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Lohnnebenkosten senken: Angriff auf den Sozialstaat

Barbara Blaha
30. Januar 2024
Lohnnebenkosten senken: Angriff auf den Sozialstaat

Runter mit den Lohnnebenkosten?! Was als Solidaritätsaufruf daherkommt, ist in Wahrheit der Schlachtruf für den Angriff auf unser soziales Gefüge. Denn zwei Drittel der sogenannten Lohnnebenkosten kommen direkt den Arbeitnehmer:innen zugute. Wenn wir arbeiten, bekommen wir ein Gehalt. Auch, wenn wir im Urlaub oder Krankenstand sind. Bezahlter Urlaub, Feiertage, Bezahlung im Krankenstand machen 24 Prozent eines durchschnittlichen Jahresgehaltes aus. Also ein Viertel. Das sind keine “Neben”-Kosten – das soll der Begriff nur verschleiern. Das sind nicht ein paar Stellen hinter dem Komma. Das ist Geld, das den meisten Menschen in Österreich die Existenz sichert.

Das letzte Drittel der Lohnnebenkosten fließt in unsere sozialen Sicherungsnetze: Dieses Geld beschützt eine Million Menschen davor, in Armut zu leben. Wir müssen uns also klar machen, was diese Lohnnebenkosten eigentlich sind. Du bist krank und der Lohn kommt trotzdem? Lohnnebenkosten. Dein Kind ist krank und du musst Pflegeurlaub nehmen? Lohnnebenkosten. Dein Chef haut dich raus und du brauchst Arbeitslosenunterstützung? Lohnnebenkosten.

Und es ist gut, dass all diese Töpfe automatisch gefüllt werden, mit gesetzlich geregelten Abgaben, auch von den Arbeitgeber*innen: Das schützt das Kranken-, Pflege- und Arbeitslosengeld vor dem politischen Zugriff von Sparefroh-Parteien, die beim Sozialstaat kürzen wollen. Das ist das einzige Motiv: Die Neos wollen die Beiträge der Unternehmen um 6,55 Prozentpunkte senken. Konkret heißt das zum Beispiel, dass der Beitrag zum Familienlastenausgleichsfonds FLAF von 3,7 auf 3 Prozent sinken soll. Minus 0,7 Prozentpunkte heißt: Diesem Topf würden 1,1 Milliarden Euro fehlen. Die durchschnittliche Familienbeihilfe würde um etwa 40 Prozent schrumpfen – wenn die Kürzung nicht mit Steuergeld aufgefangen wird; aber dann zahlen erst recht wir alle, was derzeit die Unternehmen beitragen.

Der FLAF wurde 1955 bewusst als Verwaltungsfonds gegründet. Damit er selbständig Eltern und Kinder absichern kann – abgesichert vor dem Zugriff von Regierungen in Budgetnöten. Politisch war das nur durchsetzbar, weil in dem Jahr, in dem dieser Fonds aufgesetzt wurde, alle Arbeitnehmer*innen auf eine generelle Lohnerhöhung verzichtet haben. Nur unter dieser Bedingung haben die Arbeitgeber ihren Beitrag zum FLAF zugesagt. Natürlich ist deren Beitrag bis dato mehrfach gesenkt worden – von ursprünglich 6 Prozent auf heute 3,9 Prozent. Tendenz weiter sinkend: Ab 2025 ist die Kürzung auf 3,7 Prozent vorgesehen.

Eine andere Kürzungs-Idee der “Neben”-Kosten: die ersatzlose Streichung der Kommunalsteuer. Klingt sexy, weil “Kommunalsteuer” unsexy klingt. Die ist aber die wichtigste Einnahmequelle der Gemeinden. Sie brauchen dieses Geld für Abwasser, Straßenreinigung, Beleuchtung und Sportplatz. Allein ein Fünftel ihres Geldes geben die Gemeinden für die Schulgebäude, die Kindergärten und das dortige Personal aus.

Hinter dem Ruf: “Nieder mit den Lohnnebenkosten!” versteckt sich also ein anderer Angriff: “Nieder mit dem Sozialstaat!” Und ein Menschenbild: alles eine Frage der Eigenverantwortung! Wenn du krank wirst oder gekündigt wirst, dann hast du Pech gehabt. Wahrscheinlich warst du auch selbst schuld? Die Welt ist eingeteilt in die Fleißigen und Faulen, die Hiesigen und Dortigen. 

Wenn Forderungen aus der Ecke “Nieder mit den Lohnnebenkosten” kommen, dann lohnt es sich immer, aufs Ganze zu schauen: Wie fühlt sich das Leben von Millionen Menschen in Österreich gerade an? Eine*r von fünf kann sich keine spontan notwendigen Ausgaben über 1.300 Euro leisten. Eine*r von zehn kann die laufenden Ausgaben nicht stemmen. Und jede zwanzigste Wohnung kann im Winter nicht ausreichend beheizt werden. Und dann kommt ernsthaft jemand und schreit: “Runter mit dem Arbeitslosen-, mit dem Pflege- und mit dem Krankengeld!”

Das kommende Jahr wird entscheidend für eine Million Österreicher*innen: Das System, das sie davor schützt, in die Armut zu stürzen, aus der man kaum mehr herauskommt – steht auf dem Spiel. Die Versicherungsleistungen, die wir mit den Lohnnebenkosten finanzieren, das sind die mittleren drei Sprossen auf der Leiter, die aus der Armutsfalle herausführt. Ohne diese Sprossen fällst du ungebremst – und kommst auch nicht mehr raus. Wir müssen darüber diskutieren, wer in unserer Demokratie ans Ruder gelassen wird. Darüber diskutieren, was sie vorhaben und was das für uns alle heißt. Und was sie wirklich meinen, wenn sie mit Schlachtrufen “Kürzen!” und “Sparen!” in den Wahlkampf ziehen.

 

Dieser Text erschien zunächst als Kolumne im Profil.

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