Das Foto zeigt im Stau stehende Autos.
/ 14. Juli 2021

Schon vor der Jahrtausendwende fiel der Startschuss für die heutige Debatte rund um den Lobau-Tunnel. Damals wurden im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung für den Nordosten Wiens ("SUPer NOW") verschiedene Varianten für eine sechste Donau-Querung diskutiert. Diese sollte die bestehenden fünf Brücken (Nordbrücke, Floridsdorferbrücke, Brigittenauerbrücke, Reichsbrücke und Praterbrücke) ergänzen und vor allem die Praterbrücke – samt darauf befindlicher A23 – entlasten. Entgegen der Abschlussempfehlung von SUPer NOW entschied man sich schließlich in den 2000ern für jene Variante über die heute diskutiert wird. Mittels Tunnel soll der Nationalpark Donau-Auen durchquert werden. Im Endausbau soll damit die S1 von Raasdorf bei Essling bis zum Knoten Schwechat geschlossen werden. Zudem sollen die Spange Seestadt Aspern und dazugehörige Stadtstraße die A23 von Hirschstetten aus mit der S1 verbinden und damit auch die Seestadt Aspern an das Autobahnnetz anschließen.

 

Verkehrssektor als Emissionstreiber

Nachdem Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) nun eine Prüfung sämtlicher Autobahn Bauvorhaben angekündigt hat, steht der Lobau-Tunnel einmal mehr im Zentrum der öffentlichen Debatte. Einer der Hauptgründe dafür ist die Entwicklung des Treibhausgasausstoßes durch den österreichischen Verkehrssektor. Denn seit 1990 sind die Emissionen im Verkehrssektor um über 74 % gestiegen. Rund die Hälfte der österreichischen Emissionen außerhalb des EU-Emissionshandelssystems sind auf den Verkehr zurückzuführen.

Mehr Straßen – Mehr Verkehr

Nicht nur klimapolitisch ist das Projekt sehr umstritten. Auch aus verkehrsökonomischer Sicht bringt der Lobau-Tunnel nicht den gewünschten Effekt einer Reduktion des Straßenverkehrs in Wien – im Gegenteil. Schon seit dem letzten Jahrhundert ist das Phänomen des induzierten Verkehrs bekannt: Baut man mehr Straßen, so führt das nicht zu einer Entlastung des Verkehrssystems, sondern zu einem Anstieg des Autoverkehrs. Jene Menschen, die zuvor mangels akzeptabler Straßenanbindung oder aufgrund langer Stauzeiten auf das Autofahren verzichtet haben, steigen durch die freigewordenen Kapazitäten im Verkehrssystem nun auf das Auto um. Der Autoverkehr steigt damit. Im konkreten Fall zeigt eine verkehrsökonomische Analyse der TU Wien, dass die geplanten Bauvorhaben zu einem Anstieg des Wiener Autoverkehrs von über 83.000 Fahrzeugkilometern pro Tag führen würden. Das zeigt sich auch im Modal Split, der die Verkehrsmittelwahl wiedergibt. Der Bau des Lobau-Tunnels verschiebt die Verkehrsmittelwahl hin zur stärkeren Autonutzung, während die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zurückgehen würde. Damit widerspricht das Vorhaben den Verkehrszielen, die sich die Stadt Wien selbst auferlegt hat. Laut Rahmenstrategie Smart City soll der Anteil des Autoverkehrs bis 2025 von aktuell 27 % auf 20 % sinken. Bis 2050 sollen es dann weniger als 15 % sein.

Die Verkehrsanalyse der TU-Wien zeigt die Be- und Entlastungen des Wiener Verkehrssystems durch den Bau des Lobau-Tunnels und der Stadtstraße. Die Entlastungen sind grün dargestellt, während die Belastungen rot dargestellt sind. Je dicker die Linie, desto größter die Be- bzw. Entlastung. Auf der Karte sind lediglich Nettoveränderungen von über 1000 Fahrzeuge pro Tag dargestellt. Während sich in der Innenstadt kleinere Be- und Entlastungen ergeben, wird im 22. Bezirk das niederrangige Straßennetz leicht entlastet. Nennenswerte Entlastungen von mehr als 5000 Fahrzeugen pro Tag finden sich lediglich auf der Praterbrücke (A23) und auf der A4. Dafür steigt die Belastung durch den Lobau-Tunnel und die Stadtstraße. Insgesamt überwiegen die Belastungen die Entlastungen.

Wirkliche Entlastung braucht mehr öffentliche Verkehrsmittel

Um eine nachhaltige Reduktion des Autoverkehrs herbeizuführen braucht es einen Ausbau des Radnetzes, sowie der öffentlichen Verkehrsmittel. Wie auch Verkehrswissenschaftler betonen, ist die Abhängigkeit vom PKW ein kreiertes Problem, weil zu lange auf den Ausbau von Straßen anstatt auf den Ausbau von öffentlichen Verkehrsmitteln gesetzt wurde. Besonders im 22. Bezirk zeigt sich dieser Bedarf deutlich, etwa wenn man das Bevölkerungswachstum mit dem PKW-Bestand vergleicht. Während in den restlichen Bezirken eine Entkoppelung von Bevölkerungswachstum und PKW-Bestand stattgefunden hat, steigt im 22. Bezirk der PKW Besitz parallel zum Bevölkerungswachstum. Außerdem müssen Straßen verkehrsberuhigt werden. Das Geld für die dafür notwendigen öffentlichen Investitionen können wir uns derzeit so günstig wie noch nie über Staatskredite besorgen. Gerade jetzt, wo es um den wirtschaftlichen Aufschwung nach Corona geht, wäre dafür der richtige Zeitpunkt. Auch die geplante Ausweitung des Parkpickerls auf ganz Wien ist ein wichtiger erster Schritt. Allerdings bleibt das Parken in Wien im internationalen Vergleich noch immer verhältnismäßig günstig. Ob die erwünschte Reduktion des Autoverkehrs damit erreicht werden kann, muss künftig noch evaluiert werden. 

 

Verkehrspolitik ist zugleich Sozialpolitik

Nicht nur verkehrsökonomisch ist der Bau von zusätzlichen Autobahnen umstritten, sondern auch verteilungsökonomisch. Schließlich besitzen ärmere Haushalte viel seltener Autos. In Wien besitzt in den untersten beiden Einkommensfünfteln weniger als die Hälfte der Haushalte einen PKW. Rund 64 % dieser Haushalte könnten den Lobautunnel somit gar nicht selbst benutzen. Dagegen sind es im reichsten Wiener Einkommensfünftel fast 80 % der Haushalte. Der Bau des Lobau-Tunnels kommt also überdurchschnittlich stark dem Mobilitätsverhalten von reicheren Haushalten zugute, während ärmere Haushalte kaum profitieren. 

 

Verkehr fit für das 21. Jahrhundert machen

Zusammenfassend kann also gesagt werden, dass die Wiener Verkehrspolitik mit dem Lobau-Tunnel einen Schritt in die Vergangenheit machen würde. Für eine fortschrittliche, soziale und verkehrsökonomisch sinnvolle Verkehrspolitik braucht es Alternativen, die uns die selbst auferlegte Abhängigkeit vom Autoverkehr nehmen. Konkret bedeutet das:

  • Einstellung großer neuer Straßenbauvorhaben, wie Stadtstraße oder Lobautunnel.
  • Ausbau des öffentlichen Verkehrssystems, sowie des Radfahrnetzes, besonders auch in den Flächenbezirken.
  • Rückbau großer Verkehrsflächen, um ein "Auffüllen" der freigewordenen Straßenkapazitäten zu vermeiden und den öffentlichen Raum fairer zu verteilen.
  • Eine Ökologisierung von Verkehrsabgaben, sowie die Einführung einer CO2-Steuer samt sozialen Ausgleichsmechanismen. 

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