Leere Hosentaschen als Symbolbild für degressives Arbeitslosengeld
/ 2. Juli 2022


Wer arbeitslos ist, rennt derzeit einen Marathon gegen die steigenden Preise. Von einem Tag auf den anderen fehlt die Hälfte des Einkommens – in Branchen mit Trinkgeldern oft sogar noch mehr. Gerade in Zeiten der hohen Teuerung kann das schnell existenzbedrohend werden. Von der Regierung gibt es vor allem Einmalzahlungen, um Menschen, die besonders unter den steigenden Preisen leiden, über die Runden zu helfen. Das reicht vielleicht für einen Sprint bis zur nächsten Stromrechnung, bis zur nächsten Mieterhöhung. Der Preis-Marathon ist damit nicht zu bewältigen.

Ab kommendem Jahr sollen zwar bestimmte Sozialleistungen mit der Teuerung mitwachsen. Nur: Arbeitslosengeld und Notstandshilfe gehören nicht dazu. Sie verlieren weiter an Wert. Dabei bekommen arbeitslose Menschen den Kaufkraftverlust der Unterstützungszahlungen ohnehin bereits kräftig zu spüren: Wer etwa zu Beginn der Pandemie arbeitslos wurde, kann sich heute um mindestens 14 Prozent weniger leisten als damals. Einerseits erhalten Arbeitslose nach einigen Monaten nur noch die geringere Notstandshilfe. Andererseits wertet die hohe Inflation das Arbeitslosengeld immer weiter ab. Umso länger die Arbeitslosigkeit dauert, umso höher der Kaufkraftverlust: Bei Menschen, die fünf Jahre oder länger arbeitslos sind, beträgt der Verlust bereits 18 Prozent.

In dieser Situation hält Arbeitsminister Kocher weiterhin am Ziel eines degressiven Modells fest. In der Theorie soll so der steile Abstieg vom Erwerbseinkommen zum Arbeitslosengeld abgeschwächt werden, indem der Bezug zu Beginn der Arbeitslosigkeit höher ausfällt. Nach einer gewissen Dauer soll die Unterstützungsleistung im Vergleich zu bisher aber sinken. Unter dem Vorwand des Arbeitsanreizes werden arbeitslose Menschen so eher gezwungen, jedes Arbeitsangebot anzunehmen – sei es noch so schlecht bezahlt, die Arbeitsbedingungen noch so mies. Nebeneffekt: nicht nur landen mehr Arbeitslose in prekären, schlecht bezahlten Jobs, auch wer einen Job hat, überlegt es sich zweimal, ihn mit Kritik an schlechten Arbeitsbedingungen aufs Spiel zu setzen.

Dabei fallen Unterstützungsleistungen für Arbeitslose schon alleine auf Grund der Inflation mit der Zeit ohnehin immer niedriger aus. Ein Arbeitslosengeld, das mit zunehmender Dauer abfällt, ist damit bereits Realität. Für arbeitslose Menschen bedeutet das einen enormen finanziellen Druck. Das gilt besonders für langzeitarbeitslose Menschen. Rund die Hälfte all jener, die mehr als ein Jahr arbeitslos sind, ist armutsgefährdet.

Dabei ist auch die Geschichte fehlender Anreize zum Arbeiten ein Märchen: Mehr als acht von zehn Arbeitslosen suchen so schnell wie möglich wieder eine neue Beschäftigung, zeigt eine vom Momentum Institut beauftragte SORA-Studie. Was arbeitslose Menschen bräuchten, wären Unterstützungszahlungen, die sie während der Jobsuche absichern. Arbeitslosengeld und Notstandshilfe müssten dafür auch mit der Inflation mitwachsen – und zwar von einem armutsfesten Niveau aus. Mindestens 70 Prozent des letzten Nettogehalts wären dafür erforderlich. Gerade für langzeitarbeitslose Menschen wären zusätzlich öffentliche Beschäftigungsprogramme sinnvoll. Was sie definitiv nicht brauchen: vermeintliche Arbeitsanreize, die sie weiter in die Armut abdrängen.

 

Dieser Text erschien zunächst als Gastkommentar im "Kurier".

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