Die Schwere zwischen Löhnen und Preisen geht immer weiter auseinander
/ 14. Juli 2023

Das Land kämpft aktuell mit einer Rekordhitze. Der Herbst könnte aber noch heißer werden, zumindest in den Verhandlungsräumen der Sozialpartner. Denn im September startet die jährliche Herbstlohnrunde: Gewerkschaft und Wirtschaftskammer verhandeln die Lohnerhöhungen für das kommende Jahr. Angesichts der Rekordinflation dürfte es heuer besonders hitzig werden, bedeutet die Teuerung doch für Österreichs Beschäftigte erhebliche Kaufkraftverluste. 

Preise hängen Löhne ab

Während die Preise in den vergangenen dreieinhalb Jahren so stark erhöht wurden, wie seit den 70er-Jahren nicht mehr, hinken die Löhne zeitverzögert hinterher. Um fast 22 Prozent legten die Preise seit 2019 zu. Die Löhne werden nur einmal im Jahr verhandelt und erst im Folgejahr angepasst. Sie können mit dem Tempo der Preise nicht mithalten. Die kollektivvertraglichen Mindestlöhne wuchsen im gleichen Beobachtungszeitraum um nur 15,5 Prozent. Das Resultat: Statt einer Preis-Lohn-Spirale sehen wir eine Preis-Lohn-Schere. Die Preise hängen die Löhne ab.

Einkommensgewinn eines Jahrzehnts vernichtet

Die Kaufkraftverluste, die dadurch für die Beschäftigen entstehen, sind drastisch. Trotz steigender Löhne können sie sich immer weniger von ihrem Einkommen kaufen. Im Mai 2023 war die Kaufkraft der Beschäftigten mit Tariflöhnen – den kollektivvertraglichen Mindestlöhnen – so gering wie seit elf Jahren nicht mehr. Die Teuerung hat für diese Beschäftigten den Einkommensgewinn eines ganzen Jahrzehnts vernichtet. Ohne die Lohnerhöhungen Anfang des Jahres wäre die Lage noch trister: Im Oktober 2022, noch bevor die letzte Herbstlohnrunde erste Erhöhungen bewirkte, war die Kaufkraft der Tariflöhne so niedrig wie zuletzt 2005.

Langsame Lohnanpassung

Schuld an dieser miserablen Entwicklung der Reallöhne in den vergangenen Jahren sind aber weniger zu geringe Lohnabschlüsse der Gewerkschaft. Es ist viel mehr das zeitverzögerte System, mit dem wir in Österreich die Löhne anpassen. Wenn im September 2023 die Lohnverhandlungen starten, ist deren Grundlage die durchschnittliche Teuerungsrate der vergangenen zwölf Monate. Folgt dann erst zu Beginn des nächsten Jahres, also am 1. Jänner 2024, die beschlossene Erhöhung, stammt die Inflationsrate, die dieser Lohnerhöhung zu Grunde liegt, zum Teil aus dem September des Vorvorjahres. Von einer Preiserhöhung der Unternehmen bis zur Lohnerhöhung für Beschäftigte vergehen so bis zu 1,5 Jahre. Das führt in Zeiten enormer Teuerung dazu, dass die Schere zwischen Löhnen und Preisen immer weiter aufgeht.
Die gute Nachricht: Sinkt die Teuerung, kommt dieses System wiederum den Beschäftigten zugute. Die Lohnverhandlungen werden dann auf Basis einer hohen Inflation geführt. Auch wenn dann die aktuelle Teuerungsrate bereits wesentlich niedriger liegt. Die schlechte Nachricht: Der Kaufkraftverlust der vergangenen Jahre ist so stark, dass er wohl nicht in einem Jahr aufzuholen ist. Bis sich die aufgegangene Preis-Lohn-Schere also wieder schließt, wird es eher zwei, wenn nicht sogar drei Lohnrunden brauchen, in denen die Gewerkschaften deutlich über der Teuerungsrate abschließen. Klar muss auch sein: Ohne ordentliche Lohnrunde im Herbst, bleiben die Arbeitnehmer:innen auf dem Großteil ihrer Verluste sitzen.

 

Dieser Text erschien zunächst als Teil der Kolumne "Ausgerechnet".

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