2023 haben Unternehmen ihren Beschäftigen 46,6 Millionen Überstunden im Wert von 1,5 Milliarden Euro nicht ausbezahlt. Im Schnitt war vergangenes Jahr jede vierte geleistete Überstunde unbezahlt. Tendenz stark steigend: 2021 lag der Schaden durch Lohnraub noch bei einer Milliarde Euro.
Beinahe alle, die zu Unrecht Sozialleistungen beziehen, schaffen es in die Hauptseiten einer großen Tageszeitung. Wer in ein Haus einbricht, steht zumindest manchmal in den Bezirksblättern. Kaum berichtet wird hingegen über ein Phänomen, das weit größere Schadenssummen verursacht: Lohnbetrug. Überstunden, die Beschäftigte leisten, die aber das Unternehmen weder bezahlt noch als Zeitausgleich ersetzt. Die Zahlen sprechen für sich: Mittels unbezahlter Überstunden haben Unternehmen ihren Mitarbeiter:innen allein 2023 einen Schaden von 1,5 Milliarden Euro zugefügt. In vielen Branchen ist der Druck hoch, die Angst den Job zu verlieren groß. Von der Supermarktmitarbeiterin, die alle Vorbereitungen bis zur Ladenöffnung abschließen muss, bis zur Pflegefachkraft, die nicht einfach alles stehen und liegen lassen kann – überall entstehen Lücken, die durch Mehrarbeit gefüllt werden.
Wird Mehrarbeit nicht abgegolten, geht den Mitarbeiter:innen ein beträchtlicher Anteil ihres Einkommens verloren. Die Dimension des Phänomens wird gewaltig unterschätzt. Zum Vergleich: Der gesamte Schaden in Österreich durch Eigentumsdelikte (Diebstahl und Einbruch) betrug weniger als ein Viertel davon. Gegen Sozialleistungsbetrug geht die Bundesregierung mit voller Härte vor. Sie hat eigens eine Task Force eingerichtet. Dabei macht der Sozialbetrug mit 14 Millionen Euro nicht einmal ganz ein Prozent der Summe des Lohnraubs aus. Also wo bleibt eigentlich die Task Force gegen Lohnbetrug?
Nicht nur die Höhe des Schadens, auch der Aufwärtstrend in den letzten Jahren bereitet Sorge. Noch 2019 wurde der Lohnraub auf 885 Millionen Euro geschätzt. Durch Corona und Lockdowns im Krisenjahr 2020 fiel er temporär auf 682 Millionen Euro. Ein Jahr später klettert der Schaden mit einer Rekordsumme erstmalig über die Milliardengrenze. 2022 belief sich die Schadensumme auf 1,4 Milliarden Euro.
Dazu kommt: Auch beim Lohnraub gibt es einen Gender Gap – und Frauen steigen, wie so oft, finanziell schlechter aus. Der Anteil unbezahlter Überstunden ist für Frauen wesentlich höher. Wurden im Jahr 2023 24,6 Prozent der Überstunden von Männern nicht vergütet, betrug der Anteil bei den Frauen 28,1 Prozent. In beiden Fällen ist der Schaden für die Beschäftigten enorm. Aber nicht nur das, auch dem Staat entgehen Einnahmen. Einerseits sind Überstunden – wenn sie denn vergütet werden – lohnsteuerpflichtig, andererseits fallen Sozialversicherungsbeiträge an.
Und dennoch: Lohnbetrug bleibt in den meisten Fällen ungestraft. Selbst wenn sich ein:e Arbeitnehmer:in wehrt, sind die Verfallsfristen, um unbezahlte Überstunden einzufordern, teils enorm kurz: Oft ist nach wenigen Monaten nichts mehr einklagbar. In Sachen Lohnraub wäre es also höchste Zeit für eine ernsthaft arbeitende Task Force. Im ersten Schritt sollte aber jedenfalls dafür gesorgt werden, dass wir die Kontrollen in diesem Bereich verstärken. Lohnraub ist kein Kavaliersdelikt. Geleistete Arbeit muss entsprechend honoriert werden. Vor allem finanziell.
Dieser Text erschien zunächst als Kolumne bei ZackZack.