Aus der Vergangenheit wissen wir: Krisen treffen die Schwächsten am härtesten und verschärfen die Ungleichheit innerhalb der Bevölkerung. Die Corona-Krise bestätigt diesen Trend bisher. Zu Krisenbeginn verloren Personen der unteren Zehntel der Einkommensverteilung ihre Beschäftigung fast 17-mal häufiger als Personen des oberen Zehntels (Muckenhuber 2021). Die OECD prognostiziert den Lebenseinkommensverlust von Kindern mit einer Benachteiligung im Distance Learning mit 3-5 % (OECD). Gut verdienende Dienstleistende und Großunternehmen verzeichneten gleichzeitig die höchsten Einkommensgewinne (Austrian Corona Panel Project), ATX-Unternehmen schütten Dividenden an Aktionär:innen aus. Dagegen ging das insgesamt verfügbare Einkommen der österreichischen Haushalte um EUR 4,1 Mrd. zurück. Das Einkommen schrumpfte damit um fast zwei Prozent verglichen mit dem Vorjahr (Statistik Austria 2021).
Im Vergleich dazu stehen rund EUR 4,2 Mrd., die Anteilseigner:innen der ATX-Unternehmen in den Jahren 2020 und 2021 als Dividenden ausgeschüttet bekommen (werden). Allein im Jahr 2020 zahlten die ATX-Unternehmen gesamt EUR 1,7 Mrd. an ihre Aktionär:innen aus. 16 der 17 Unternehmen haben 2020 oder 2021 Dividenden ausgeschüttet.1 Für das aktuelle Jahr 2021 sind Dividendenzahlungen von über EUR 2,5 Mrd. vorgesehen oder bereits durch Zustimmung in den Hauptversammlungen fixiert. Durch Aktienrückkäufe zahlte manches ATX-Unternehmen zudem indirekt Geld an Aktionär:innen: „Neben der Dividende von 67,4 Mio. € führte Wienerberger von März bis Ende Juni 2020 einen Rückkauf von ein Prozent der ausstehenden Aktien […] durch, wodurch zusätzlich 19,7 Mio. € an die Aktionär:innen retourniert werden konnten.“ (Geschäftsbericht Wienerberger AG Seite 94). Wieder andere (zum Beispiel die Erste Group AG oder die Raffeisenbank International AG [RBI AG]) haben sich 2020 zwar mit Ausschüttungen für das Geschäftsjahr 2019 zurückgehalten, möchten nun aber im Jahr 2021 aufholen bzw. stellen eine zweite Ausschüttung für ihre Investor:innen in Aussicht: „Dividende 2020: Der Vorstand schlägt – der Empfehlung der EZB folgend – der Hauptversammlung im Mai vor, für 2020 eine Dividende von EUR 0,5 je Aktie zu beschließen. Darüber hinaus wurde eine Reserve von EUR 1 je Aktie für eine mögliche spätere weitere Auszahlung gebildet.“ (Erste Group AG Geschäftsbericht Seite 2)
Die Ausschüttung von Dividenden in Milliardenhöhe in Krisenzeiten verstärkt die Ungleichheit zwischen Arm und Reich: Dividenden sind den Kapitaleinkommen zuzuordnen und werden an Personen am oberen Ende der Einkommensverteilung ausbezahlt (Abbildung 4). Gleichzeitig verlieren Geringverdienende und die breite Masse Einkommen(steile) durch Jobverlust und Kurzarbeit (Muckenhuber, 2021).
Auffallend ist auch, dass die OMV AG trotz eines Rekordeinbruchs bei Umsatz- und Gewinn (-29,5% bzw. -31,12%) im ATX-Vergleich der Jahre 2020/21 am meisten und sogar mehr als im Vorjahr ausschüttet (Abbildungen unten).2 Die beiden größten Aktionär:innen des Mineralölkonzerns sind die Österreichische Beteiligungs AG (ÖBAG, 31,5 %) und die Mubadala Petroleum and Petrochemicals Holding Company L.L.C, Abu Dhabi (24,9 %). Von den institutionellen Investor:innen der OMV AG, die mit rund 28 % der Aktien den drittgrößten Anteil an der OMV AG stellen, sind lediglich 7 % Österreich zuzuordnen (OMV 2021).
Andere, ebenfalls stark getroffene Unternehmen wie Schoeller-Bleckman Oilfields Equipment AG (SBO AG) und die Lenzing AG halten sich im Gegensatz dazu mit Dividenden-Auszahlungen zurück, während die Immofinanz AG trotz negativem Jahresergebnis im Jahr 2020 eine Dividende auszahlt.
Entgegen der positiven Entwicklung für Anteilseigner:innen zeigt die Auswertung der Personalstände der 17 ATX-Unternehmen im Jahr 2020, dass Österreichs größte Unternehmen während der Krise über 950 Jobs strichen.3
Die drei Konzerne mit dem größten Arbeitskräfteabbau in Köpfen sind die Erste Group AG, die Bawag Group AG und die Andritz AG. Letztere gibt Restrukturierungs- und Kostensenkungsmaßnahmen im Rahmen der Corona-Krise als Erklärung an.
Von den 17 Unternehmen nahmen nach unserer Recherche lediglich vier Kurzarbeit in Anspruch. Hierbei fehlen jedoch von drei (Bawag Group AG, Vienna Insurance Group AG [VIG AG], RBI AG) Angaben zur Inanspruchnahme der Kurzarbeit, die weder in Geschäftsberichten ausgewiesen wurden noch auf Anfrage zur Verfügung gestellt wurden.4
Im Gegensatz zur niedrigen Inanspruchnahme der Kurzarbeit wird die Investitionsprämie bei den größten österreichischen Unternehmen häufiger genutzt. 11 von 12 berichtenden Unternehmen lassen sich Investitionsprojekte durch die Investitionsprämie fördern. Von fünf Unternehmen (Bawag Group AG, Wienerberger AG, VIG AG, RBI AG) fehlen Angaben zu staatlichen Investitionsgeldern im Rahmen der Investitionsprämie.
Im Zuge der Recherche wurden die 17 ATX-Unternehmen kontaktiert, um Informationen zur Inanspruchnahme von Corona-Hilfen (Kurzarbeit, Fixkostenzuschuss, Umsatzersatz, Ausfallsbonus, Verlustersatz) und der Investitionsprämie zu sammeln. Die wenigsten der Unternehmen beantworteten neben den Fragen zur Inanspruchnahme der Maßnahmen auch die Frage nach der Höhe der erhaltenen Mittel. Auf die erste E-Mail-Anfrage antworteten nur fünf der 17 Unternehmen. Eine Erinnerung brachte eine Antwort von acht der verbleibenden zwölf Unternehmen.
Vier von 17 antworteten gar nicht (Telekom Austria, VIG, CA Immobilien Anlagen AG [CA IMMO AG] und RBI AG). Die Bawag Group AG antwortete nur mit dem Hinweis, man nehme an solchen Umfragen nicht teil. Auffallend ist, dass vier dieser fünf auskunftsverweigernden ATX-Unternehmen dem Bankenwesen bzw. der Immobilienverwaltung zuzuordnen sind. Für diese vier Unternehmen war es auch nicht möglich, Information über die Inanspruchnahme staatlicher Mittel aus ihren Geschäftsberichten herauszulesen. Einzig die Telekom Austria führt klar und deutlich an, dass sie Investitionsprämien in Höhe von EUR 418.000 erhielt.5
Die Auswertung der Geschäftsberichte 2019/20 von den 17 der 20 ATX-Unternehmen zeigt auch, wie viele Beteiligungen sich in Ländern mit niedrigen nominalen Steuersätzen befinden. 15 der 17 analysierten Unternehmen besitzen insgesamt 136 Töchter in Ländern mit einem nominalen Steuersatz von unter 10%. Bezieht man Länder mit einem Steuersatz bis inklusive 15% Steuersatz mit ein, verdoppelt sich die Anzahl der Beteiligungen in Niedrigsteuerländern beinahe. Das hat sich seit dem Vorjahr trotz Krise nicht geändert. Hier wird auch klar, dass eine globale Mindestbesteuerung von 15%, wie momentan von den USA gefordert, durchaus bedeutende Auswirkungen hätte. Die folgende Abbildung zeigt die Anzahl der vorschriftsmäßig berichteten Beteiligungen nach ATX-Unternehmen im Jahr 2020 nach der Höhe des nominalen Steuersatzes am Standort.
Doch nicht nur Niederlassungen in Ländern mit niedrigen nominalen Steuern können Konzernen dabei helfen, Steuern zu vermeiden. Wie bereits im Vorjahr berichtet, ist die Einstufung von Steuersümpfen nicht einheitlich (Momentum Institut 2020). Die folgende Abbildung zeigt, dass sich die Zahl der Tochterfirmen in Steuersümpfen nach der Definition von Oxfam 2020 sogar noch vermehrt hätte (von 190 Töchterfirmen in 2019 auf 193 in 2020). Die Definition von Oxfam hat sich im Vergleich zum Vorjahr nicht geändert.6 Auch nach dem Corporate Tax Haven Index (CTHI) des Tax Justice Networks haben die ATX-Unternehmen deutlich mehr Beteiligungen in Steuersümpfen, wofür jedoch die Erweiterung der Liste hauptverantwortlich ist.7 Laut der Einstufung der EU befindet sich hingegen nur mehr eine ATX-Beteiligung in einem Steuersumpf. Dies ist aber nur der Fall, da die EU die Kaimaninseln nicht mehr als Steueroase wertet.
Zusammenfassend zeigt sich ein klar positives Bild für die Mehrheit der ATX-Unternehmen: Sie haben in der Phase der Krise genügend Ressourcen, um Investitionen anzustoßen und Dividendenausschüttungen vorzunehmen oder vorzuschlagen. Gleichzeitig wurden jedoch in 12 von 17 ATX-Unternehmen Stellen in Österreich abgebaut. Zudem erhalten ATX-Unternehmen Mittel vom Staat, um durch die Krise bzw. besser aus ihr herauszukommen. Ihren Gewinn verteilen sie jedoch an Aktionär:innen während Arbeitnehmer:innen durch Stellenabbau Einkommensverluste hinnehmen müssen. Außerdem besitzen noch immer 16 der 17 ATX-Unternehmen Beteiligungen in Steuersümpfen. Abschließend gibt die nachstehende Tabelle einen Überblick über ausgewählte Informationen über die 17 analysierten ATX-Unternehmen.8
Das Momentum Institut empfiehlt
1 Die Analyse bezieht nur 17 der 20 ATX-Unternehmen ein, da die Auswirkungen der Corona-Krise durch ungerade Geschäftsjahre der restlichen drei Unternehmen in den bisher vorliegenden Berichten (2019/2020) mit Bilanzstichtag 31.03.2020 nur unzureichend erfasst werden. Die Analyse schließt die Unternehmen AT&S, Do&Co und die Voestalpine AG somit aus. Weiters ist seit Jänner 2021 EVN AG statt der Telekom Austria AG in den Top 20 ATX-Konzernen. Da sich die Analyse aber auf das vollständige Geschäftsjahr 2020 bezieht und der Bilanzstichtag der EVN AG der 30.09. ist, weshalb der Geschäftsbericht die zweite Hälfte des Lockdowns nicht beinhaltet, inkludieren wir die Telekom Austria AG statt der EVN AG.
2 Die Dividende je Aktie beträgt im Jahr 2021 für das Geschäftsjahr 2020 EUR 1,85 (Vorschlag) während sie im Vorjahr bei EUR 1,75 lag.
3 Die Mitarbeiter:innen-Stände in Österreich wurden entweder durch E-Mail-Abfragen oder Auswertung der Geschäftsberichte erhoben. Eine konkrete Zahl, wie viele Mitarbeiter:innen von ATX-Unternehmen in Österreich ihren Job verloren haben, kann durch die verschiedenen Berichtsweisen (Kopfstand, Vollzeitäquivalente) nicht berechnet werden. Die genannte Zahl ist als Minimum zu verstehen, da sie auf der Addition von Mitarbeiter:innen in Köpfen (Saldo der Mitarbeiter:innen-Veränderungen von 2019 auf 2020 der 10 in Köpfen berichtenden Unternehmen: – 906) und Vollzeitäquivalenten (Saldo der Mitarbeiter:innen-Veränderungen von 2019 auf 2020 der 7 in Vollzeitäquivalenten berichtenden Unternehmen: -45,2) beruht. Für die Bawag Group AG wird der Personalstand nicht nur für Österreich ausgewiesen. Konzernweit hat die Bank 282 Mitarbeiter:innen im Jahr 2020 abgebaut.
4 In den Geschäfts- und Jahresfinanzberichten wird die Inanspruchnahme von Corona-Hilfsgeldern nur in seltensten Fällen wirklich eindeutig und transparent ausgewiesen. Über die tatsächlich erhaltenen Summen im Rahmen der österreichischen Kurzarbeit, Investitionsprämie und Co. wird kaum oder in aggregierten Bilanzpositionen wie zum Beispiel „sonstige Erträge“ berichtet. Die Vienna Insurance Group AG schreibt auf Seite 81 ihres Konzernberichts: „In allen Ländern, in denen der Konzern tätig ist, gibt es zahlreiche staatliche Initiativen, um die jeweilige heimische Wirtschaft wieder anzukurbeln. Der Konzern hat staatliche Subventionen nur in sehr geringem Ausmaß in Anspruch genommen. Diese Subventionen betreffen u.a. Kompensationen für Kurzarbeit von Unternehmen, die in der Hotelbranche tätig sind, Zuschüsse zum Kinderbetreuungsgeld sowie geringere Steuern auf niedrige Gehälter. Einige Subventionen wurden beantragt und auch genehmigt, jedoch haben diese keinen wesentlichen Einfluss auf die Vermögens-, Finanz- oder Ertragslage.“
5 Geschäftsbericht Seite 57: „2020 betrugen die Zuschüsse der öffentlichen Hand für Vermögenswerte, die von den Anschaffungskosten abgezogen wurden, 33.030 TEUR (2019: 37.379 TEUR) und betreffen im Wesentlichen Zuschüsse im Zusammenhang mit dem Breitbandausbau in Österreich sowie 418 TEUR Investitionsprämie, welche 2020 in Österreich in Folge der Corona-Krise zum Anreiz für Unternehmensinvestitionen geschaffen wurde.“
6 Welche Länder nach welcher Einstufung als Steuersumpf im jeweiligen Jahr gelten, ist im Anhang zu finden.
7 Im Rahmen der Erweiterung wurden u.a. die Länder Ungarn und Belgien zur Liste hinzugefügt.
8 Die Kategorie „Töchter in Steueroasen“ zeigt, welche ATX-Unternehmen Töchterfirmen in Steueroasen nach Definition von OXFAM halten.