, da die Vermeidungskosten im Verkehr besonders hoch sind und den Gesamtpreis so nach oben drücken. Damit wären die Emissionsreduktionen im Verkehrssektor jedoch trotzdem äußert gering, da der Zertifikatspreis mit großer Wahrscheinlichkeit unter den tatsächlichen Vermeidungskosten im Verkehr bleibt und so ein Anreiz fehlt, viel CO2 einzusparen. Bei einem aktuellen Zertifikatspreis von rund EUR 40-45 pro Tonne CO2 würde dieses System beispielsweise den Benzinpreis um 10-12 Cent pro Liter erhöhen. Das Europäische Parlament schätzt diese Preissteigerung als zu gering ein, um große Lenkungseffekte zu erzielen (European Parliament 2021).

Ein separates System wird mit zukünftig höheren CO2-Preisen für die Sektoren Straßenverkehr und Gebäude verbunden. Eine Schätzung ergibt einen Preisanstieg auf bis zu EUR 180 pro Tonne CO2 (2015 Preise) innerhalb eines separaten Systems für Gebäude und Straßenverkehr (Cambridge Econometrics 2021). Höhere CO2-Preise werden in fast allen Fällen von Produzent:innen oder Dienstleister:innen an ihre Abnehmer:innen weitergegeben (Europäischen Kommission 2015). Das heißt, Endkonsument:innen sind stärker von der Maßnahme betroffen. Der Grad der Betroffenheit von europäischen Endkonsument:innen unterscheidet sich jedoch: Gerade Haushalte mit niedrigen Einkommen aus ärmeren EU-Ländern sind stärker von einer Preissteigerung im Straßenverkehr betroffen als reichere Haushalte in Ländern wie Österreich (Graf et al. 2021).

Fit for 55: Preissteigerungen treffen ärmere Haushalte am stärksten

Begleitend mit den neuen Maßnahmen zum Zertifikatehandel sind daher Umverteilungsmaßnahmen notwendig, die die Kommission mit der Rückverteilung der Auktionseinnahmen und der Errichtung eines Sozialfonds installiert (Der Sozialfonds wird von dieser ersten Schnelleinschätzung nicht analysiert). Um negative Effekt auf Beschäftigung und ärmere Haushalte zu vermeiden, stellen vor allem Rückvergütungen als Pauschalbeträge (Lump sum payments) die verteilungspolitisch sinnvollste Maßnahme dar, auch wenn sie den das eigentliche Problem der Verteilungsungerechtigkeit nicht lösen (Cambridge Econometrics 2021). 

Zudem steht das Emissionshandelssystem seit seiner Etablierung berechtigterweise unter Kritik. Wichtige Reformoptionen wie ein Mindestpreis oder schnellere Abschaffung der kostenlosen Zertifikate wurden nicht aufgenommen, was den Preis einige Jahre zu tief für große Lenkungseffekte blieben lies.

Was bedeutet "Carbon Border Adjustment Mechanism"?

Die Einführung einer CO2-Grenzabgabe macht durchaus Sinn. Sie zieht Unternehmen zur Verantwortung, die vor angemessenen nationalen (bzw. Europäischen) Klimazielen in Drittstaaten “fliehen”, um dort uneingeschränkt produzieren zu können. Eine Ausweitung auf weitere Sektoren, die etwaige Risiken von “Carbon Leakage” bergen, wäre jedoch angebracht. Die europäische Union darf nicht übersehen, dass sie mit dem Import, Konsum und allgemein der Nachfrage von energieintensiven Gütern indirekt für einen großen Teil der im Ausland “produzierten” Emissionen mitverantwortlich ist. Die Einbindung mehrere Sektoren abseits der oben genannten in das CBAM ist deshalb wünschenswert, laut Europäischer Kommission aber noch nicht konkret geplant.

Damit der CBAM funktioniert, müssen mit seiner Implementierung außerdem die Zuteilung kostenloser Emissions-Zertifikate (wie es bis dato mit einem Teil der Zertifikate pro Jahr gehandhabt wird) an Unternehmen der genannten Sektoren auslaufen; das CBAM würde die kostenlosen ETS-Zertifikate sozusagen ablösen. Damit der CBAM für sehr energieintensive, europäische Unternehmen den Anreiz schafft, Emissionen tatsächlich zu reduzieren, kann und darf er nicht mit der Austeilung von kostenlosen ETS-Zertifikaten parallel existieren. Stark zu kritisieren ist deshalb, dass der Gesetzesentwurf, obwohl kostenlose Zertifikate nun an Bedingungen geknüpft werden, kein genaues Datum des Auslaufens kostenloser ETS-Zertifikate vorsieht.

Fazit: Fit for 55 geht in die richtige Richtung, ist aber noch nicht beschlossen

Grundsätzlich ist das Fit for 55 ein adäquates und zu begrüßendes Paket an Maßnahmen für Emissionsreduktionen innerhalb der EU. Auch die angekündigte Einführung eines Sozialfonds und der Rückverteilung von Auktionseinnahmen aus dem Zertifikatshandel an Haushalte mit niedrigen Einkommen klingt dem Titel nach sinnvoll (eine Analyse ist ausstehend). Dennoch sind die Maßnahmen zum Beispiel mit der Ausweitung des ETS und der Einführung eines zweiten ETS stark auf den Marktmechanismus fixiert. Die Maßnahmen sollten jedoch nicht dazu dienen, Steuereinnahmen zu generieren – in erster Linie müssen sie Emissionen durch verändertes Handeln reduzieren. Sollte der Preis von Zertifikaten in einem freien Handelssystem nicht genug steigen, sind die notwendigen Lenkungseffekte in Frage gestellt.

Dazu kommt, dass das Paket Fit for 55 erst Vorschläge der Europäischen Kommission darstellen. Um diese in Umsetzung zu bringen, bedarf es der Zustimmung aller Mitgliedsländer und des Europäischen Parlaments. Es ist mit Gegenwind von einigen Staaten zu rechnen. Konflikte wird es zum Beispiel mit der Automobilherstellernation Deutschland geben, da die Vorschläge zur Transformation des Verkehrssektors auch das Nullemissionsziel (also der Abschaffung von Verbrennungsmotoren) umfassen. Dazu kommt Polen, das seine fossilen Kraftwerke weiterhin betreiben wollen wird.

Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich an das Fehlen eines konkreten Plans zur Erreichung des 1,5 Grad Ziels. Wird dieses Ziel nicht erreicht, werden irreversible Schäden für Mensch & Umwelt erwartet. Das Pariser Klimaabkommen verpflichtet deshalb alle teilnehmenden Länder, alles mögliche zu tun, um das Ziel zu erreichen. Der fehlende Kontext zum Ziel limitiert somit die Glaubwürdigkeit des Gesetzespakets.

Für alle, die sich selbst ein Bild machen wollen:

Die Gesetzesentwürfe und -änderungen sind ab heute hier zugänglich.

Zusammenfassungen und Fact-Sheets zu den einzelnen Sektoren sind hier downloadbar.

Anna Pixer

AUA-Bailout? Nur mit höherer Ticketsteuer

Flugtickets

Es ist alles sehr kompliziert: Geht es um die diskutierte Rettung der Lufthansa-Tochter Austrian Airlines, findet man sich schnell im Zielkonflikt. Die Sorge um Jobs und die Anbindung der österreichischen Wirtschaft stehen auf der einen Seite. Argwohn, mit Steuergeld eine deutsche Aktiengesellschaft in einer massiv umweltschädlichen Branche zu unterstützen, auf der anderen.

Wie könnte eine Bailout-Lösung aussehen, die allen Zielen gerecht wird? Das Momentum Institut hat drei zentrale Handlungsempfehlungen erarbeitet:

1) Zusätzliches Geld für die Luftfahrt über Ticketabgabe wieder zurückführen

Die Luftfahrtbranche ist aus historischen Gründen und durch hartnäckiges Lobbying von den meisten Steuern befreit: so fällt auf Flugtickets keine Mehrwertsteuer an, die Airlines zahlen keine Mineralölsteuer oder Energieabgabe und Flughäfen sind von der Grundsteuer befreit. “Wenn - etwa über ein Bailout - zusätzliches Geld in die Luftfahrtbranche gepumpt wird, sollte im Gegenzug die Flugticketabgabe weiter erhöht werden”, sagt Barbara Blaha, Leiterin des Momentum Instituts.

Die 2011 eingeführte Abgabe wurde in den letzten Jahren mehrmals gesenkt, und soll laut Regierungsprogramm nun unabhängig von der Flugstrecke 12 Euro pro Abflug betragen. Das Momentum Institut empfiehlt eine Anhebung auf 22 Euro. Mit der zusätzlichen Erhöhung um 10 Euro braucht es - je nach Entwicklung der Passagierzahlen ab 2021 - zwischen drei und fünf Jahre, bis das zusätzliche Volumen wieder zurückfließt. Zudem sind durch eine spürbarere Ticketabgabe auch stärkere Lenkungseffekte zugunsten umweltfreundlicherer Verkehrsträger zu erwarten. Und das ist notwendig, denn der besonders klimaschädliche Flugverkehr ist in den letzten Jahren explodiert. Waren es im Krisenjahr 2008 noch 706 Mio. Passagiere in der EU, sind es im Vorjahr mehr als 1.045 Mio. Passagiere.

Andere Organisationen fordern mit Blick auf die Klimakrise sogar eine noch stärkere Erhöhung der Flugticketabgabe für Kurzstrecken – der VCÖ beispielsweise auf 50 Euro. Damit wären die 767 Millionen für die AUA sogar – wieder je nach Entwicklung der Passagierzahlen – nach knapp mehr als einem Jahr wieder ausgeglichen.

2) Umwelt- und sozialpolitische Ziele sollten für die gesamte Branche gelten.

Ein oft gehörtes Argument für einen AUA-Bailout sind die besseren Arbeitsbedingungen im Vergleich zu Billigfliegern. Das ist richtig, aber Wettbewerb sollte mit Innovation, Effizienz und Co. ausgetragen werden und nicht darin bestehen, wer die Löhne am niedrigsten halten kann. Wie in anderen Branchen selbstverständlich, sollte es auch in der Luftfahrt einen einheitlichen Branchen-Kollektivvertrag geben. Ähnliches gilt auch für die Umweltpolitik: die steuerliche Privilegierung der Luftfahrt muss grundsätzlich beendet werden, europäische Bahn-Hochgeschwindigkeitsstrecken weiter ausgebaut.

3) Aus der Bankenrettung lernen

In der Finanzkrise 2008 hat der Staat den strauchelnden Banken mit Partizipationskapital unter die Arme greifen müssen. Eine echte Unternehmensbeteiligung hätte es dem Gemeinwesen ermöglicht, stärker von der Erholung der Unternehmen nach der Krise zu profitieren, wie das in der Schweiz gelungen ist. Hätte man dieses Modell auf Österreich umgelegt, hätte Österreich knapp 4 Mrd. Euro weniger für die Bankenrettung aufwenden müssen. Aus diesem Fehler sollte man nun lernen.

 

Das ideale Umweltministerium?

Die Herausforderungen durch die Klimakrise sind riesig. Obwohl die neue Klima- und Verkehrsministerin Leonore Gewessler ein bereits sehr mächtiges Ministerium übernimmt, ist es doch spannend, ein Gedankenexperiment zu wagen: Wie würde denn eigentlich das ideale, schlagkräftige Umweltministerium aussehen? 

Klarerweise sind die Agenden Umwelt, Energie und Klima unabdingbar für ein Umweltministerium. Diese gingen auch an die neue grüne Ministerin - allerdings gekürzt um die wichtigen Forst- und Wasserressourcen, die Siedlungswasserwirtschaft und das Abfallmanagement. Diese Bereiche gehen an das Landwirtschaftsministerium, letzteres an das Wirtschaftsministerium. 
Genauso logisch mutet es an, das Thema Landwirtschaft und Tourismus im Umweltministerium anzusiedeln. Das ist in der aktuellen Ressortverteilung nicht so. Dabei ist gerade das Landwirtschafts-Ressort eine Schlüsselposition, um ökologisch verträgliche Lebensformen, vor allem durch ökologische Nahrungsmittelerzeugung, möglich zu machen. 

Um eine umfassende Wende einzuläuten, die nicht nur Wirtschaft, sondern auch Gesellschaft transformieren soll, ist gerade die Bündelung von Forschungsaktivitäten eine zentrale Bedingung. Die Zersplitterung der Forschung, die Themenbereichen folgend (z.B. Verkehr, Wirtschaft) unterschiedlichen Ressorts zugeteilt ist, ist genauso lähmend wie die starke Verzerrung hin zur angewandten Forschung. 

Zum Thema Umwelt gehören auch die häufiger werdenden Umweltkatastrophen. Dieser Logik folgend sollte also auch der Katastrophenfonds in ein ideales Umweltministerium eingegliedert werden. Synergien ergeben sich daraus, dass Potentiale und strukturelle Unzulänglichkeiten besser in ihren Konsequenzen eingeschätzt werden können und damit die Gefährdung durch den Eintritt verschiedenster Naturgewalten schneller und/oder leichter abgemildert oder gar verhindert werden könnte. Zur Zeit liegt der mit fast EUR 500 Millionen dotierte Bereich jedoch im Finanzministerium.
Klimaschutz betrifft auch den Konsum. Da auch KonsumentInnen in ihrer Auswahlmöglichkeit und Art des Konsumierens betroffen sind und Spannungen zwischen Herstellern und Konsumenten auftreten werden, könnte auch der Konsumentenschutz in Gewesslers Hand ein Korrektiv sein. 

Wie es nun mit dem Budget des tatsächlichen und eines optimalen Umweltministeriums aussieht, ist im Folgenden grafisch dargestellt. Zusätzlich wird gezeigt, wie die Mittel für einen optimalen Klima- und Umweltschutz auf die Parteien durch die Ressortverteilung aufgesplittert sind. Außerdem haben Ministerien verlängerte Wirkungsbereiche durch die ausgelagerten Einheiten, die ihnen zugeteilt sind. Wichtig sind hier zum Beispiel die ÖBB, die ASFINAG, oder aber auch der Verbund, der dem BMF angehängt und somit der Kontrolle der ÖVP unterstellt ist. Sie sind, der Logik der Budgets folgend, nach ihren Umsätzen dargestellt.