Teuerung, Preisschock, hohe Inflation. Haben wir uns das alles selbst eingebrockt? Ist unser Konsum schuld an den hohen Preisen? Ungläubig habe ich die Kommentare von wirtschaftsliberalen Wirtschaftsforschern der letzten Zeit verfolgt, die uns genau das weismachen wollen. Die Menschen seien regelrecht in einen Kaufrausch verfallen, behauptet etwa Agenda-Austria-Chef Schellhorn. WIFO-Chef Felbermayr wiederum spricht von „nachfragegetriebener Teuerung“. Für Nicht-Volkswirt:innen übersetzt: An der Teuerung seien wir selber schuld. Weil wir Konsument:innen noch immer einkaufen gehen, stiegen eben die Preise. Hätten wir weniger Geld und wären deutlich ärmer: Dann könnten Unternehmen die Preise auch nicht erhöhen. IHS-Chef Bonin, der Dritte im Bunde, will sogar die Lohnsteuer dieses Jahr erhöhen, um Arbeitnehmer:innen und Selbstständigen Geld wegzunehmen. Unschuldig in der Erzählung des wirtschaftsliberalen Trios ist nur der Unternehmer: Er ist – ironisch formuliert – Sklave von Angebot und Nachfrage. Preiserhöhungen nimmt er nicht selbst vor. Die setzt die unsichtbare Hand des Marktes für ihn durch.
Mit der Realität hat diese Geschichte nichts zu tun. Konsumrausch, Konsumwunder? Ein Blick auf die Zahlen bestätigt: Es ist weit und breit kein Wunder zu sehen. Der heimische Privatkonsum liegt nach wie vor unter dem Niveau des Vor-Pandemiejahrs 2019. In 21 von 27 EU-Ländern wird wieder mehr gekauft als vor der Pandemie. Österreich gehört nicht dazu. Pro Kopf liegt Österreich immer noch 4 Prozent unter dem Vorkrisenniveau. Eine „nachfragegetriebene“ Teuerung sieht anders aus.
Selbst nach dem volkswirtschaftlichen Einmaleins gilt: Steigt die Nachfrage, also die Finanzkraft und Zahlungswilligkeit der Konsument:innen. Dann müsste man einen höheren Preis und (!) eine höhere verkaufte Menge sehen. Zahlen müssen wir heute zwar mehr für unseren Einkauf. Doch der ist kleiner statt größer geworden. In unseren Einkaufswagerln liegt im Schnitt deutlich weniger als noch vor drei Jahren.
Das ist nicht verwunderlich. Denn Unternehmen haben die Preise deutlich erhöht. Ein großer Teil der Preissteigerungen ist zwar auf die Energiepreisexplosion des letzten Jahres zurückzuführen, die Unternehmen weitergeben. Aber einen ganz wesentlichen Aspekt lassen so manche in der Debatte um die Teuerung gerne unter den Tisch fallen: Viele Unternehmen haben ihre Preise stärker erhöht, als es nötig gewesen wäre, um ihre gestiegenen Kosten zu decken. Damit haben sie die Teuerung ordentlich befeuert. Und nebenbei ordentliche Profite eingeheimst – allen voran die Energiekonzerne, aber auch Bauunternehmen, die Landwirtschaft, und Banken. Vergangenes Jahr gingen drei Viertel des hausgemachten Teils der Teuerung auf höhere Unternehmensgewinne zurück.
„Die Kundschaft zahlt es halt“, würde der wirtschaftsliberale Ökonom einwerfen. Für lebensnotwendige Produkte stimmt das sogar. Eine Mutter, die beim Lebensmitteleinkauf ohnehin zu den billigeren Eigenmarken greifen muss, wird das bei hohen Preisen weiter tun, wenn sie ihre Familie nicht verhungern lassen will. „Unelastische Nachfrage“ nennen das Ökonomen. „Lebensnotwendig“, alle anderen. Wer im Winter nicht in einer kalten, ungeheizten Wohnung mit Schimmel an den Wänden sitzen möchte, muss jeden Preis des Energieversorgers schlucken. Den Konsum an Energie eingeschränkt haben Haushalte und Firmen aufgrund der hohen Preise trotzdem, der Gasverbrauch etwa ging um rund 10 Prozent zurück. Die Schuld für die Preiserhöhungen bei Grundbedürfnissen wie Energie, Mieten, oder Lebensmittel den „Kund:innen“ zuzuschieben, macht keinen Sinn.
Weder der Staat noch die Konsument:innen erhöhen Preise. Unternehmen tun das.
Neben dem Konsumenten in Kauflaune gibt es einen zweiten Schuldigen, folgt man dem wirtschaftsliberalen Ökonomen-Trio: Das ist der Staat, konkret die Bundesregierung. Sicherlich: Zielgerichtet waren die Einmalzahlungen der Regierung gegen die Teuerung bei weitem nicht. Vieles war verteilungspolitisch ein großer Skandal. Unter den Haushalten konnten sich sogar Millionär:innen mehrere Hundert Euro abholen. Manche Unternehmen wurden millionenschwer überfördert. Doch wenn die Besserverdiener:innen das Geld sparen, drückt es keinen einzigen Preis im Geschäft nach oben. Daher: Die Hilfszahlungen der Bundesregierung an die Menschen (und Unternehmen) kann man nicht zum alleinigen Sündenbock für die Teuerung abstempeln. Das bestätigt auch eine Analyse der Nationalbank, sie fand kaum einen Effekt der Hilfszahlungen auf die Teuerung. Dazu kommt: Richtig große Beträge für alle gab es ab Oktober letzten Jahres kaum mehr. Und eine gute Zeit in Saus und Braus hat sich der Großteil der Bevölkerung mit den Hilfen sowieso nicht machen können. Die steigenden Preise haben die zusätzlichen Euro ganz schnell wieder aufgefressen.
Eine gewisse Mitschuld hat die Bundesregierung natürlich. Sie hat den Unternehmen signalisiert, dass es in Ordnung ist, die Preise auf Teufel komm raus zu erhöhen. Noch während der Corona-Pandemie war das undenkbar. Kein Supermarkt traute sich, aufgrund von leergekauften Pasta-Regalen oder fehlendem Klopapier plötzlich das Dreifache für diese Produkte zu verlangen. Heute ist das anders. Es ist akzeptiert, dass jedes Unternehmen die Preise erhöht, wie es ihm gefällt. Die offizielle Linie lautete: Der Markt regelt das. An die Energieversorger erging sogar die Botschaft, dass es gut sei, wenn die Preise steigen. Als „Anreiz Energie einzusparen“. Das haben die auch getan, Rekordgewinne gemacht, Vorstandsgehälter erhöht, und gleichzeitig teure Rechnungen an die Kund:innen verschickt. Die Allerärmsten würden ohnehin von der Regierung mit Hilfszahlungen aufgefangen, hieß es. Willkommen in der Welt der Preiserhöhungen der Unternehmen: Gestattet durch die Bundesregierung, ermutigt von wirtschaftsliberalen Wirtschaftsforschern.
Mit der These der „nachfragegetriebenen“ Teuerung betreiben Wirtschaftsliberale eine Täter-Opfer Umkehr. Unternehmen erhöhen die Preise. Nicht Konsument:innen. Nicht der Staat. Nicht die Arbeitnehmer:innen oder Pensionist:innen. Warum ist es wichtig, das festzustellen? Richtig zu diagnostizieren, wer die Teuerung verursacht? Weil gegen die „Krankheit“ der nachfragegetriebenen Teuerung ein Rezept nötig wäre, um die Nachfrage zu senken. Zum Beispiel Lohnkürzungen. Beschönigend werden die „Lohnzurückhaltung“ genannt. Eine Debatte dazu angezettelt haben die drei Wirtschaftsforscher schon. Ist die Diagnose jedoch eine ganz andere, also gibt es die Teuerung wegen Energiepreisen und uneingeschränkter Profitmaximierung der Unternehmen. Dann braucht es andere Medikamente: Staatliche Eingriffe, etwa Preisbremsen bei Mieten, Energie oder Lebensmitteln. Und Übergewinnsteuern für die Krisenprofiteure unter den Firmen. Das macht einen Unterschied für das Wohlergehen der Menschen im Land.
Dieser Text erschien zunächst in der Momentum-Kolumne „Ausgerechnet“ bei ZackZack.at.