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/ 17. Oktober 2023

Arme Menschen stehen unter Generalverdacht: Wer arm ist, wird schon irgendwie daran schuld sein. Und wer schuld ist, der verdient weder unser Mitgefühl noch unsere Achtung.

Jedes fünfte Kind in Österreich wächst in einer armen Familie auf. Arm heißt: 22.000 Euro im Jahr (oder noch weniger) ist das Familienbudget, wenn die Mama das arme Kind allein großzieht. In so einer Familie reicht die Erhöhung der Miete oder des Stroms um zehn Prozent für schlaflose Nächte. Kein Sparbuch, kein Erbstück, nicht einmal ein Sparschwein helfen über das Monatsende drüber. 

Jedes fünfte Kind. Wer angesichts dieser Zahl Armut nicht bekämpfen will, dem bleibt nur die Attacke auf die Armen. Armut sei ein Charakterfehler, sagte die konservative Säulenheilige Margaret Thatcher. Ihre alpinen Parteifreund:innen machen ihr vierzig Jahre später alle Ehre.

Eine Abgeordnete der Kanzlerpartei fordert öffentlich auf, Eltern beim Jugendamt anzuzeigen, die ihre Kinder hungrig in die Schule schicken. Ein schwarzer Funktionär erinnert an den Familienbonus, der doch gegen Kinderarmut helfe. Dass der Bonus für Besserverdienende maßgeschneidert worden ist: egal! Mit dem Bonus ersparen sich gut verdienende Eltern bis zu 1.500 Euro Steuern im Jahr. Eltern mit schlecht bezahlten Jobs schauen komplett durch die Finger. 

Die Verachtung gegenüber Armen wird nicht nur über Gesetze und Verordnungen ausgestellt, die sie aktiv benachteiligen. Sondern auch auf kultureller Ebene. Arme Menschen werden öffentlich als faul, unzuverlässig, dumm, egoistisch und unreif dargestellt. Wer arm ist, ist vor allem dumm – wie jüngst in der ORF-Sendung “Zur Sache” Immobilien-Millionär Gerald Hörhan ausgeführen durfte. Oder mindestens faul. Susanne Raab, Familienministerin – ausgerechnet, stimmt das gleiche Lied an, wenn sie meint: “Auf den Faktor Arbeit darf man in der Debatte nicht vergessen, denn das beste Mittel gegen Armut ist und bleibt die Erwerbsarbeit." Über diesen Tipp wird sich die alleinerziehende Mama sicher sehr freuen. Die – leider, leider! – Teilzeit arbeiten muss, weil der Kindergarten zu Mittag zusperrt. Oder deren Ex-Mann einfach den Unterhalt nicht zahlt. Auch die Mindestpensionistin, die jedes Monat mit knapp 1.000 Euro auskommen muss, wird sich bedanken für den tollen Ratschlag, doch endlich arbeiten zu gehen.  

Diese Armen, denen kann man eben nicht trauen. Die muss man wirklich an alles erinnern. Sogar daran, dass sie sich bitte um ihre Kinder kümmern sollen. Familienministerin Raab hat vor dem Sommer bei der Präsentation der 60-Euro-Sonderzahlung pro Kind an armutsgefährdete Familien deshalb zu Protokoll gegeben: “Das Zusatzgeld soll im Sinne der elterlichen Verantwortung auch zum Wohle der Kinder für diese gut eingesetzt werden."

Nicht auszudenken, die Armen würden das Geld zu McDonalds tragen, um Hamburger zu kaufen. Wer selbst schuld ist an der eigenen Misere, über den darf man alles sagen. Die unverhohlene, offene Verachtung für arme Menschen ist in Österreich salonfähig. Auf die darf man schimpfen. Wärst halt nicht schwanger geworden.  Hättest dich halt nicht scheiden lassen. Wärst halt nicht krank geworden. Hättest den Job halt nicht verloren.  

Die Ernährungstipps des glücklosen Kanzlers waren deshalb weder ein Hoppala noch ein Unfall. Arme Kinder, ja, die sind unschuldig. Ihre Eltern aber, die tragen die Verantwortung dafür. Die Regierung hat es seit ihrem Antritt vor vier Jahren nicht einmal geschafft, einen Aktionsplan gegen Kinderarmut vorzulegen. Den die EU seit Jahren von uns einfordert. Das ist kein Versehen. Das ist Absicht. Wer keine Ambitionen hat, die Kinderarmut zu bekämpfen, der braucht auch keinen Plan dafür.

Denn wer über Kinderarmut reden will, der kann von der Armut allgemein nicht schweigen: Arme Kinder haben immer auch arme Eltern. Während wir heute wenigstens Kindern keine Schuld mehr für ihre Armut geben, gilt das für ihre Eltern nicht. Im Gegenteil. Eine Gesellschaft, die sich darin gefällt, alles einem angeblichen Leistungsprinzip unterzuordnen; die Individualismus und Wettbewerbsfähigkeit als Tugenden vor sich her trägt, schiebt Armen die Schuld für ihre Armut zu. Selbst schuld, wer sich am Markt nicht durchgesetzt hat.

Die zynische Wahrheit ist: Die Thatchers, die Raabs und die Nehammers, die brauchen die Armut im Land. Ein Land ohne Armut: Das wäre ja eine Gefahr für den Wirtschaftsstandort. Am Ende könnten die ja Forderungen durchsetzen! Stellen wir uns vor, Menschen müssten bei schlechten Arbeitsbedingungen oder miesem Gehalt keine Angst vor Armut haben. Sie könnten einfach sagen: Unter diesen Bedingungen arbeite ich nicht.  

Mit anderen Worten: Armut ist ein Disziplinierungsinstrument. Weil unsere Sozialsysteme nicht armutsfest sind, ist Angst vor Armut bis weit in die Mittelschicht hinein verbreitet. Wer Kinderarmut bekämpfen will, darf deshalb nicht von Armut und ihrer Funktion im Kapitalismus schweigen. Wenn wir dafür sorgen wollen, dass es keine armen Kinder mehr gibt, dann müssen wir die Armut als Ganzes besiegen.

Dieser Text erschien zunächst als Kolumne im Profil.

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