Im österreichischen Pensionsgesetz haben Menschen, die besonders lange erwerbstätig waren und damit lange in das umlagefinanzierte Pensionssystem eingezahlt haben, die Möglichkeit sich mit 60 bzw. 62 Jahren zur Ruhe zu setzen. Für 45 Beitragsjahre erhalten sie ihre vollen Pensionsansprüche und das ohne Abschläge – obwohl sie vor dem Regelantrittsalter in Pension gehen. Diese Regelung ist auch unter dem Begriff „Hacklerregelung“ bekannt. Der aktuelle Diskurs zum Thema Pensionen dreht sich um die Kritik zur Hacklerregelung. Die Vorwürfe lauten, die Hacklerregelung sei zu teuer, begünstige nur eine kleine Minderheit überdurchschnittlich und sei geschlechterungerecht. Der FrühstarterInnen-Bonus soll als Alternative wirken. Eine Analyse der beiden Regelungen zeigt, die meisten Vorwürfe gegen die Hacklerregelung halten nicht, der FrühstarterInnen-Bonus ist zwar ein wenig besser, aber auch nicht ganz geschlechtergerecht und von einer Bekämpfung der Altersarmut durch die niedrige Pensionserhöhung ist bei der vorgeschlagenen Bonus-Lösung kaum zu sprechen.
Im Folgenden werden Grundzüge der Hacklerregelung und die vorgebrachten Kritikpunkte genauer beleuchtet, um im Anschluss zum Vergleich mit dem FrühstarterInnen-Bonus, der aktuell als Substitut gehandelt wird, überzugehen.
Die Regelung zum vorzeitigen Pensionsantritt bei der Erreichung von 45 Beitragsjahren wird zur Zeit hauptsächlich von Männern genützt. Das ist vor allem so, weil Frauen aktuell ohnehin früher abschlagsfrei in Pension gehen können. Derzeit gilt für Frauen ab dem 60. Lebensjahr völlige Abschlagsfreiheit. Ab 2024 bzw. 2028 , dem Jahr, in dem das Regelpensionsantrittsalter der Frauen an das von Männern schrittweise angepasst wird, ist diese Regelung jedoch auch in gleichem Maße für erwerbstätige Frauen relevant. Das heißt, dass die aktuellen Pläne die Hacklerregelung für arbeitende Frauen, die heute 57 bzw. 55 Jahre alt sind, abschaffen sollen. Dabei sieht die Ausgestaltung der Hacklerregelung auch einen Ausgleich zwischen den verschiedenen Erwerbsverläufen von erwerbstätigen Männern und Frauen vor: In der Regelung für den abschlagsfreien Pensionsantritt vor dem Regelpensionsalter werden Kindererziehungszeiten im Ausmaß von 5 Jahren berücksichtigt. Ein Detail, das den abschlagsfreien Pensionsantritt für Frauen in einem ersten Schritt in Reichweite bringen und somit auch die Geschlechterbalance der Anspruchsberechtigten austarieren soll.
Um die Hacklerregelung in Anspruch nehmen zu können benötigt es 540 Beitragsmonate. Die durchschnittliche Summe der Beitragsmonate aller Neuzugänge in 2019 lag jedoch bei 440 (Pensionsversicherungsanstalt 2019). Jene Menschen, die also die Hacklerregelung in Anspruch nehmen können, haben 100 Beitragsmonate mehr geleistet als andere. Die resultierenden höheren Pensionsbezüge sind daher logisch: Die Pensionshöhe ergibt sich aus Höhe der Einzahlung (=Einkommen) und Dauer der Einzahlung (Versicherungszeiten).
Laut Einschätzungen des Budgetdienstes (2020), der auch Vorzieh-/Abwarteeffekte miteinbezieht und daher umfassendere Indikatoren als Schätzungen des BMAFJ und des BMF berücksichtigt, liegen die zusätzlichen Pensionsauszahlungen durch abschlagsfreie Pensionsbezüge im Jahr 2020 bei EUR 115 Mio. Die gesamten fiskalischen Kosten sind durch vorgezogene Pensionsantritte und damit geringeren Einkommenssteuereinnahmen durch Erwerbstätige mit EUR 141 Mio. nur geringfügig höher. Die Kosten für abschlagsfreie Pensionsbezüge nach der Erreichung einer bestimmten Anzahl von Beitragsmonaten steigen über die Zeit an, weil die Anzahl der anspruchsberechtigten Personen ebenso steigt. Im Jahr 2050 belaufen sich Pensionsauszahlungen für Bezüge, die unter die Hacklerregelung fallen nach Schätzungen des Budgetdienstes auf EUR 1,60 Mrd., die gesamten fiskalischen Kosten liegen durch höhere Steuereinnahmen mit EUR 1,24 Mrd. sogar niedriger.
Verglichen mit den gesamten Pensionsauszahlungen sind die auf die abschlagsfreie Pensionszahlung zurückgehenden Kosten vernachlässigbar: Die gesamten Pensionsaufwendungen der Pensionsversicherung lagen 2019 bei rund EUR 39 Mrd. (BMSPGK 2020). Gemessen daran stellen die zusätzlichen Auszahlungen für 2020 aufgrund der Hacklerregelung nur 2,9% dar. Werden die gesamten Pensionskosten, die Pensionsversicherungsträger und Bund tragen mit dem höheren Wert der Pensionsauszahlungen durch die Hacklerregelung verglichen, ergibt sich ein Kostenanteil der Hacklerregelung von gerade einmal 1,8% im Jahr 2050. Dieser Anteil verringert sich noch einmal auf 1,4%, sobald der Vergleich auf den niedrigeren fiskalischen Gesamtkosten der Regelung zum abschlagsfreien, vorzeitigen Pensionsantritt basiert.
Abbildung 1
Die vergleichsweise gering ausfallende Mehrbelastung des Bundeshaushaltes ist auch darauf zurückzuführen, dass nur wenige Personen von der Regelung zu abschlagsfreien Pensionsbezügen profitieren: Die Pensionsantritte des ersten Halbjahres 2020 lagen bei 61.637, davon hatten lediglich 7.320 Personen Anspruch auf die höheren Bezüge durch die Hacklerregelung (Der Standard 2020). Das sind rund 12% aller Pensionsantritte des ersten Halbjahres 2020. Im Jahr 2019 beliefen sich die relevanten Gruppen jener, die am ehesten die Bedingungen zum Bezug einer abschlagsfreien Pension erfüllen auf rund ein Fünftel aller Pensionsantritte: Von den 69.946 neu zuerkannten Alterspensionen waren 8.373 Langzeitversicherte (12%) und 6.333 Schwerarbeitspensionen (9%) (Pensionsversicherungsanstalt 2019). Das macht in Summe 14.706 Pensionsantritte (21%), bei denen die Bedingungen für den abschlagsfreie Pensionsantritt am ehesten erfüllt werden können. Dass die Hacklerregelung also für wenige gilt, kann nicht bestritten werden.
Personen, die vor ihrem 20. Lebensjahr Beitragsjahre gesammelt haben, bekommen je geleistetem Beitragsmonat EUR 1,- höhere monatliche Pensionszahlungen. Das sind bei einem Start ins Erwerbsleben ab dem 15. Geburtstag maximal EUR 60 pro Monat mehr in der Pension. Die Gesamtkosten für die Regelung werden mit EUR 35-40 Mio. geschätzt (Kurier 2020).
Das niedrigere Pensionsantrittsalter schließt Frauen derzeit von der Inanspruchnahme der Hacklerregelung aus. Der FrühstarterInnen-Bonus soll geschlechtergerechter sein. Lehrlinge sind jene Berufsgruppe, für die die neue Regelung am relevantesten ist. Ihr Geschlechterverhältnis in den Jahren 1951-1981 ist jedoch deutlich in Richtung Männer verzerrt. Abbildung 2 zeigt, dass sich der Unterschied zwischen der Anzahl der männlichen und weiblichen Lehrlinge ab 1991 zwar verringerte, seit 2001 jedoch wieder vergrößert. Der Frauenanteil von Lehrlingen schwankt seit 1971 bis 2011 zwischen 32 und 26%. Dies stellt zwar für Pensionsantritte im aktuellen Jahr ein ausgeglicheneres Verhältnis der Geschlechter in den Anspruchsberechtigten als die Hacklerregelung dar. Spätestens mit dem angeglichenen Pensionsantrittsalter ab 2033 ist nicht klar, ob und inwiefern der FrühstarterInnen-Bonus geschlechtergerechter bleiben würde.
Abbildung 2
Der Vorschlag über einen neuerlichen Pensionsbonus soll mehr Menschen, die bereits lange im Erwerbsleben stehen begünstigen, als es durch die Hacklerregelung aktuell der Fall ist. Dabei spielt jedoch nicht nur die Anzahl der Personen, die unter die neue Regelung fallen würden, sondern auch der Betrag, mit denen die monatliche Pension dieser Personen erhöht wird, eine entscheidende Rolle. Die Gegenüberstellung des zusätzlichen monatlichen Pensionsbezugs macht den Unterschied der beiden Varianten im letzten Punkt deutlich: Die durchschnittliche monatliche Langzeitversicherten-Pension ist durch die Hacklerregelung um rund EUR 300 höher, mit dem FrühstarterInnen-Bonus ist die maximale monatliche Erhöhung mit EUR 60 gedeckelt (Budgetdienst 2020). Dazu kommen Zweifel darüber, wie viele Menschen überhaupt den vollen Bezug erhalten würden: Weil volle 5 Jahre Bedingung für den Maximal-Bezug von EUR 60 sind, erhält jemand, der nicht sofort mit dem 15. Lebensjahr einen Job oder eine Lehrstelle gefunden hat, weniger als die EUR 60 pro Monat, weil dann keine vollen fünf Jahre bis zum 20. Geburtstag Arbeitszeiten erworben wurden. Auch wie mit Präsenz- oder Zivildienst umgegangen wird, ist unklar. Der Bundesregierung zufolge sollen viermal so viele Erwerbstätige vom FrühstarterInnen-Bonus profitieren wie nun von der abschlagsfreien Pension Gebrauch machen können. Doch selbst wenn mehr Menschen von der Regelung begünstigt wären, ist das Ausmaß der Unterstützung wohl kaum groß genug, um mit zusätzlichen maximal EUR 60 pro Monat vor Altersarmut zu schützen oder den Gender Pension Gap für weibliche Langzeiterwerbstätige zu schließen.
Natürlich liegt die Schätzung des FrühstarterInnenbonus ab 2022 mit EUR 35-40 Mio. unter den geschätzten Aufwendungen für die Mehrauszahlungen für die Hacklerregelung mit EUR 202 Mio. (Budgetdienst 2020). Trotzdem muss – wie oben bereits beschrieben – berücksichtigt werden, dass die maximale monatliche Pensionserhöhung im Falle des FrühstarterInnenbonus um rund EUR 240 pro Monat unter dem durchschnittlichen monatlichen Mehrbetrag für BezieherInnen der Hacklerregelung liegt. Abbildung 3 stellt den gesamten Verlust für ArbeitnehmerInnen dar und zeigt, PensionistInnen verlieren 2022 über EUR 160 Mio.
Abbildung 3
Der einseitige Fokus auf die Abschaffung der Hacklerregelung blendet viel effektivere Lösungen zur geschlechtergerechten Gestaltung des Pensionssystems aus. Der FrühstarterInnen-Bonus per se ist daher keine besonders wirkungsvolle Maßnahme, wenn das sozialpolitische Ziel die deutliche Erhöhung der Frauenpensionen für ein geschlechtergerechtes Pensionssystem ist. Der Ersatz der Hacklerregelung durch den Bonus produziert zukünftige GewinnerInnen und VerliererInnen. Zu den VerliererInnen zählen Menschen, die besonders lange Beitragsjahre geleistet haben und einen deutlichen Teil ihrer monatlichen Pension verlieren. Die Erhöhung der Frauenpensionen könnte daher durch andere pensionspolitische Maßnahmen viel zielsicherer erreicht werden.
Schon in der Vergangenheit wurden Maßnahmen ergriffen, um das Pensionssystem gendergerechter zu machen. Darunter fallen die Anrechnung von Teilversicherungszeiten und das Pensionssplitting (Mairhuber/Mayrhuber 2020).
Zur weiteren Unterstützung der Alterssicherung von Frauen können die folgenden Schritte innerhalb der aktuellen Ausgestaltung des Pensionssystems gesetzt werden.
Bessere Anrechnung von Kindererziehungszeiten
Die Anrechnung von Kindererziehungszeiten erlaubt es effektiv – wie oben beschrieben – Frauenpensionen zu erhöhen. Dennoch liegen die Beitragsgrundlagen (2020: EUR 1.922,59), die monatlich angerechnet werden unter dem durchschnittlichen Brutto-Vollzeitverdienst von weiblichen Angestellten mittlerer Tätigkeitsprofile (EUR 2.303,64) (Statistik Austria 2018). Eine weitere deutliche Erhöhung der Beitragsgrundlagen ist aus pensionspolitischer Sicht überfällig, um die nach wie vor unbezahlten Arbeit, die vor allem durch Frauen geleistet wird, zumindest im Alter akkurat zu „entlohnen“.
Pensionsrechtliche Berücksichtigung von Teilzeit-Betreuungsarbeit
Ein in Österreich stark verbreitete Aufteilung von Lohnarbeit und Kindererziehung sieht so aus, dass der Mann Vollzeit arbeitet und die Frau nur Teilzeit, um Zeit für Kindererziehung aufzubringen. Analog zur Pflegeteilzeit gibt es für Eltern die Möglichkeit, zur Kinderbetreuung in Elternteilzeit zu gehen. Der Elternteil, welcher der Regelung in Anspruch nimmt, reduziert hierbei das Ausmaß der wöchentlichen Lohnarbeitszeit. Anders als bei der Pflegeteilzeit gibt es dafür jedoch keine pensionsrechtliche Berücksichtigung dieser unbezahlten Betreuungsarbeit. Die Übernahme des Bundes der fehlenden Pensionsbeiträge durch die reduzierte Lohnarbeitszeit – ähnlich der Regelung bei der Pflegeteilzeit – könnte einerseits einen Anreiz setzen, Kinderbetreuung für Väter attraktiver zu machen und andererseits für Frauen mit höheren Pensionsbeiträgen einhergehen.
Ausbildungszeiten anrechnen
Besonders die Generation „Praktikum“ leidet unter mangelnder Anrechnung von Ausbildungszeiten für die Pension. Schul- und Studienzeiten müssen nachgekauft werden. Durch eine deutliche Erhöhung der Kosten auf rund EUR 1.224,36 pro nachgekauftem Monat (d.h. rund € 14.700 pro Jahr) werden Menschen in schulischer Ausbildung systematisch benachteiligt (Pensionsversicherungsanstalt 2020). Zwar betrifft das nicht die „HacklerInnen“, durch die steigende Zahl an Frauen mit höherer Ausbildung (auch im Vergleich zu Männern) könnten besser ausgebildete Frauen in Zukunft dadurch benachteiligt werden.
Partnerunabhängige Ausgleichzulage
Die Ausgleichszulage sichert einen bestimmten Mindestbezug in der Pension. Die Richtsätze dafür liegen 2020 zwischen EUR 966,65 für eine alleinstehende Person und EUR 1.524,99 für PensionistInnen, die in einer PartnerInnenschaft leben. Für 2021 ist eine Erhöhung der niedrigsten Ausgleichszulage auf EUR 1.000 geplant, die restlichen Richtsätze steigen um 3,5% (Parlament 2020). Bis in die 70er Jahre gab es die Ausgleichszulage unabhängig vom ParnterInneneinkommen. Die Anrechnung der Pension des Partners heißt für viele Pensionistinnen, dass sie den Anspruch auf die Ausgleichszulage verlieren und somit von den Pensionsbezügen ihres Partners abhängig sind. Eine Wiedereinführung der partnerInneneinkommens-unabhängigen Ausgleichszulage erhöht Frauenpensionen und sichert ihre Unabhängigkeit auch im Alter.
Verpflichtendes Pensionssplitting
Wie oben beschrieben wird die Möglichkeit zum Pensionssplitting aktuell kaum angewendet. Ein Grund dafür kann die Abhängigkeit von der Einwilligung des erwerbstätigen Elternteiles, ein anderer schlicht die Trennung der Eltern sein. Daher ist es wichtig, das Pensionssplitting automatisch und auch im Scheidungsfall umzusetzen um den die Erziehung und Betreuungsarbeit leistenden Elternteiles auch im Alter abzusichern.
Das heißt nicht, dass Maßnahmen, die Frauen auch während ihres Erwerbslebens unterstützen und die faire Entlohnung verrichteter unbezahlter sowie bezahlter Arbeit von Frauen damit abgetan sind. Vielmehr sollten die obigen Vorschläge ergänzend zu aktiver Arbeits- und Familienpolitik hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit gesehen werden.