Schon vor der Jahrtausendwende fiel der Startschuss für die heutige Debatte rund um den Lobau-Tunnel. Damals wurden im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung für den Nordosten Wiens („SUPer NOW“) verschiedene Varianten für eine sechste Donau-Querung diskutiert. Diese sollte die bestehenden fünf Brücken (Nordbrücke, Floridsdorferbrücke, Brigittenauerbrücke, Reichsbrücke und Praterbrücke) ergänzen und vor allem die Praterbrücke – samt darauf befindlicher A23 – entlasten. Entgegen der Abschlussempfehlung von SUPer NOW entschied man sich schließlich in den 2000ern für jene Variante über die heute diskutiert wird. Mittels Tunnel soll der Nationalpark Donau-Auen durchquert werden. Im Endausbau soll damit die S1 von Raasdorf bei Essling bis zum Knoten Schwechat geschlossen werden. Zudem sollen die Spange Seestadt Aspern und dazugehörige Stadtstraße die A23 von Hirschstetten aus mit der S1 verbinden und damit auch die Seestadt Aspern an das Autobahnnetz anschließen.
Nachdem Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) nun eine Prüfung sämtlicher Autobahn Bauvorhaben angekündigt hat, steht der Lobau-Tunnel einmal mehr im Zentrum der öffentlichen Debatte. Einer der Hauptgründe dafür ist die Entwicklung des Treibhausgasausstoßes durch den österreichischen Verkehrssektor. Denn seit 1990 sind die Emissionen im Verkehrssektor um über 74 % gestiegen. Rund die Hälfte der österreichischen Emissionen außerhalb des EU-Emissionshandelssystems sind auf den Verkehr zurückzuführen.
Nicht nur klimapolitisch ist das Projekt sehr umstritten. Auch aus verkehrsökonomischer Sicht bringt der Lobau-Tunnel nicht den gewünschten Effekt einer Reduktion des Straßenverkehrs in Wien – im Gegenteil. Schon seit dem letzten Jahrhundert ist das Phänomen des induzierten Verkehrs bekannt: Baut man mehr Straßen, so führt das nicht zu einer Entlastung des Verkehrssystems, sondern zu einem Anstieg des Autoverkehrs. Jene Menschen, die zuvor mangels akzeptabler Straßenanbindung oder aufgrund langer Stauzeiten auf das Autofahren verzichtet haben, steigen durch die freigewordenen Kapazitäten im Verkehrssystem nun auf das Auto um. Der Autoverkehr steigt damit. Im konkreten Fall zeigt eine verkehrsökonomische Analyse der TU Wien, dass die geplanten Bauvorhaben zu einem Anstieg des Wiener Autoverkehrs von über 83.000 Fahrzeugkilometern pro Tag führen würden. Das zeigt sich auch im Modal Split, der die Verkehrsmittelwahl wiedergibt. Der Bau des Lobau-Tunnels verschiebt die Verkehrsmittelwahl hin zur stärkeren Autonutzung, während die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel zurückgehen würde. Damit widerspricht das Vorhaben den Verkehrszielen, die sich die Stadt Wien selbst auferlegt hat. Laut Rahmenstrategie Smart City soll der Anteil des Autoverkehrs bis 2025 von aktuell 27 % auf 20 % sinken. Bis 2050 sollen es dann weniger als 15 % sein.