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Schnelleinschätzung zum „Geld-Zurück-Paket“: Sozialleistungen nach wie vor nicht armutsfest

Redaktion
14. Juni 2022
Schnelleinschätzung zum „Geld-Zurück-Paket“: Sozialleistungen nach wie vor nicht armutsfest

Einmalzahlungen, aber keine armutsfesten Sozialleistungen

Positiv hervorzuheben ist die künftige Indexierung jener Sozialleistungen ab 2023, die bisher noch nicht laufend an die Inflation angepasst wurden, wie etwa der Familienbeihilfe. Für einen Ausgleich des Kaufkraftverlustes der Sozialleistungen der letzten 20 Jahre reichen die Maßnahmen jedoch nicht aus. Seit 2000 verlor die Familienbeihilfe 31,4 Prozent an Wert. „Mit der Indexierung wird ein künftiger Kaufkraftverlust verhindert. Nicht ausgeglichen wird der empfindliche Verlust der letzten Jahre“, erläutert Oliver Picek, Chefökonom des Momentum Instituts.  

Grafik: Entwicklung der Familienbeihilfe seit 2000

Der geplante Teuerungsausgleich von weiteren 300 Euro kommt zwar an der richtigen Stelle an, denn die Verteilungswirkung fällt zugunsten der Haushalte mit sehr geringen Einkommen aus. Eine alleinstehende Bezieherin der Mindestsicherung oder durchschnittliche arbeitslose Person hebt der Teuerungsausgleich jedoch nur für einen Monat über die Schwelle der Armutsgefährdung.

„Als Einmalzahlung hilft der Teuerungsausgleich – wie der Name schon sagt – eben nur einmal. Sozialhilfe, Mindestpension, Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe werden weiterhin nicht dauerhaft über die Armutsgefährdungsschwelle gehoben. Trotz Rekordteuerung sind die monatlichen Sozialleistungen damit weiterhin nicht armutsfest“, so Picek. Zudem: Rund die Hälfte der armutsgefährdeten Haushalte sind von dieser Zahlung ausgeschlossen, weil sie nicht im Sozialsystem erfasst sind oder die strengen Einkommensgrenzen geringfügig überschreiten.

Die Sozialleistungen liegen immer noch unter der Armutsgefährdungsschwelle

Viel Geld, das im unteren Drittel nicht ankommt

Nur rund ein Drittel der Entlastung aus den Sofortmaßnahmen 2022 kommt ausschließlich dem untersten Drittel der Gesellschaft zugute. „Die Ärmsten und die untere Mittelschicht leiden am stärksten unter der Teuerung. Sie haben wenig Einkommen und so gut wie keine Ersparnisse. Diese Haushalte können sich vor der Teuerung nicht selbst schützen. Nimmt man so viel Geld in die Hand, sollte unten mehr ankommen“, kritisiert Picek, Ökonom am Momentum Institut.

Mit dem Teuerungs- und Klimabonus werden 500 Euro ohne soziale Staffelung an alle verteilt. Die Abschaffung der Kalten Progression unterstützt Haushalten mit hohen Einkommen deutlich mehr als jene mit niedrigen. Steuersenkungen für Unternehmen helfen tendenziell reicheren Unternehmensbesitzer:innen. „Viele Haushalte mit guten Einkommen haben kein Problem mit der Teuerung. Die Mehrausgaben der oberen Einkommensklassen machen es Unternehmen einfacher, ihre Preise zu erhöhen. Wer wenig Geld hat, für den wird die Teuerung noch stärker ausfallen“, erinnert Picek.

Keine einzige inflationsdämpfende Maßnahme 

Das Paket enthält keine einzige Maßnahme, die direkt die Preise der Grundbedürfnisse Wohnen, Essen, und Energie dämpft. Ein Preisdeckel auf den Haushalts-Grundbedarf bei Strom oder Gas fehlt. Die Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel wird nicht gesenkt. Beschränkungen der Vermieter:innen bei den Mieterhöhungen werden ebenfalls nicht erwähnt. „Statt Marktverwerfungen anzugehen, bezahlt die Bundesregierung der Schwerindustrie die Stromrechnung. Bei den Haushalten hechelt man mit Einmalzahlungen den Preiserhöhungen der Unternehmen hinterher. Derweil müsste die Politik die Teuerungsursachen selbst stärker bekämpfen. Andere Länder wie Frankreich, Spanien und Portugal machen das beim Strom vor“, bemerkt Marie Hasdenteufel, Ökonomin am Momentum Institut.

Künftig weniger Handlungsspielraum durch weniger Einnahmen

Von der Abschaffung der Kalten Progression profitieren hohe Einkommen viel stärker als niedrige Einkommen. Das Maßnahmenpaket sieht vor, zwei Drittel der Abgeltung der Kalten Progression zu automatisieren, und ein Drittel verpflichtend zurückzugeben. Bisher wurde die Kalte Progression durch regelmäßige Steuerreformen abgegolten. Gerade in Krisenzeiten half sie jedoch, die Finanzierung des Staates und der Sozialsysteme stabil zu halten. Eine verpflichtende komplette Abgeltung kürzt die staatlichen Einnahmen in Krisenzeiten beträchtlich und gefährdet die Finanzierung des Sozialsystems. „Das Paket ist laut Finanzministerium nur zur Hälfte sicher ausfinanziert. Wesentlich ist daher eine dauerhafte Gegenfinanzierung mit einer angemessenen Besteuerung von Vermögen, Unternehmensgewinnen, Grund & Boden, sowie Erbschaften, die in Österreich schon lange unterbesteuert sind. Auch eine Übergewinnsteuer auf die Rekordgewinne der großen Energieerzeuger als Gegenfinanzierung für die vielen Einmalmaßnahmen fehlt. Ohne ausreichende Gegenfinanzierung wirkt das Paket in der aktuellen Lage inflationssteigernd, nicht inflationsdämpfend“, mahnt Hasdenteufel ein.

Um die Arbeitgeberbeiträge zum Sozialsystem zu senken, wird der ohnehin schon hochverschuldete Familienlastenausgleichsfonds zur Finanzierung der Familienbeihilfe belastet. Finanziell noch problematischer ist die dauerhafte Senkung des Unfallversicherungsbeitrags für Arbeitgeber:innen, die – wie schon zuvor die Körperschaftsteuersenkung – ohne Gegenfinanzierung bleibt. „Arbeitgeber:innen tragen künftig jährlich noch einmal weniger zur Finanzierung unseres Gemeinwesens bei. Dieses Geld fehlt dem Sozialversicherungssystem bzw. dem Staat jedes Jahr aufs Neue“, analysiert Hasdenteufel.

Verschiebung der CO2-Steuer nützen, um Lücken zu schließen

Die Verschiebung der CO2-Steuer ist klimapolitisch problematisch. Sie sollte aber zumindest genützt werden, um Lücken bei der CO2-Steuer zu schließen. Der höhere Klimabonus ermöglicht es, im Herbst eine CO2-Steuer mit 50 statt mit 30 Euro pro Tonne einzuführen. Sinke der Preis an der Tankstelle nach dem Ende der Energiepreiskrise, müsse die CO2-Steuer zudem stärker erhöht werden. „Eine solche CO2-Preissicherung erzeugt einen Mindestpreis an der Tankstelle. Damit würde Tanken auch nach dem Ende der Energiekrise nicht wieder so günstig werden, dass unnötige Autofahrten an der Tagesordnung stehen und unser Klima weiter erhitzt“, so Joel Tölgyes, Klima-Ökonom am Momentum Institut. Ein weiteres ungelöstes Problem ist, dass Mieter die volle CO2-Steuer beim Heizen zahlen sollen, obwohl nur der Vermieter das Heizsystem tauschen könnte. 

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