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Die Welt der Arbeit ist im Umbruch. Wie verteilen wir Arbeit besser? Unter welchen Bedingungen müssen wir arbeiten? Können wir unsere Arbeitszeit verkürzen?

März 2024: Deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit

Arbeitslosigkeit April 2024

Die Lage am österreichischen Arbeitsmarkt verschlechterte sich im vergangenen Monat weiter. Im April 2024 ist die Arbeitslosigkeit in Österreich um 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Insgesamt waren etwa 370.000 Menschen ohne Beschäftigung. Die Arbeitslosenquote hat sich somit auf 8,6 Prozent erhöht. Dem gegenüber stehen rund 95.000 offene Stellen, rund 20.000 weniger als noch vor einem Jahr. Das Verhältnis von Arbeitslosen zu offenen Stellen verschlechtert sich damit erneut. Auf eine offene Stelle kommen aktuell im Schnitt 3,9 Arbeitslose. Vor einem Jahr waren es im Schnitt nur 2,9.

370.000 Arbeitslose und 95.000 offene Stellen im April 2024

Arbeitslose und offene Stellen 2024

Bau und Industrie besonders stark betroffen

Die Zunahme der Arbeitslosigkeit betrifft alle Wirtschaftssektoren, wobei die Baubranche mit einem Anstieg von 20 Prozent am härtesten getroffen ist. Die hohen Zinsen der EZB beeinträchtigen vor allem die kreditfinanzierten Bauprojekte. Trotz des von der Regierung vorgestellten Bau-Konjunkturpakets zur Stärkung der Nachfrage bleibt eine spürbare Verbesserung bislang aus. Auch die Industrie verzeichnet mit 18 Prozent einen signifikanten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Im Handel sind die meisten Menschen vom Anstieg der Arbeitslosigkeit betroffen. Rund 6.400 Menschen mehr als vor einem Jahr sind aktuell aus der Handelsbranche erwerbsarbeitslos.

Veränderung der Arbeitslosigkeit nach Sektor April 2024

Oberösterreich mit höchstem Anstieg

Der starke Anstieg der Arbeitslosigkeit in der Industrie schlägt sich auch auf die regionalen Unterschiede durch. Oberösterreich, ein Bundesland, das für seine Industrieregionen bekannt ist,  verzeichnet mit 17,5 Prozent den stärksten Anstieg der Arbeitslosigkeit. Die Steiermark schneidet mit einem Anstieg von 13,3 Prozent am schlechtesten ab. Im Gegensatz dazu weist Kärnten mit einem Anstieg von 6,1 Prozent den geringsten Anstieg auf.

Veränderung der Arbeitslosigkeit nach Bundesland April 2024

Ausblick ungewiss

Die Prognosen für das restliche Jahr sind verhalten. Das prognostizierte leichte Wirtschaftswachstum dürfte nicht ausreichen, um den Arbeitsmarkt wesentlich zu stabilisieren. Gleichzeitig sollte das Wachstum stark genug sein, dass sich der Trend nicht noch zusätzlich verschlechtert. Sollte die Europäische Zentralbank ihre Zinspolitik lockern, könnte dies besonders dem Bausektor zugutekommen und die Wirtschaftslage verbessern. Für das Jahr 2025 stehen die Chancen auf eine Erholung des Arbeitsmarktes besser.

Tag der Arbeitslosen: Jugendarbeitslosigkeit in Wien am höchsten

Ein Junge im Teenageralter sitzt im Schneidersitz auf einer grauen Treppe und sieht bedrückt auf sein Smartphone.

Am 30. April wird jährlich der Tag der Arbeitslosen begangen, um auf die prekäre Lage von Erwerbsarbeitssuchenden Menschen aufmerksam zu machen. Zum Anlass hat das Momentum Institut die Erwerbssituation von Jugendlichen (15-24-Jährige) in Österreich nach Bundesländern und Branchen untersucht.  

Die Analyse zeigt: Österreichweit sind 12 Prozent der Jugendlichen erwerbsarbeitslos. Zur Analyse werden nur Jugendliche herangezogen, die dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, sprich keine Schule oder Universität besuchen oder eine Lehre absolvieren. Am höchsten ist die Quote der Jugendarbeitslosigkeit in Wien. Die Arbeitslosenquote beschreibt den Anteil der Arbeitslosen an der Erwerbsbevölkerung. Den höchsten Anstieg zeigen die Daten mit 16 Prozent in Tirol sowie österreichweit in den Branchen Transport, Bau und Gastro.

Während im März 2024 die Arbeitslosenquote der Menschen im Alter von 25 Jahren und älter 8 Prozent betrug, sind es bei den Jugendlichen (16-24-Jährige) 12 Prozent. In Wien war im März 2024 mit 22 Prozent jede:r fünfte Jugendliche, der dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht, erwerbsarbeitslos. Das macht die Bundeshauptstadt somit zur ungewollten Hochburg der Jugendarbeitslosigkeit im Land. Die zweitgrößte Jugendarbeitslosigkeit hat das Burgenland mit 13 Prozent – 9 Prozentpunkte weniger als in Wien.  

Tirol weist zwar im März 2024 mit 5 Prozent die geringste Jugendarbeitslosigkeit auf, allerdings stieg sie im Vergleich zum Vorjahresmonat (März 2023) mit 16 Prozent dort am stärksten von allen Bundesländern. Dicht gefolgt von Vorarlberg mit einem Anstieg von 15 Prozent.

Einzig das Burgenland hat es geschafft die Anzahl der arbeitssuchenden jungen Menschen im Vergleich zum Vorjahr um 2 Prozent zu verringern. Österreichweit ist die Jugendarbeitslosigkeit im Vergleich zum Vorjahresmonat um 10 Prozent gestiegen.

Jugendarbeitslosigkeit nach Branchen

Die höchste Jugendarbeitslosenquote im März 2024 sehen wir mit 23 Prozent in der Branche “wirtschaftliche Dienstleistungen”. Darunter fallen etwa Berufe in Reisebüros, Securities oder die Vermietung von Autos oder Geräten.

Die größten Veränderungen der Arbeitslosigkeit im Vergleich zum Vorjahresmonat zeigen die Daten in den Branchen Verkehr und Lagerei (23 Prozent), Bau (19 Prozent) sowie Beherbergung und Gastro (17 Prozent).

Um die Erwerbsarbeitslosigkeit generell aber auch im speziellen von Jugendlichen zu verringern, empfiehlt das Momentum Institut einen Mix an Maßnahmen. Eine Ausbildungsoffensive für ‘Green Jobs’ um den sozial ökologischen Wandel hin zu einer klimafitteren Wirtschaftsweise voranzutreiben, ist eine Maßnahme im Sinne von mehr Jobs und Klimaschutz. Eine Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich hilft, Arbeit auf mehr Schultern zu verteilen und kann somit mehr Menschen in die Erwerbstätigkeit bringen. Schließlich sollte die EU-Jugendgarantie verstärkt in Österreich umgesetzt werden. 

Sollen wir länger arbeiten?

Zwei Arbeiter stehen auf einer Baustelle mit Kran, im Vordergrund hält eine Hande eine Stoppuhr ins Bild, die für die Arbeitszeit stehen soll.

Für unsere Großeltern war es selbstverständlich, dass ihre Arbeitszeit immer weniger wurde. Vor 100 Jahren haben wir pro Woche 48 Stunden gearbeitet. Dann kam die 45-Stunden-Woche, schließlich haben wir auf 43 Stunden verringert, 1975 auf 40 Stunden und 1985 haben die meisten Branchen die 38,5-Stunden-Woche eingeführt. Bei jeder Verkürzung der Arbeitszeit warnten Wirtschaft und Industrie vor dem Untergang der Wirtschaft. Und jedes Mal ist das Gegenteil passiert: Unsere Produktivität stieg.  

 

Doch seit 40 Jahren hat sich bei der Arbeitszeit nichts mehr bewegt. Dabei stellen wir heute knapp doppelt so viel her wie in den 1980er Jahren, unsere Produktivität wächst ungebrochen. Wir haben bessere Maschinen und besseres Material. Wir wirtschaften heute ganz anders als vor 40 Jahren. Damals ohne Handy, ohne Internet, ohne künstliche Intelligenz. Doch das, was wir mehr erwirtschaften; das, was wir alle gemeinsam produktiver sind: Wie verteilen wir das? Stecken wir das in die Gewinne der Konzerne? Oder kriegen die Beschäftigten auch was davon ab? Mehr Lohn und weniger Stunden?

 

Momentan passiert das Gegenteil: Während alles effizienter und effektiver wurde und wird, wird die Arbeit immer dichter und intensiver. Wir arbeiten mit Handy und Laptop; aber unser Arbeitszeitmodell stammt noch aus der Zeit von Wählscheibentelefon und Schreibmaschine mit Durchschlagpapier. 

 

Der Arbeitskräftemangel verschiebt die Machtverhältnisse

 

Nun warnen viele vor dem Arbeitskräftemangel. Allerdings: Der Pensionsantritt der Babyboomer und die Tatsache, dass Unternehmen Stellen nicht mehr so leicht nachbesetzen können, verschiebt das Kräfteverhältnis zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern zugunsten der Beschäftigten. Nur in solchen Phasen, in denen der Hebel bei den Leuten liegt – und nicht bei den Konzernen – können die Arbeitsbedingungen in den Verhandlungen auch verbessert werden.

 

Und: Die Leute wollen weniger lange arbeiten, wie viele Umfragen zeigen. Zu Recht. Wir wissen aus unzähligen Studien: Wer weniger arbeitet, ist gesünder, glücklicher und macht seinen Job besser. Von gesunden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat auch der Chef was. Weniger Krankenstand, höhere Produktivität. Auch die Loyalität zum Unternehmen steigt, und offene Stellen werden leichter nachbesetzt.

 

Eine kürzere Vollzeit ermöglicht auch mehr Frauen einen Vollzeit-Job. Über 400.000 Frauen sagen, sie sind in Teilzeit, weil sie Betreuungspflichten haben. Wir lassen sie allein mit der Familienarbeit. Österreichweit lässt nur die Hälfte der Kindergarten- und Krippenplätze einen Vollzeitjob zu. Wer dank einer kürzeren Vollzeit weniger arbeitet, kann auch die Arbeit zuhause fairer verteilen. Zwischen Mama und Papa.

 

Dieser Text erschien zunächst als Gastkommentar bei der Kleinen Zeitung.

März 2024: Arbeitslosigkeit steigt um rund 11 Prozent

Arbeitslosigkeit März 2024 gestiegen

Die Arbeitslosigkeit ist im März weiter gestiegen. Rund 370.000 Menschen waren im März 2024 erwerbsarbeitslos. Das ist ein Zuwachs von rund 11 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Die Arbeitslosenquote beträgt damit rund 8,5 Prozent. Mit Blick auf die aktuelle Rezession und die Hochzinspolitik der Europäischen Zentralbank erwies sich der Arbeitsmarkt bislang als robust. Langsam beginnt diese Robustheit zu bröckeln. Neben dem Anstieg der Arbeitslosigkeit ist auch ein deutlicher Rückgang der offenen Stellen zu verzeichnen. Rund 92.000 offene Stellen gab es im März 2024. Ein Jahr zuvor waren es noch rund 21.000 mehr. Das Verhältnis von Arbeitslosen zu offenen Stellen verschlechtert sich dadurch deutlich. Aktuell kommen auf eine offene Stelle im Schnitt 4,1 Erwerbsarbeitslose. Vor einem Jahr waren es noch rund 3 Arbeitslose pro offene Stelle.

Rund 370.000 Personen sind im März 2024 arbeitslos. Dem gegenüber stehen 92.000 offene Stellen. Auf eine offene Stelle kommen damit 4,09 Arbeitslose

Arbeitslose und Offene Stellen März 2024

Bau, Industrie und Handel mit starkem Anstieg

Der Anstieg der Arbeitslosigkeit erstreckt sich über alle Sektoren. Am stärksten betroffen ist aktuell die Baubranche mit einem Zuwachs von rund 20 Prozent. Gerade im Bausektor spürt man die hohen Zinsen der EZB besonders stark. Bauprojekte werden meistens kreditfinanziert, die hohen Zinsen verteuern die Baukosten somit zusätzlich. Das kürzlich von der Regierung präsentierte Bau-Konjunkturpaket sollte die Nachfrage im Bau zusätzlich stützen und eine bessere Entwicklung am Arbeitsmarkt bewirken. Bislang bleiben die Erfolge des Pakets noch aus. Auch in der Industrie ist der Anstieg mit rund 18 Prozent beachtlich.

 

Veränderung der Arbeitslosenzahlen nach Sektor März 2024

Oberösterreich bildet Schlusslicht

Im Bundesländervergleich schneidet Oberösterreich mit einem Zuwachs der Arbeitslosigkeit von 17,6 Prozent besonders schwach ab. Das Bundesland ist unter anderem für seine starken Industrieregionen bekannt. Den starken Anstieg der Erwerbsarbeitslosigkeit in der Industrie spüren diese Regionen daher besonders. Am geringsten ist der Anstieg in Kärnten und dem Burgenland. Dort sind 6 bzw. 6,3 Prozent mehr Personen arbeitslos als vor einem Jahr.

Veränderung der Arbeitslosenzahlen nach Bundesland

Die Aussicht auf das restliche Jahr ist getrübt. Das leicht positive Wachstum, das für heuer prognostiziert ist, dürfte nicht ausreichen den Arbeitsmarkt deutlich zu stabilisieren. Sollte die Europäische Zentralbank ihre Hochzinspolitik im Laufe des Jahres beenden und die Zinsen wieder senken, könnte das der Konjunktur – insbesondere dem Bausektor – Auftrieb verleihen und zu einer Stabilisierung beitragen. Für 2025 sind die Aussichten wieder positiver.

Arbeitslosengeld: Nettoersatzrate von ‘neuen’ Arbeitslosen auf Rekord-Tief

Die Grafik zeigt einen Mann mit Krawatte, der seine leeren Hosentaschen nach außen stülpt. Eine Gedankenblase zeigt, dass er dabei an Geld denkt.

Arbeitslos gemeldete Personen beziehen als Arbeitslosengeld eine Nettoersatzrate in der Höhe von 55 Prozent ihrer monatlichen Beitragsgrundlagen. Die Gehälter, die zur Berechnung der Grundlage herangezogen werden, liegen aber im Regelfall um mindestens 12 Monate zurück. In Zeiten einer außerordentlich hohen Teuerung ist das für unlängst arbeitslos gewordene Personen problematisch. Denn in ihrem Berechnungszeitraum war die hohe Inflation zwar schon voll im Gange, die herangezogenen Löhne wurden aber noch nicht an die Teuerung angepasst. Das bedeutet, dieser Mechanismus drückt ihr Arbeitslosengeld im Verhältnis zum tatsächlichen letzten Gehalt (0-12 Monate vor Arbeitslosigkeit) auf eine Nettoersatzrate von durchschnittlich 51 Prozent.

Berechnung des Arbeitslosengeldes mit alten Lohndaten

Bei der Berechnung des Arbeitslosengeldes wird ein Durchschnittslohn aus 12 Monaten gebildet. Dabei werden aber nicht die 12 Monate aus dem Vorjahr berücksichtigt, sondern jene von vor 2 Jahren. Die Beiträge aus dem Vorjahr zieht das AMS nicht heran, weil sie noch nicht final sind. Wer also am 1. März 2024 seinen Job verliert, dessen Berechnungsgrundlage für die Nettoersatzrate ist März 2022 bis Februar 2023 – damals waren die Löhne noch nicht an die Inflation angepasst und daher deutlich geringer. Beiträge, die in die Berechnung miteinfließen und älter als zwei Kalenderjahre sind, werden zwar aufgewertet. Diese Aufwertungszahl ist heuer mit 5,8 Prozent deutlich geringer als die Inflation der vergangenen 2 Jahre. Der Abstand aus dem letzten Gehalt und dem Durchschnittsgehalt, aus dem sich das Arbeitslosengeld berechnet, bleibt daher groß.

Personen, die erst unlängst erwerbsarbeitslos wurden, müssen jetzt also die massiv gestiegenen Preise mit einem Arbeitslosengeld begleichen, das sich auf ihr Gehalt aus einem Zeitraum bezieht, in dem die Inflation zwar schon mit voller Härte zugeschlagen hat, aber die Löhne noch gar nicht an die massive Teuerung angepasst waren. Für sie bedeutet das einen starken Kaufkraftverlust.

Fallbeispiel

Ein Beispiel zur Veranschaulichung: In Fall A wird eine Person im März 2021 arbeitslos. Für sie bilden die Monate März 2019 bis Februar 2020 die Berechnungsgrundlage für das Arbeitslosengeld. In diesem Zeitraum hat sie durchschnittlich 2.200 Euro netto bekommen. Im Monat vor der Arbeitslosigkeit hat sie aufgrund der Inflationsanpassung 2.265 Euro bekommen. Als Arbeitslosengeld bekommt sie 53,4 Prozent ihres letzten Gehalts.

In Fall B wird dieselbe Person erst im März 2024 arbeitslos. Die Berechnungsgrundlage in diesem Fall ist ihr früheres Gehalt aus den Monaten März 2022 bis Februar 2023. In diesem Zeitraum hat sie mittlerweile ein etwas höheres Gehalt von durchschnittlich 2.484 Euro netto bekommen, da inzwischen Gehaltssprünge durch die jährlichen KV-Anpassungen erfolgten. In den Monaten vor der Arbeitslosigkeit steigt ihr Gehalt aufgrund der Inflationsanpassung noch einmal auf 2.695 Euro. Als Arbeitslosengeld bekommt sie aber lediglich 50,7 Prozent ihres letzten Gehalts. Würde diese Person wieder eine Nettoersatzrate von 53,4 Prozent erhalten – so wie in Fall A – dann wäre ihr Arbeitslosengeld mit 1.439 Euro um 73 Euro monatlich höher. Einfach aufgrund des Zeitraums, in dem sie arbeitslos wurde, bekommt die Person in Fall B also in Relation weniger Arbeitslosengeld.

Mittlerweise ist jede:r dritte Arbeitslose armutsgefährdet, bei Langzeitarbeitslosen sogar jede:r zweite. Das durchschnittliche Arbeitslosengeld liegt mit 1.091 Euro rund 300 Euro unter der Armutsgefährdungsschwelle (1-Personen-Haushalt). Das Arbeitslosengeld verfehlt sein eigentliches Ziel für Menschen in prekären Lagen: die Existenzsicherung.  

Das Momentum Institut empfiehlt die Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes und der Notstandshilfe auf 70 Prozent anzuheben. Außerdem sollte das Arbeitslosengeld und die Notstandshilfe jährlich an die Inflation angepasst werden, so wie das bei anderen Sozialleistungen auch seit 2023 der Fall ist. Darüber hinaus wäre es sinnvoll, die in der Vergangenheit liegende Bemessungsgrundlage gänzlich an die Inflation anzupassen. 

Das unterschätzte Phänomen des Lohnraubs

Auf einer Tastatur leuchtet eine rote Taste mit der Aufschrift "Scam". Das beziegt

2023 haben Unternehmen ihren Beschäftigen 46,6 Millionen Überstunden im Wert von 1,5 Milliarden Euro nicht ausbezahlt. Im Schnitt war vergangenes Jahr jede vierte geleistete Überstunde unbezahlt. Tendenz stark steigend: 2021 lag der Schaden durch Lohnraub noch bei einer Milliarde Euro.

Beinahe alle, die zu Unrecht Sozialleistungen beziehen, schaffen es in die Hauptseiten einer großen Tageszeitung. Wer in ein Haus einbricht, steht zumindest manchmal in den Bezirksblättern. Kaum berichtet wird hingegen über ein Phänomen, das weit größere Schadenssummen verursacht: Lohnbetrug. Überstunden, die Beschäftigte leisten, die aber das Unternehmen weder bezahlt noch als Zeitausgleich ersetzt. Die Zahlen sprechen für sich: Mittels unbezahlter Überstunden haben Unternehmen ihren Mitarbeiter:innen allein 2023 einen Schaden von 1,5 Milliarden Euro zugefügt. In vielen Branchen ist der Druck hoch, die Angst den Job zu verlieren groß. Von der Supermarktmitarbeiterin, die alle Vorbereitungen bis zur Ladenöffnung abschließen muss, bis zur Pflegefachkraft, die nicht einfach alles stehen und liegen lassen kann – überall entstehen Lücken, die durch Mehrarbeit gefüllt werden.  

Lohnraub 105-mal so viel wie Sozialbetrug

Wird Mehrarbeit nicht abgegolten, geht den Mitarbeiter:innen ein beträchtlicher Anteil ihres Einkommens verloren. Die Dimension des Phänomens wird gewaltig unterschätzt. Zum Vergleich: Der gesamte Schaden in Österreich durch Eigentumsdelikte (Diebstahl und Einbruch) betrug weniger als ein Viertel davon. Gegen Sozialleistungsbetrug geht die Bundesregierung mit voller Härte vor. Sie hat eigens eine Task Force eingerichtet. Dabei macht der Sozialbetrug mit 14 Millionen Euro nicht einmal ganz ein Prozent der Summe des Lohnraubs aus. Also wo bleibt eigentlich die Task Force gegen Lohnbetrug?

Immer mehr Lohnraub

Nicht nur die Höhe des Schadens, auch der Aufwärtstrend in den letzten Jahren bereitet Sorge. Noch 2019 wurde der Lohnraub auf 885 Millionen Euro geschätzt. Durch Corona und Lockdowns im Krisenjahr 2020 fiel er temporär auf 682 Millionen Euro. Ein Jahr später klettert der Schaden mit einer Rekordsumme erstmalig über die Milliardengrenze. 2022 belief sich die Schadensumme auf 1,4 Milliarden Euro.  

Frauen steigen schlechter aus

Dazu kommt: Auch beim Lohnraub gibt es einen Gender Gap – und Frauen steigen, wie so oft, finanziell schlechter aus. Der Anteil unbezahlter Überstunden ist für Frauen wesentlich höher. Wurden im Jahr 2023 24,6 Prozent der Überstunden von Männern nicht vergütet, betrug der Anteil bei den Frauen 28,1 Prozent. In beiden Fällen ist der Schaden für die Beschäftigten enorm. Aber nicht nur das, auch dem Staat entgehen Einnahmen. Einerseits sind Überstunden – wenn sie denn vergütet werden – lohnsteuerpflichtig, andererseits fallen Sozialversicherungsbeiträge an.  

Lohnraub ist kein Kavaliersdelikt

Und dennoch: Lohnbetrug bleibt in den meisten Fällen ungestraft. Selbst wenn sich ein:e Arbeitnehmer:in wehrt, sind die Verfallsfristen, um unbezahlte Überstunden einzufordern, teils enorm kurz: Oft ist nach wenigen Monaten nichts mehr einklagbar. In Sachen Lohnraub wäre es also höchste Zeit für eine ernsthaft arbeitende Task Force. Im ersten Schritt sollte aber jedenfalls dafür gesorgt werden, dass wir die Kontrollen in diesem Bereich verstärken. Lohnraub ist kein Kavaliersdelikt. Geleistete Arbeit muss entsprechend honoriert werden. Vor allem finanziell.

 

Dieser Text erschien zunächst als Kolumne bei ZackZack.

Lohnraub: Jede vierte Überstunde unbezahlt

Unbezahlte Überstunden Momentum

Werden Überstunden geleistet, aber nicht ausbezahlt, wird Arbeitnehmer:innen ein beträchtlicher Anteil ihres Lohns vorenthalten: Rund 1,5 Milliarden Euro beträgt der Schaden, der 2023 durch diese Art des Lohnbetrugs entstand. Auch zeigen die Daten einen Gender-Gap: Knapp 3 von 10 Überstunden die Frauen leisten werden ihnen nicht bezahlt, bei Männern ist es etwa ein Viertel. Das zeigt eine Berechnung des Momentum Instituts basierend auf Daten der Statistik Austria.

Anteil unvergüteter Überstunden bei Frauen höher

Im Jahr 2023 wurden 180 Millionen Überstunden geleistet, davon waren 46,6 Millionen Stunden unbezahlt. Deutlich erkennbar ist bei unbezahlten Überstunden ein Gender Gap: Während Frauen mehr als 28 Prozent ihrer Überstunden nicht vergütet werden, bleibt bei Männern etwas weniger als ein Viertel unbezahlt. Frauen haben 2023 16,7 Millionen Überstunden unvergütet gearbeitet, bei den Männern waren es 29,9 Millionen.

Mehr als jede vierte Überstunde nicht bezahlt

Rund 1,5 Milliarden Euro Schaden durch unbezahlte Überstunden

Zum Vergleich: Der Schaden durch Eigentumskriminalität wie Einbruch oder Diebstahl liegt bei 348 Millionen Euro, jener für Sozialbetrug bei rund 14 Millionen Euro. Die verursachte Schadenssumme durch vorenthaltene Lohn- und Gehaltszahlungen ist also mehr als viermal so hoch wie durch Eigentumsdelikte und Sozialbetrug zusammen. Gegen zu Unrecht bezogene Sozialleistungen wird mit voller Härte vorgegangen, die Regierung hat hierfür eigens eine Task Force eingerichtet. Geleistete Überstunden nicht zu entlohnen, ist Lohnbetrug. Der bleibt hingegen meist ungestraft, dabei ist die Schadenssumme hier um ein Vielfaches höher. Der Schaden setzt sich aus entgangener Lohnsteuer sowie Sozialversicherungsbeiträgen von Arbeitnehmer:innen zusammen, die Beiträge von Arbeitgeber:innen sind darin nicht enthalten. Die Höhe des Lohnraubes ist somit als Untergrenze zu sehen.

Rund 1,5 Milliarden Euro Schaden durch Lohnbetrug im Jahr 2023

Aber nicht nur den Arbeitnehmer:innen, auch dem Staatshaushalt entgeht durch Lohnbetrug eine beträchtliche Summe. Um die Schadenssummen sowohl für Arbeitnehmer:innen als auch den Staat zu reduzieren, ist es wesentlich, künftig darauf zu achten, dass geleistete Überstunden auch entsprechend vergütet und arbeitsrechtliche Schutzbestimmungen in Bezug auf Arbeitszeiten nicht unterlaufen werden. Das Momentum Institut empfiehlt, Kontrollen in diesem Bereich zu verstärken.

Fahrradboten: Löhne seit Jahren weit unter der Inflation

Fahrradboten Löhne unter Inflation

Am 7. März streiken Fahrradboten und Fahrradbotinnen für eine angemessene Lohnanpassung. Denn das aktuelle Angebot der Arbeitgeberseite (5,8 Prozent) liegt fast drei Prozentpunkte unter der rollierenden Inflation der Branche (8,7 Prozent). Seit mehr als zwei Jahren können die ohnehin bereits recht geringen Löhne in der Fahrradbot:innen-Branche nicht zur Teuerung aufholen. Während die Löhne im Februar 2024 im Vergleich zu Anfang 2020 um 15,5 Prozent gewachsen sind, stiegen die Preise bis im Schnitt um 24 Prozent, wie eine Berechnung des Momentum Instituts zeigt.

Fahrradboten: Löhne trotz Erhöhung unter der Inflation

Moderate Lohnforderung

Selbst wenn die Seite der Arbeitgeber:innen die moderate Forderung der Gewerkschaft Vida akzeptieren, werden die Preise im Laufe des Jahres 2024 wieder über das Niveau der Löhne steigen. Die vollständige Abgeltung der Inflation hält ohnehin nur kurz an. Bleiben die Arbeitgeber:innen bei ihrem aktuellen Angebot, holen die Löhne gar nicht zur Teuerung auf und der Kaufkraftverlust für die Arbeitnehmer:innen wird noch größer.

Hat man das ‘Glück’ und wird als Fahrradbot:in überhaupt angestellt, fällt man in einen Kollektivvertrag, der am untersten Ende der KV-Mindestlöhne kratzt. Laut aktuellem Kollektivvertrag erhalten Bot:innen einen Bruttostundenlohn von 10 Euro. Bei einer Vollzeitbeschäftigung als Bot:in bleiben im Schnitt etwas über 1.400 Euro netto übrig und die Entlohnung liegt somit nur wenige Euro über der Armutsgefährdungsschwelle. Der durchschnittliche prognostizierte Bruttostundenlohn 2023 für Vollzeitarbeit über alle Branchen hinweg liegt aber bei 26,1 Euro (Annahme der WIFO-Prognose der Pro-Kopf-Lohn-Anpassung für 2023 in der Höhe von 8,2 Prozent). Der Abstand zwischen dem durchschnittlichen Bruttostundenlohn von Bot:innen und dem der gesamten Wirtschaft ist somit mit 16,1 Euro größer als der Stundenlohn in der Branche selbst. Es ist also keineswegs verwunderlich, dass die Gewerkschaft hier hartnäckig auf eine Abgeltung der Inflation pocht.

Ausreichende Lohnerhöhung nur während der Pandemie

Einzig nach den Pandemiejahren Ende 2020 und 2021, in denen die systemrelevante Arbeit der Essenslieferant:innen wichtiger denn je waren, wurden die Löhne angemessen angepasst. Die prognostizierten Preissteigerungen in der Gastronomie von Jänner 2020 bis Jänner 2024 betragen voraussichtlich 33 Prozent. Das Essen, das Bot:innen tagtäglich ausliefern, wird immer teurer, während ihr eigener Lohn auf der Strecke bleibt.

Februar 2024: 400.000 Personen sind arbeitslos

Arbeitslosigkeit im Februar 2024 gestiegen

Die Lage am Arbeitsmarkt spitzt sich langsam zu. Rund 400.000 Personen waren im Februar 2024 beim Arbeitsmarktservice als arbeitslos oder in Schulung gemeldet. Das sind rund 33.000 Personen mehr als noch vor einem Jahr. Die Arbeitslosenquote steigt somit auf 9,3 Prozent. In Betrachtung der aktuellen Rezession und der schwach positiven Konjunkturaussichten erwies sich der Arbeitsmarkt bislang als sehr robust. Langsam beginnt diese Robustheit zu bröckeln. Neben dem Anstieg der Arbeitslosigkeit ist auch ein deutlicher Rückgang der offenen Stellen zu verzeichnen. Rund 90.000 offene Stellen gab es im Februar 2024. Ein Jahr zuvor waren es noch 20.000 mehr. Das Verhältnis von Arbeitslosen zu offenen Stellen verschlechtert sich dadurch deutlich. Aktuell kommen auf eine offene Stelle im Schnitt 4,5 Erwerbsarbeitslose. Vor einem Jahr waren es noch rund 3,2 Arbeitslose pro offene Stelle.

400.000 Personen sind arbeitslos. 90.000 offene Stellen gab es im Februar

Arbeitslose und offene Stellen Februar 2024

Industrie, Gastronomie und Handel mit starkem Anstieg

Der Anstieg der Arbeitslosigkeit erstreckt sich über alle Sektoren. Am stärksten betroffen ist aktuell die Industrie mit 15,6 Prozent mehr Erwerbsarbeitslosen als noch vor einem Jahr. Danach folgen Gesundheit mit 12,2 Prozent Anstieg und die Gastronomie mit 10,3 Prozent. Der Handel verzeichnet ebenfalls einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit. Weil der Sektor so groß ist, ist hier der Anstieg der Betroffenen, die arbeitslos gemeldet sind, am höchsten. Im Bausektor ist im letzten Monat wieder etwas Ruhe eingekehrt. Nach starken Anstiegen in den vergangenen Monaten, ist der Anstieg im Februar 2024 gesunken. Das kürzlich von der Regierung präsentierte Bau-Konjunkturpaket sollte die Nachfrage im Bau zusätzlich stützen und eine bessere Entwicklung am Arbeitsmarkt bewirken.

Veränderung der Arbeitslosenzahlen nach Sektor Februar 2024

Oberösterreich und Vorarlberg bilden Schlusslicht

Im Bundesländervergleich schneiden Oberösterreich (+13,7 %), Vorarlberg (+11,8 %) und die Steiermark (+9,9 %) besonders schlecht ab. Diese Bundesländer sind unter anderem für ihre starken Industrieregionen bekannt. Den starken Anstieg der Erwerbsarbeitslosigkeit in der Industrie spüren diese Regionen daher besonders. Am geringsten ist der Anstieg in Kärnten und dem Burgenland. Dort sind 3,6 bzw. 4,6 Prozent mehr Personen arbeitslos als vor einem Jahr.

Veränderung der Arbeitslosenzahlen nach Bundesland

Die leicht positiven Konjunkturaussichten für das Jahr 2024 sollten den Arbeitsmarkt stabilisieren. Sollte die Europäische Zentralbank ihre Hochzinspolitik im Laufe des Jahres beenden und die Zinsen wieder senken, dürfte das der Konjunktur – insbesondere dem Bausektor – zusätzlich Auftrieb verleihen.

Wer das Arbeitslosengeld kürzt, schafft Armut

Zu sehen sind die Hände einer Person, die Münzengeld zählt.

Der Kanzler will das Arbeitslosengeld kürzen. Wieder einmal. Künftig sollen es „unter 50 Prozent sein“. Was der Kanzler offensichtlich nicht am Schirm hat: Das Arbeitslosengeld wird nicht an die Teuerung angepasst. Zur Berechnung der Höhe wird das Gehalt des Vorvorjahres herangezogen. Wer in Zeiten von Rekordteuerung auf Jobsuche ist, muss daher mit einem empfindlichen Kaufkraftverlust zurechtkommen. De facto haben wir auf diese Weise das Arbeitslosengeld bereits auf 50 Prozent gedrückt. 

Das Leben für alle auf Jobsuche ist schon jetzt kaum finanzierbar. Jeder dritte Arbeitslose kann es sich nicht leisten, die Wohnung ausreichend zu heizen. Jeder Fünfte kann sich nur jeden zweiten Tag eine warme Hauptmahlzeit leisten.  

Warum diskutieren wir dann weitere Kürzungen? Weil ständig gesagt wird, bei diesem Fach- und Arbeitskräftemangel, da finde doch jeder einen Job, der arbeiten wolle. Ungesagt, aber unüberhörbar: Wer derzeit keinen Job hat, ist schlicht faul und hat es nicht verdient, ausreichend finanziell unterstützt zu werden.  

In Wahrheit sieht es für Jobsuchende derzeit hingegen gar nicht rosig aus. Die Wirtschaft schrumpfte im letzten Jahr, und kommt auch heuer kaum vom Fleck. Unternehmen brauchen weniger Leute als gedacht. Ende Jänner gab es deshalb 30.000 Arbeitslose mehr als noch vor einem Jahr. Vier Arbeitslose rangeln sich derzeit um eine offene Stelle.  

Hilfreicher als die Armutslast bei arbeitslosen Menschen weiter zu erhöhen, wäre kluge Arbeitsmarktpolitik. In Zeiten schwacher Wirtschaftsdaten kann die öffentliche Hand einspringen und mit großen Investitionsprojekten die Wirtschaft wieder ankurbeln. Die USA machen vor, wie es geht. Wer keinen Job hat, braucht Arbeit. Für Menschen, die schon lange Arbeit suchen, ist eine Jobgarantie das Mittel der Wahl. Wie erfolgreich man mit staatlich geförderten Jobs Leute wieder zurück auf den Arbeitsmarkt holt, zeigen Vorzeigeprojekte in Marienthal oder die Aktion 20.000

Dieser Text erschien zunächst als Gastkommentar in der Kleinen Zeitung.