In den nächsten Tagen wird die Debatte rund um den Gender Pay Gap – die geschlechtsspezifische Einkommenslücke zwischen Frauen und Männern in Österreich – anlässlich des bevorstehenden Equal Pay Days (EPD) am 30. Oktober wieder ordentlich angeheizt. Bereits zum zweiten Mal in diesem Jahr wird mit dem Tag auf die ungleiche Bezahlung von Frauen gegenüber Männern hingewiesen. Denn bereits im Frühjahr 2022 gab es einen Equal Pay Day in Österreich – bis zu diesem Tag arbeiteten Frauen rein rechnerisch 62 Tage gratis. Nun wird vom Jahresende zurückgerechnet. Ab dem EPD am 30. Oktober haben Männer in Österreich bereits so viel verdient, wie eine Frau im ganzen Jahr.
Verschiedene Berechnungsmethoden, bei denen es ganz darauf ankommt, ob Vollzeit-, Teilzeit, Bruttojahreseinkommen oder Stundenlöhne betrachtet werden, führen zu unterschiedlich großen Einkommensscheren zwischen den Geschlechtern. Die grundsätzliche Methode zur Berechnung des Gender Pay Gaps (GPG) und des Equal Pay Days ist allerdings recht simpel.
Der Equal Pay Day im Herbst wird üblicherweise errechnet, indem die durchschnittlichen Bruttojahresbezüge der ganzjährig Vollzeitbeschäftigten Frauen und Männer in Österreich gegenübergestellt werden. Die Daten stammen aus der Lohnsteuerstatistik 2020 und daraus ergibt sich eine Einkommensschere von etwa 17,1 Prozent. Durch diese Rechenmethode fällt der EPD auf den 30. Oktober. Das ist fünf Tage später als im letzten Jahr: Letzten Herbst fiel der EPD auf den 25. Oktober. Frauen arbeiten also heuer fünf Tage „weniger“ unbezahlt bis zum Jahresende.
Nicht enthalten sind jedoch Teilzeitbeschäftigte. Berücksichtigt man auch Teilzeitbeschäftigte, die noch dazu in den meisten Fällen weiblich sind (in Österreich arbeitet etwa die Hälfte der Frauen in Teilzeit) schnellt der GPG auf satte 36 Prozent hoch. Zieht man diese beträchtliche Einkommensschere zur Errechnung des EPD heran, landen wir mit etwa 131 unbezahlten Arbeitstagen von Frauen beim 22. August 2022. Eigentlich wird der EPD also viel zu spät begangen.
Anstatt aber jedes Jahr aufs Neue die Tage zu zählen, die Frauen in Österreich bis zum Jahresende oder ab Jahresbeginn gratis arbeiten, könnte Österreich sich darauf konzentrieren, an der Gleichstellung und -bezahlung zu arbeiten, damit Frauen eben nicht noch bis zum Jahr 2362 warten müssen, bis die Einkommensschere endlich geschlossen ist. So lange wird es nämlich dauern, wenn man das Tempo der bisherigen Schließung der geschlechtsspezifischen Einkommenslücke fortschreibt.
Dabei könnte Österreich in punkto Geschlechtergleichstellung und -gerechtigkeit einiges von anderen Ländern lernen und auch wirtschaftlich von der Gleichstellung profitieren.
Eine McKinsey Global Institute-Studie aus dem Jahr 2015 hat errechnet, dass die Schließung der geschlechtsspezifischen Kluft das globale BIP um 28 Billionen US-Dollar erhöhen könnte. Für Österreich wurde ein entgangener Beitrag zum BIP von etwa 123 Milliarden Euro, bzw. 14.197 Euro pro Person errechnet – und zwar bis zum Jahr 2025. Wenn Frauen bis dahin also im gleichen Ausmaß wie Männer am Arbeitsmarkt vertreten wären, würde das Österreich etwa 30 Prozent mehr BIP bescheren (verglichen mit dem BIP 2021: 406 Mrd.).
In der Studie werden auch andere Faktoren (zum Beispiel Sicherheit, Zugang zu Finanzprodukten, Verwalten von Einkommen, Grundbesitz, uvm.) mittels sogenannter „Parity Indices“ (Paritätsindizes) – also Gleichstellungsindizes – verglichen, die von 0 bis 100 Punkten skaliert sind. Erreicht ein Land vollständige Gleichstellung in einem Bereich, wird es mit 100 Punkten bewertet. Österreich steht im Europa-Vergleich schlecht da. Der gesamte Geschlechter-Paritätsindex für Österreich liegt bei nur 67 von 100 Punkten. Auch verglichen mit jenen Ländern, die am besten abschneiden (Best-in-Region), liegt Österreich oft weit hinten.
Zum Beispiel, wenn es um Geschlechtergleichheit in der Arbeitswelt geht. Verglichen werden die Möglichkeiten von Frauen und Männern, eine Beschäftigung zu finden und dafür fair entlohnt zu werden, wie unbezahlte (Pflege-)Arbeit verteilt ist und wie es um die Besetzung von Führungspositionen steht. Österreich erreicht hier lediglich 75 von 100 Punkten.
Besonders eklatant ist der Unterschied bei unbezahlter Arbeit: Mit nur 51 von 100 Punkten steht Österreich im Europa-Vergleich bei der Aufteilung von unbezahlten Tätigkeiten zwischen Frauen und Männern besonders schlecht da. Am gerechtesten ist unbezahlte Arbeit in Dänemark zwischen den Geschlechtern aufgeteilt.
Dabei hätten auch unbezahlte Tätigkeiten wie Kinderbetreuung, Pflege von Angehörigen und Hausarbeit, die in Österreich zu zwei Dritteln von Frauen und besonders von Müttern übernommen werden, das Potenzial, Österreichs Wirtschaftsleistung zu steigern. Das verdeutlicht eine Analyse des Momentum Instituts über die Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit zwischen Frauen und Männern während der ersten Jahre der Corona-Pandemie. Die Analyse zeigt, dass besonders Frauen und Mütter den Löwenanteil der unbezahlten Tätigkeiten gestemmt haben. Während Männer ohne Kinder rund zwei Stunden täglich für unbezahlte Tätigkeiten aufgewendet haben, waren es bei Frauen ohne Kinder etwa drei Stunden täglich. Deutlich größer ist der Unterschied zwischen Müttern und Vätern: Während Väter etwa fünf Stunden täglich mit Hausarbeit oder Kinderbetreuung beschäftigt waren, waren es bei Müttern fast zehn Stunden pro Tag (Beobachtungszeitraum März 2020–Mai 2021). Besonders in Lockdown-Zeiten waren es Frauen und Mütter, die ihre bezahlte Arbeitszeit am stärksten reduziert und gleichzeitig deutlich mehr unbezahlte Tätigkeiten übernommen haben.
Vor allem in den ländlichen Regionen Österreichs haben Mütter besonders viel Zeit mit unbezahlten Tätigkeiten, insbesondere mit Kinderbetreuung, während Lockdown-Perioden verbracht im Vergleich zur Hauptstadt Wien. In harten Lockdown-Zeiten verrichteten Mütter am Land bis zu 13 Stunden unbezahlte Arbeit pro Tag, während Väter am Land nur etwa sieben Stunden mit Hausarbeit und Kinderbetreuung verbrachten – also fast die Hälfte an unbezahlten Stunden im Vergleich zu Müttern.
Wenig überraschend zeigt sich ein starker Zusammenhang mit dem Kinderbetreuungsangebot, das in den Bundesländern in Österreich – also außerhalb von Wien – oft sehr schlecht ausgebaut ist. Kurze Öffnungszeiten und wenig Kinderbetreuungsplätze lassen die Teilzeitfalle bei vielen Müttern zuschnappen. Immer noch geben etwa 40 Prozent der teilzeitbeschäftigten Frauen an, dass Kinderbetreuungspflichten der Grund für ihre Teilzeiterwerbstätigkeit sind. Ebenso wenig verwunderlich ist es vor diesem Hintergrund, dass die Bundesländer, in denen es besonders schlecht um das Kinderbetreuungsangebot steht, auch die höchsten Gender Pay Gaps aufweisen.
Die Valorisierung unbezahlter Arbeitsstunden könnte zu Österreichs BIP beitragen
Letztendlich wirkt sich die unbezahlte Arbeit, die von Frauen bereits vor und auch während der Pandemie übernommen wurde auf ihre Einkommen aus. Durch die Reduktion von Erwerbsarbeitszeit und die Aufnahme von unbezahlter Arbeit stattdessen entgingen einer Frau in den Pandemiejahren 2020 und 2021 im Schnitt etwa 38.000 Euro an Einkommen. Hätte man Frauen in Österreich diese unbezahlten Arbeitsstunden bezahlt, hätte ihnen das zusammen – und somit auch der österreichischen Wirtschaftsleistung – etwa 112 Milliarden Euro eingebracht. Das entspricht rund 30 Prozent des BIP (Bruttoinlandsprodukt). Die unbezahlten Arbeitsstunden, die Männer im selben Zeitraum leisteten, wären kumuliert mit etwa 57 Milliarden entlohnt worden – etwa die Hälfte des Volumens, das Frauen geleistet haben.
Diese geschlechtsspezifische Corona-Einkommenslücke durch unbezahlte Arbeitsstunden verschärft sich im Mütter-Väter-Vergleich. Während Mütter rund zehn Stunden pro Tag mit unbezahlten Tätigkeiten (überwiegend Betreuungspflichten) verbrachten, waren es bei Männern nur fünf Stunden täglich. Wären Mütter für ihre geleistete unbezahlte Arbeit entlohnt worden, hätten sie während der Corona-Pandemiejahre 2020 und 2021 etwa 66.000 Euro verdient.
Für Österreich bedeutet das also, dass eine Vergütung von unbezahlter Arbeit auch mehr Geschlechtergerechtigkeit und -gleichstellung bedeuten kann. Zieht man die durchschnittlichen unbezahlten Arbeitsstunden von Frauen und Männer pro Woche heran, errechnet sich der sogenannte „Gender Time Gap für unbezahlte Arbeit“. Dieser verdeutlicht die Lücke zwischen unbezahlten Arbeitsstunden zwischen Frauen und Männern in Österreich.
Für Österreich beträgt der Gender Time Gap rund 50 Prozent, das bedeutet, Frauen arbeiten im Schnitt 50 Prozent mehr unbezahlt als Männer. In Schweden und Dänemark – Länder, in denen die unbezahlte Arbeit viel gerechter zwischen Frauen und Männern aufgeteilt wird – beträgt dieser Gender Time Gap nur etwa 25 Prozent.
Österreich begeht nun also schon zum zweiten Mal in diesem Jahr den Equal Pay Day – einen Tag, der an Gleichstellung erinnern soll, von der wir aber weit entfernt sind.