Einkaufen ist teuer geworden. Wie sehr? Unternehmen setzten die Preise in Österreich letztes Jahr so stark hinauf, dass die Kaufkraft der Löhne um über 4 Prozent sank – der stärkste Rückgang seit Beginn der Aufzeichnungen vor sechzig Jahren. Für Menschen mit wenig Verdienst sieht es noch schlimmer aus: Ihr Gehalt wurde hochgerechnet um 10 Jahre in die Vergangenheit zurückgeworfen, der reale Einkommensgewinn eines Jahrzehnts ausgelöscht. Heuer bleiben Arbeitnehmer auf diesem Kaufkraftverlust sitzen: Die Gehaltserhöhungen am Jahresanfang gleichen nur die noch zusätzliche Teuerung 2023 aus, nicht die aus 2022. Ohne eine kräftige Lohnrunde im Herbst bleiben die Arbeitnehmer also permanent ärmer.
Einigermaßen bizarr muten daher die konkreten Forderungen nach „Lohnzurückhaltung“ an, die das IHS, WIFO und die Nationalbank in Tandem mit dem Finanzminister erhoben haben. Arbeitnehmer sollen auf einen Teil der Lohnerhöhungen verzichten, keinen vollen Ausgleich für die Inflation erhalten. Das käme den Durchschnittsverdiener teuer zu stehen. Er würde in einem Vollzeitjob innerhalb von drei Jahren um 2.300 bis 3.800 Euro umfallen. Langfristig werden Zehntausende Euro daraus. Der momentane Kaufkraftverlust würde als dauerhafte Lohnkürzung einzementiert.
Der plötzliche Aktivismus bei den Lohnverhandlungen überrascht. Das ganze letzte Jahr gaben die gleichen wirtschaftsliberalen Ökonomen den Unternehmen und der Bundesregierung einen Freifahrtschein für Preiserhöhungen. Keinesfalls dürfe in den Markt eingegriffen werden, die Preise müsse man laufen lassen. Das Ergebnis davon ist eine Teuerung, die wesentlich von den Profiten der Unternehmen getrieben ist. Große Teile der heimischen Unternehmen haben teurere Importe als Ausrede genommen, eine Preiserhöhung nach der anderen hinaus zu feuern. Und die Preise deutlich stärker erhöht als ihre Kosten es rechtfertigen. Die hohen Gewinne mancher heimischer Branchen – etwa Energie, Banken, Bau – führen dazu, dass andere Branchen ihre Preise aufgrund gestiegener Kosten erhöhen. Die Profit-Preis-Spirale dreht sich munter weiter.
Können Löhne überhaupt die Inflation erhöhen? Allein die Frage zäumt das Pferd von hinten auf. Die Löhne schleppen sich den Preisen mit großer Verspätung hinterher. Von einer Preiserhöhung bis zum höheren Lohn des Arbeitnehmers vergehen bis zu eineinhalb Jahre. Grundsätzlich gilt: Fast jeder Lohnerhöhung liegt eine vorherige Preiserhöhung zugrunde. Das zeigt auch den Ausweg aus der Teuerung auf. Wenn Unternehmen ab sofort auf Preiserhöhungen verzichten, manche gar ihre Preise deutlich senken. Dann folgen niedrigere Lohnabschlüsse auf den Fuß – ganz automatisch. Diese Lösung skizzierte kürzlich auch der Internationale Währungsfonds. Die Unternehmen insgesamt haben ihre Gewinne eingefahren und Puffer aufgebaut. Um die Teuerung zu senken, müssen sie sich bei den Gewinnen zurückhalten und die diesjährige Lohnrunde schlucken. Und nicht erneut mit Preiserhöhungen die Teuerung befeuern.
Dieser Text erschien zunächst als Teil eines „Pro & Contra“ im „Standard“.