Klima
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Aufbruch statt Pessimismus: Europa als wirtschaftlicher Gewinner der Klimazukunft

Oliver Picek
03. August 2021
Aufbruch statt Pessimismus: Europa als wirtschaftlicher Gewinner der Klimazukunft

Eine Replik auf Hans-Werner Sinn

In einem Gastkommentar in der Presse vom 28. Juli malt Hans-Werner Sinn wieder einmal schwarz. Die europäische Klimapolitik werde den „Lebensstandard der Europäer beinträchtigen“ und die Industrie mit „zentralplanerischer Steuerung“ wettbewerbsunfähig machen. Abseits der gesetzten Reizwörter für staatsskeptische Fans, ist etwas dran an seinen Behauptungen?

Die graue Theorie des grünen Paradoxons

Sinn bemüht für die Analyse eine alte These des grünen Paradoxons. Verbrenne ein klimafreundliches Europa weniger Öl und senke den Weltmarktpreis, täten es andere Länder umso mehr. Schlimmer noch, die Aussicht auf niedrigere Preise könne die ölproduzierenden Länder dazu verleiten, ihre Ressourcen schneller auszubeuten und den Klimawandel anzuheizen. Diese These ist auffallend pessimistisch: sie stimmt nur, wenn sich China, Indien und die USA in den kommenden Jahrzehnten der Klimapolitik dauerhaft verweigern und alle Ölreserven aufbrauchen. Außerdem muss gelten, dass erneuerbare Energien nicht unbegrenzt verfügbar sind und nicht billiger werden als fossile Energieträger. Hier zeigt sich ein Mangel an empirischer Auseinandersetzung mit der Gegenwart: Denn was 2010 noch plausibel erschien, ist es heute nicht mehr. Ein Jahrzehnt an technischem Fortschritt hat die Preise für erneuerbare Energie massiv gesenkt. Die Kosten für Photovoltaik fielen um 90%, jene für Windturbinen halbierten sich – kein Ende in Sicht. Das ist schon jetzt wettbewerbsfähig: Neue Wind- und Solarenergieanlagen produzierten 2019 meist billiger als die günstigsten Kohlekraftwerke. China und die USA machen beim weltweiten Ausbau fleißig mit. Wird erneuerbare Energie günstiger, verdrängt sie auf absehbare Zeit fossile Energie – hoffentlich vollständig. Ein Teil des Öls kann dann in der Erde bleiben, der Klimawandel wird aufgehalten. Sinns grünes Paradoxon bleibt graue Theorie.

Klimapolitik: Eine globale CO2-Steuer reicht nicht aus

Vor allem bringt Sinn selbst kaum Vorschläge, wie er die Menschheit vor der Überhitzung des Planeten retten will. Seine alleinige Lösung ist eine globale CO2-Steuer, damit alle mitmachen. Die würde zwar wirken, bleibt jedoch politisch völlig außer Reichweite. Zur Abwendung bzw. Abmilderung der Klimakatastrophe muss alles getan werden, was hilft – sei es auch unperfekt. Die Zeit, auf vermeintlich perfekte Policy-Lösungen zu warten, haben wir schlicht nicht. Damit wird aber die Fixierung auf eine einzige „Marktlösung“ Teil des Problems. Nicht zuletzt zeigt die Vergangenheit, dass erfolgreicher Umweltschutz wenig „Preise“ braucht. FCKWs wurden schrittweise ausgetauscht, um das Ozonloch zu stoppen. Auch beim Waldsterben durch sauren Regen ließ man Firmen nicht die Wahl, den Wald nach Bezahlung weiter zu zerstören. 

Verbote, Förderungen, Regulierungen, klare politische Vorgaben – so ungeliebt sie sein mögen – müssen Teil des Werkzeugs bleiben, damit die ungesteuerte Hand des Marktes die Umwelt nicht zerdrückt. Dass erneuerbare Energie heute leistbar ist, liegt am jahrelangen Erfindungsgeist des Menschen – organisiert in innovativen privaten Firmen, hingelenkt zur notwendigen Technologie durch aktive Staaten. Deswegen empfehlen führende KlimaökonomInnen so lange Forschungsförderungen und Steuerbegünstigungen für erneuerbare Energie, bis diese Öl und Kohle preislich deutlich unterbietet. Nur mit klarer politischer Handlungsanleitung kann die europäische Industrie ein verlässliches Geschäftsfeld für klimarelevante Technologie vorfinden und wieder weltweiter Marktführer werden. Dazu gehören auch Gewinne, sobald die übrige Welt sieht, dass Klimaschutz auch kostengünstig machbar ist und nachzieht. Schädlich für den europäischen Lebensstandard wäre das allemal nicht. Und vor allem bietet es uns die Chance, unseren Kindern einen halbwegs intakten Planeten zu übergeben.

 

Dieser Text erschien zunächst als Replik auf einen Gastkommentar von Hans-Werner Sinn in Der Presse.

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