Rund 57.000 ukrainische Geflüchtete haben sich mit Stand letzter Woche bereits in Österreich registriert, 70 Prozent davon sind Frauen, viele mit Kindern. Weil die Grundsicherung nur wenig Geld auszahlt, werden viele Geflüchtete über kurz oder lang nach bezahlter Arbeit suchen.
Das Momentum Institut hat alle rund 1.500 Stellen von der AMS-Jobplattform analysiert, die sich explizit auch an Ukrainer:innen richten. Dabei zeigt sich: Österreichische Unternehmen bieten Ukrainer:innen besonders häufig Niedriglohnjobs an. Rund 6 von 10 der beim AMS angebotenen Stellen wurden mit einem Gehalt von unter EUR 1800 (brutto/Monat) ausgeschrieben. Die Mehrzahl der Betriebe gibt ein Gehalt an, das am Kollektivvertrag liegt.
Betriebe in Tourismusregionen und der Gastronomie suchen besonders häufig nach ukrainischen Arbeitskräften. Angesichts der niedrigen Gehälter besteht die Gefahr, dass einige Betriebe die Situation der Ukrainer:innen ausnutzen und niedrigere Gehälter bezahlen, als der Markt mittlerweile den Arbeitnehmer:innen zugesteht. Damit das nicht passiert, empfiehlt das Momentum Institut einen Mindestlohn bei EUR 1.800 brutto im Monat und Nachschärfungen bei arbeitsrechtlichen Schutzbestimmungen.
Das Momentum Institut hat für den Stichtag 12.4.2022 die AMS-Jobplattform „Alle Jobs“ ausgewertet. Untersucht wurden jene 1.525 Stellen, die sich in der Job-Beschreibung auch spezifisch an Ukrainer:innen richten. Diese offenbarte nicht nur, für welche Berufe Arbeitgeber:innen besonders stark auch Ukrainer:innen suchen, sondern auch zu welchem Lohn diese ausgeschrieben sind.
Viele offene Stellen sind im Bereich der Gastronomie und Hotellerie zu finden. Am häufigsten werden Restaurantfachmänner/-frauen, Köche/Köchinnen, Küchenhilfskräfte und Raumpfleger:innen gesucht. Außerhalb der Gastronomie werden zum Beispiel auch Stellen als Produktionshilfskräfte oder Softwarentwickler:innen ausgeschrieben.
Neben der Tätigkeitsbeschreibung enthält jede Job-Ausschreibung beim AMS auch den Lohn, mit welchem die Stelle vergütet wird. Die drei am häufigsten angebotenen Jobs sind in der Gastronomie vorzufinden – und da die Gastronomie und Hotellerie trotz des starken Personalmangels für vergleichsweise niedrige Löhne bekannt ist, lohnt sich hier eine genauere Analyse der offenen Stellen.
Eine Übersicht über alle ausgeschriebenen Stellen macht die Konzentration der Jobs mit niedrigem Lohn deutlich. Die angegebenen Gehälter der beim AMS ausgeschriebenen Jobs liegen zu 56% unter EUR 1800 brutto. Knapp ein Viertel (23%) bietet EUR 1.600 oder darunter, 13% bietet zwischen EUR 1.600 und 1.700 Lohn. Damit befindet sich der überwiegende Teil der Jobs im unteren Lohnsegment.
Die am häufigsten ausgeschriebenen Jobs sind Restaurantfachfrauen und -männer („Kellner:in“), Köch:innen, sowie Küchenhilfskräfte. Ein Blick auf die Berufsgruppe der Restaurantfachfrauen und -männer zeigt ein drastisches Bild. Eine Ausbildung für diesen Beruf dauert durchschnittliche drei Jahre und dennoch werden über 80 Prozent der ausgeschriebenen Stellen mit weniger als EUR 1.800 entlohnt.
Vergleicht man den ausgeschriebenen Lohn mit dem durchschnittlichen Kollektivvertrag für Restaurantfachfrauen und –männer in Österreich (EUR 1.678), wird dieser von ca. 38 Prozent der Stellen unterboten. Hier sind die Stellen entweder falsch kategorisiert oder sie bezahlen tatsächlich unter dem Kollektivvertrag. In vielen Fällen sind Stellen als Restaurantfachmann/-frau ausgeschrieben, geboten wird aber nur der kollektivvertragliche Lohn einer Küchenhilfskraft bzw. sonstiger Servicekräfte von EUR 1.575.
Der Mindestlohn für Köchinnen und Köche mit weniger als zwei Jahren Berufserfahrung liegt österreichweit durchschnittlich bei EUR 1.659. Die Lohnverteilung für diesen Beruf zeigt: über 40% der Stellen sind mit weniger als EUR 1.700 brutto ausgeschrieben. Hier ist es ebenfalls möglich, dass Stellen falsch kategorisiert sind und nur der kollektivvertragliche Mindestlohn für eine Küchenhilfskraft bzw. einer sonstiger Servicekräfte von EUR 1.575. geboten wird.
Der Lohn für Küchenhilfskräfte ist insgesamt auf ein kleineres Intervall verteilt. Kein Job wird hier mit mehr als EUR 2.600 vergütet. Der KV-Mindestlohn liegt für diesen Beruf österreichweit bei EUR 1.575. Mehr als die Hälfte der ausgeschriebenen Stellen bezahlt unter EUR 1.600 und erfüllt damit gerade einmal das gesetzliche Minimum.
Besonders bemerkenswert ist die regionale Verteilung der offenen Stellen: Fast ein Drittel entfällt auf Tirol. Die bevölkerungsreichen Bundesländer Wien, Niederösterreich und Oberösterreich haben zusammen weniger Stellen für Ukrainer:innen ausgeschrieben als Spitzenreiter Tirol.
Die Analyse der regionalen Verteilung auf einer Ebene darunter, nämlich auf Ebene der politischen Bezirke, unterstreicht die Suche der Betriebe in der Gastronomie- und Hotellerie. Österreichweit werden die meisten Stellen in den Tourismusbezirken Schwaz, Kitzbühel und Spittal an der Drau gesucht.
Analyse zeigt außerdem, dass fast zwei Drittel der offenen Stellen Vollzeitstellen sind. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass insbesondere alleinerziehende Geflüchtete ein gut ausgebautes Kinderbetreuungsangebot brauchen, um überhaupt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen zu können. In den ländlichen Regionen ist das Kinderbetreuungsangebot jedoch oft unzureichend. Unternehmen, die für ukrainische Arbeitskräfte attraktiv sein wollen, sollten ein Betreuungsangebot für Kinder in Betracht ziehen. Lediglich eine einzige der rund 1.500 analysierten offenen Stellen bietet explizit eines an. Die meisten Stellen erfordern außerdem Deutschkenntnisse: nur 748 der 1525 Stellen erfordern nicht explizit Sprachkenntnisse in der Ausschreibung. Ob eine Unterkunft verfügbar ist oder nicht, wird nur in 16 Prozent der Inserate diskutiert. Eine Anmerkung zur Überzahlung gibt es bei 31 Prozent der offenen Stellen.
Kollektivvertraglichen Mindestlohn von EUR 1800 einführen
Die Sozialpartner und die Bundesregierung sollten sich auf einen Mindestlohn von EUR 1800 Euro brutto im Monat einigen.
Förderstopp für Unternehmen, die wiederholt gegen das Arbeitsrecht verstoßen
Neben anderen Branchen setzen auch manche Betriebe in der Gastronomie auf ungesetzliche überlange Arbeitszeiten oder unbezahlte Überstunden. Betriebe, die nachweislich wiederholt gegen das Arbeitsrecht verstoßen, sollten vom Arbeitsinspektorat an das AMS und an Förderinstitutionen (wie die Hotel- und Tourismusbank) gemeldet werden. Diese entziehen ihnen anschließend staatliche Geld- und Dienstleistungen von der Stellenvermittlung bis hin zu diversen staatlichen Förderungen. Derzeit findet diese Kommunikation zwischen den Behörden nicht statt.
Lücken im Arbeitsrecht schließen
Zur Umgehung von Mindestlöhnen und Arbeitszeiten setzen manche Unternehmer auf Schein-Selbstständigkeit, freie Dienstverträge oder Leiharbeit. Für Schein-Selbstständige gibt es aktuell keine Mindestlöhne, womit kollektivvertragliche Mindestlöhne – etwa in der 24-Stunden-Pflege – umgangen werden. Für diese braucht es eine gesetzliche Grundlage. Freie Dienstnehmer wiederum müssen in Kollektivverträge einbezogen werden. Beschäftigte in Leiharbeitsjobs sollten zudem in allen Branchen nach sechs Monaten fest angestellt werden müssen.