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  Sophie Achleitner
/ 26. Mai 2023

In Österreich, einem der reichsten Länder der Erde, gibt es immer noch Kinderarmut. Viele wollen das nicht wahrhaben. Die Zahlen sprechen aber für sich: Jedes fünfte Kind in Österreich ist armutsgefährdet. Die Bundesregierung hat nun ein Paket gegen (Kinder)Armut geschnürt. Zwar ist das ein kleiner Schritt in die richtige Richtung, doch um Kinderarmut in Österreich abzuschaffen, fehlt noch so einiges.

Kinderarmut in Österreich ist Realität

Dass es in einem reichen Land wie Österreich nach wie vor Kinderarmut gibt, davor verschließen so manche ihre Augen. Man wisse von keinem Kind, das in Österreich hungern muss. Ein Blick auf die Zahlen und die unangenehme Realität lässt sich nicht länger leugnen: Jedes fünfte Kind in Österreich ist armutsgefährdet. Armutsgefährdet sind sie deshalb, da sie in einem armutsgefährdeten Haushalt leben, weil also ihre Eltern oder Erziehungsberechtigten schon arm sind oder ein Armutsrisiko besteht.

Das von der Bundesregierung kürzlich geschnürte Paket zur Bekämpfung von Kinderarmut soll nun hunderttausende Menschen im Land mit zusätzlich 60 Euro im Monat unterstützen – pro Kind, teilweise auch pro Erwachsenen in der Familie. Für alle Leute mit wenig Geld zählt zwar jeder Euro. Müssen sie doch in Zeiten der Teuerung jeden Euro zwei- oder gar dreimal umdrehen, bevor sie sich trauen, ihn auszugeben. Sechzig davon sind also nicht nichts. Doch Alleinerzieher:innen mit wenig Geld müssen alleine durch die Teuerung dieses Jahr 180 Euro im Jahr mehr ausgeben, um ihren bescheidenen Lebensstandard zu halten. Die zusätzlichen 60 Euro monatlich werden also nicht ausreichen, um die Armut in Österreich zu beenden. 2022 waren rund 1,3 Millionen Menschen armutsgefährdet. Tatsächlich hebt das Paket nur rund 54.000 Menschen über die Armutsgefährdungsschwelle. Nur jedes neunte Kind, das in einer armutsgefährdeten Familie mit sehr wenig Geld aufwachsen muss, wird damit aus der Armut entkommen.

Und wie schafft es der Rest aus der Armut? Die Chancen stehen gut, dass ihnen erzählt wird, sie können alles schaffen, solange sie auch hart genug dafür arbeiten. So erzählte der Bundeskanzler in seiner Rede zur Nation stolz, dass ‘Arbeit vor Armut schützt’. So umfassend hält diese Aussage in Österreich nicht: Knapp 330.000 Menschen leben trotz ihres bezahlten Arbeitsplatzes unter der Armutsgefährdungsschwelle, die in Österreich bei knapp 1.400 Euro netto pro Monat für eine alleinstehende Person liegt. Aber selbst wenn Arbeit immer vor Armut schützen würde, gibt es immer noch Menschen, die keiner Erwerbsarbeit nachgehen können oder dürfen – Kinder zum Beispiel.

Was der Status der Eltern bedeutet

Für Kinder und Jugendliche lautet die Botschaft stattdessen: „Mit einer (Aus-)Bildung in Österreich kannst du den sozialen Aufstieg schaffen, wenn du dich nur anstrengst“. Und tatsächlich gibt es vereinzelt Leute, bei denen das geklappt hat. Nur: Statistisch besonders wahrscheinlich ist es nicht. Im Gegenteil. Wer als Kind liebender Eltern geboren wird, die aber keine gute Ausbildung genießen durften. Der bleibt auch dort, schafft es mit großer Wahrscheinlichkeit nie nach ganz oben.

Dass die „Aufstiegs-Erzählung“ falsch ist, lässt sich auch mit Zahlen belegen. Welcher Bildungsgrad einmal erreicht und welches Einkommen später erzielt wird, bestimmt in Österreich die soziale Herkunft und Bildung der Eltern. Kinder starten mit ungleichen finanziellen und sozialen Voraussetzungen in die Schule. Die Einkommensunterschiede der Eltern auszugleichen, darauf ist das österreichische Schulsystem aber nicht ausgelegt. Die Statistik Austria zeigt in ihrer Publikation “Bildung in Zahlen” weiters: Fast die Hälfte der AHS-Schüler:innen haben Eltern mit einer Hochschulbildung. In einer Neuen Mittelschule (NMS) sind es nur 13 Prozent, in Berufsschulen liegt der Eltern-Akademiker:innenanteil sogar nur bei etwa 7 Prozent. Umgekehrt haben nur 6 Prozent der Eltern von Kindern in der AHS maximal die Pflichtschule abgeschlossen. Auch wer studiert hängt von der Bildung der Eltern ab. Mehr als ein Viertel der neuzugelassenen Studierenden an öffentlichen Universitäten haben hochschulgebildete Eltern. Umgekehrt sind es nur 3 von 100 Studierenden, deren Eltern maximal einen Pflichtschulabschluss haben.

Die Ergebnisse der Statistik Austria zeigen auch: Bildung ermöglicht Chancen am Arbeitsmarkt und kann das Risiko der Armutsgefährdung reduzieren. Personen mit maximal Pflichtschulabschluss haben ein höheres Risiko erwerbsarbeitslos zu sein, der Einstieg in den Arbeitsmarkt dauert länger und sie sind stärker gefährdet in Armut abzurutschen. Dieses Risiko sinkt mit einem höheren Bildungsabschluss.

Mehr Chancengerechtigkeit durch eine Gesamtschule

Eine Gesamtschule bzw. eine längere gemeinsame Schulzeit ist eine Lösung, um der Bildungsvererbung entgegenzuwirken. Das österreichische Schulsystem ist enorm differenziert. Bereits im Alter von 10 Jahren müssen sich Kinder für eine weitere Schulform entscheiden. Im „Eliteprogramm Gymnasium“ sind vor allem Kinder ohne Migrationsgeschichte, mit deutscher Umgangssprache und mit hochschulgebildeten Eltern unter sich. Das bestimmt auch den zukünftigen Bildungsweg: Von 100 Akademiker:innen-Kindern werden einmal 81 die Matura machen, 67 von ihnen beginnen später ein Bachelorstudium.

In anderen Ländern dauert die gemeinsame Schulzeit deutlich länger. Den sozialen Aufstieg zu schaffen, einen höheren Bildungsabschluss als die Eltern zu erreichen und dadurch weniger häufig armutsgefährdet zu sein bzw. höhere Einkommen zu erzielen – all das ist wesentlich einfacher in den anderen Ländern. Das österreichische Bildungswesen kann diese Chancengerechtigkeit nur äußerst begrenzt bieten – der Kontostand der Eltern und ihr sozialer Status bestimmen nach wie vor die Zukunft ihrer Kinder in Österreich.

 

Dieser Text erschien zunächst in der Momentum-Kolumne "Ausgerechnet - die Wirtschaft" bei ZackZack.

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