Verteilung
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full

Armut: Der Kanzler und das Leistungsmärchen

Barbara Blaha
04. Oktober 2023
Armut: Der Kanzler und das Leistungsmärchen

Wer zu wenig Geld hat, soll einfach mehr arbeiten, spricht Kanzler Nehammer gewaltig am echten Leben vorbei. Es sind vor allem Frauen, die Teilzeit arbeiten. Fragt man sie warum, antworten über 400.000 Frauen: Es geht nicht anders. Nur 4 von 10 Kindergartenplätzen sind in Österreich mit einem Vollzeitjob vereinbar. Frauen reduzieren ihre Erwerbsarbeitszeit, um Kinder zu betreuen und Alte zu pflegen. Wer freiwillig in Teilzeit arbeitet, muss sich das auch leisten können. Das sind vor allem Menschen mit den höchsten Stundeneinkommen. Ihre Teilzeitquote ist im letzten Jahrzehnt am stärksten gestiegen. Ganz anders am anderen Ende der Einkommensverteilung: Hunderttausende Menschen im Land sind armutsgefährdet, obwohl sie Vollzeit arbeiten. Weil ihre Löhne nicht zum Leben reichen. Weil manche Branchen schlicht nicht genug bezahlen. Und auch das sind vor allem: Frauenbranchen. Im Supermarkt sind 7 von 10 Angestellte Frauen, im Gesundheitsbereich 8 von 10, ähnlich in Reinigung oder Altenpflege. Es sind die Systemerhalterinnen, die in Krisenzeiten das Land am Laufen halten, übermenschlich viel leisten müssen und unterirdisch schlecht bezahlt werden. Wer da mit dem alten Märchen „Leistung muss sich lohnen“ die Verantwortung auf die einzelne Frau abschiebt, ist zynisch. Stattdessen sollte sich der Bundeskanzler um politische Lösungen kümmern. Die liegen längst am Tisch: Eine flächendeckende, kostenlose Kinderbetreuung, damit auch Frauen einer Vollzeitbeschäftigung nachgehen können. Eine verpflichtende Väterkarenz, um unbezahlte Betreuungspflichten fairer zwischen aufzuteilen. Damit Armut nicht länger vererbt wird, hilft eine Kindergrundsicherung. Wer dennoch durchrutscht, den muss das soziale Netz auffangen, und zwar mit Sozialleistungen über der Armutsschwelle. Damit niemand mehr mit voller Wucht ganz unten aufschlägt. 

 

Dieser Text erschien zunächst als Gastkommentar in der Kleinen Zeitung.

Anzeige
Alles
Text
Grafiken
filter filter