Die Inflation ist 2021 aus drei Gründen wieder Thema geworden. Gegen alle drei kann die Europäische Zentralbank (EZB) wenig ausrichten, auch wenn ihre Kritiker schon lautstark Zinserhöhungen fordern. Abwarten bleibt beste Option.
Der Inflationsgrund Nummer 1 ist pure Statistik. Mit Ausbruch der Krise Anfang 2020 fielen die Preise für Öl und Gas ins Bodenlose. Der Energiehunger der Weltwirtschaft endete abrupt, als uns das neue Virus den Stillstand in Form von Lockdowns aufzwang. Sobald die Wirtschaft wieder erwachte, schossen die Energiepreise auf das ursprüngliche Niveau. Das rüttelt die Inflationsmessung gehörig durcheinander. Am besten lässt sich das mit der Happy Hour in einer Bar vergleichen: Für eine Stunde halbiert sich der Preis eines Cocktails. Danach verdoppelt sich der Preis schlagartig – in Wahrheit verlangt die Bar das gleiche wie vor der Happy Hour. Misst man die Preiserhöhung im Stundenabstand, herrscht nach der Happy Hour eine dramatisch hohe Teuerung, die so gar nie stattfand. Die tatsächliche Teuerung über zwei Jahre gerechnet lag bei relativ normalen 2,7%, ein wenig über dem Inflationsziel der Zentralbank.
Zweitens steckt Europa am Beginn einer Energiekrise. Auf den Gasmärkten herrscht Panik, weil Russland nicht genug Gas nach Europa liefert. Truppenaufmärsche an der ukrainischen Grenze tun ihr übriges. Weil hochpreisiges Gas den Strompreis bestimmt, verteuert es Strom für Betriebe und Haushalte.
Der dritte Inflationsfaktor ist eine Änderung des Konsumverhaltens. Kontaktbeschränkungen verunmöglichen den Konsum von Dienstleistungen, deswegen geben weltweit Menschen mehr Geld für Güter aus. Grafikkarte statt Urlaubsreise, Fahrradkauf statt Gasthausbesuch. Lieferengpässe sind die Folge. Von 3,7 Prozent Inflation im Oktober gehen 2,1 Prozentpunkte auf diese Faktoren zurück. Was ihnen gemein ist: Die Inflation rührt von einer Knappheit des Angebotes her.
Gegen diese Art der Inflation ist die Zentralbank zunächst machtlos. Haut sie mit der Zinskeule drauf, fügt sie corona-gebeutelten Betrieben bleibende Schäden zu und gefährdet die vollständige wirtschaftliche Genesung. Gerechtfertigt wäre das nur, wenn die Energieknappheit permanent bleibt und sich Arbeitgeber:innen und Arbeitnehmer:innen mittels Lohnforderungen und Preiserhöhungen um den übrigen, kleineren Kuchen streiten. Einschreiten muss sie auch, wenn sich Erwartungen höherer Inflation verselbstständigen sollten. Nach beidem sieht es noch nicht aus. Tatsächlich ist ein schöneres Ende denkbar: die statistische „Happy Hour“ ist bald vorbei, der Konflikt mit Russland beruhigt sich, wir bekommen Corona mit Impfungen und Medikamenten unter Kontrolle. Ob die Zukunft so kommt, können wir erst in ein paar Monaten einschätzen.
Wie auch die EZB. Bis dahin tut sie gut daran, ihren Keulenschwung zurückzuhalten. Selten, aber doch kommt es vor, dass das österreichische „Schau ma mal“ für die Geldpolitik die beste Taktik ist. Zumindest bis zum Frühjahr.
Nicht so für die Fiskalpolitik. Sie muss die Folgen der Inflation für arme Haushalte ausgleichen. Ein höheres Arbeitslosengeld, aber auch Heizkostenzuschüsse könnten das. Höhere Zinsen auf Sparvermögen hingegen bringen finanziell schlechter gestellten Menschen hingegen nichts. Denn sie besitzen keines.
Der Text erschien als Gastkommentar in der „Wiener Zeitung“.