Angesichts der rapide steigenden Infektionszahlen nimmt die Diskussion über einen neuerlichen Schul-Shutdown neue Fahrt auf. Dabei verstellt die Frage, ob die Schulen offen bleiben sollen, den Blick auf Ideen, die Schulen als sicheren Ort für Lehrpersonal wie SchülerInnen gewährleisten könnten.
Schulschließungen haben enorme negative Auswirkungen auf die SchülerInnen. Nicht nur fehlen ihnen die Unterrichtsstunden und damit die Vermittlung wichtigen Lernstoffes. Auch die psychischen und physischen Folgen der fehlenden sozialen Kontakte sowie der eingeschränkten Bewegungsmöglichkeiten sind zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite folgen hohe ökonomische Kosten für SchülerInnen, Eltern und die gesamte Volkswirtschaft: SchülerInnen müssen durchschnittlich laut IHS (2020) pro Shutdown-Monat mit lebenslänglichen, jährlichen Gehaltseinbußen von EUR 100-200 rechnen, die sich auf über EUR 2 Mrd. bzw. 0,5% des BIP summieren, wobei diese je nach sozialer Herkunft wohl äußerst ungleich auf die SchülerInnen verteilt sein werden. Auch auf die Eltern können laut Berechnungen des Momentum Instituts durch die reduzierten Arbeitsstunden aufgrund von Kinderbetreuung (Annahme: vierwöchiger Schul-Shutdown) bis zu EUR 0,8 Mrd. an Einkommensverlusten zukommen. Das stimmt annähernd mit den vom IHS berechneten EUR 1 Mrd. an Einbußen für Eltern durch den Verlust produktiver Arbeitsstunden eines Shutdown-Monats überein. Bildung ist ein enorm wichtiger Faktor für die Entwicklung eines Landes und ein Schul-Shutdown somit aus volkswirtschaftlicher Sicht katastrophal. Die OECD (2020) schätzt die negativen Auswirkungen der bisherigen Schulschließungen auf (weltweit) durchschnittlich 1,5% des BIP – dauerhaft, für den Rest des Jahrhunderts. Bei all diesen quantifizierbaren negativen Konsequenzen bleibt der Verlust von Bildung an sich noch außen vor.
Die Entscheidung, ob Schulen geöffnet bleiben sollen, bleibt eine politische. Angesichts hoher Folgekosten und lebenslanger, negative Auswirkungen auf die psychische, physische und ökonomische Zukunft unserer Kinder stellt sich die Frage, ob dies nicht mit den nachfolgenden risikominimierenden Maßnahmen in Zukunft verhindert werden könnte. Die geschätzten Kosten der Schließungen übersteigen die der notwendigen Schutzmaßnahmen bei weitem.
Um die Schulen Corona-fit zu gestalten, sind Investitionen in die Infrastruktur notwendig. Dazu gehören etwa Luftfilter, die in der Lage sind, die Aerosol-Belastung in einer Klasse drastisch zu senken. Da Luftfilter kein CO2 aus der Luft entfernen und somit das Lüften nicht ersetzen, sollten auch CO2-Messgeräte angeschafft werden. Sie erlauben es, den optimalen Zeitpunkt zum Lüften zu bestimmen, sodass die Klassenräume auch in der kalten Jahreszeit rechtzeitig mit Frischluft versorgt werden. Mit automatischen Fiebermessgeräten an den Eingängen, wie sie in Italien bereits in großen Schulen verwendet werden, können SchülerInnen mit Symptomen bereits vor dem Eintritt in die Schule besser identifiziert werden. Mit diesen Maßnahmen muss auch eine intelligente und flächendeckende Teststrategie (z.B. mit Antigentests) einhergehen, um Verdachtsfälle schnellstmöglich abklären zu können. Um das Ansteckungsrisiko in der Schule zu minimieren, müssen für die SchülerInnen als auch für das Lehrpersonal ausreichend FFP2-Masken bereitgestellt werden. Die Ausstattung von SchülerInnen mit Heimcomputern erlaubt es im Fall von einzelnen, temporären Schulschließungen oder Klassen in Quarantäne eine einheitliche, inklusive Unterrichtsform zu entwickeln.
Berechnungen des Momentum Instituts zufolge verursachen die aufgezählten, teils einmaligen Maßnahmen Kosten von etwa EUR 0,54 Mrd. – ein gutes Investment. Denn die Investitionskosten betragen nur knapp ein Fünftel der ökonomischen Kosten eines einmonatigen Schul-Shutdowns von EUR 2,8 Mrd., die sich aus den Berechnungen des IHS (EUR 2 Mrd. an Einkommensverlust der Kinder) und des Momentum Instituts (EUR 0,8 Mrd. an Produktivitätsverlusten der Eltern) ergeben. Zu den geringeren ökonomischen Kosten, kommt auch der Nutzen einer besseren physischen und psychischen Gesundheit der Kinder, Eltern und Lehrkräfte. Dieser lässt sich hier nicht quantifizieren, dürfte aber dennoch erheblich sein.
Darüber hinaus sollte das Angebot von SozialarbeiterInnen und PsychologInnen an den Schulen erhöht werden. SchülerInnen und Eltern müssen bestmöglich dabei unterstützt werden, mit den psychischen Folgen der Corona-Maßnahmen umzugehen. Außerdem sollte auch eine physische Trennung der Klassen in kleinere Gruppen angedacht werden. Dazu könnten derzeit leerstehende Gebäude genutzt werden sowie weiteres Lehrpersonal angestellt werden. Einerseits bieten sich hier Lehrkräfte mit Abschluss an, die zurzeit noch ohne Anstellung sind, anderseits können Lehramtsstudierende rekrutiert werden, die sich am Ende ihres Studiums befinden.
Sollte es die epidemiologische Situation nicht anders zulassen, ist ein Schul-Shutdown unvermeidlich, wobei auch dann weitere Investitionen und Maßnahmen notwendig sind, damit ökonomisch benachteiligte Kinder nicht noch stärker abgehängt werden. Es stellt sich jedoch die Frage, warum die letzten Monate nicht genutzt wurden, um Investitionen, wie die oben vorgeschlagenen, zu diskutieren und umzusetzen, damit die Schulschließungen verhindert werden können. Denn angesichts der hohen Kosten und der negativen Auswirkungen auf die Zukunft unserer Kinder, sollte ein Schul-Shutdown als letzte Maßnahme in Betracht gezogen werden.