Jeden Herbst begehen wir in Österreich den Equal Pay Day. Er soll darauf aufmerksam machen, dass die Einkommensschere zwischen Frauen und Männer noch immer enorm auseinanderklafft – und sich nur sehr langsam schließt. Mindestens einmal im Jahr hören wir dann: Das ist alles nur konstruiert, das ist alles nur ein Mythos, das betrifft, wenn überhaupt, nur Mütter.
Was sehen wir, wenn wir uns diese „Mythen“ genauer vornehmen? Im Unterschied zu noch vor 30 Jahren werden Frauen und Männer zu Beginn ihres Erwerbslebens tatsächlich ähnlich bezahlt. Mit zunehmendem Alter verlieren Frauen im Laufe ihres Berufslebens aber immer noch enorm. Dieses Muster ist über die Zeit hinweg gleichgeblieben. Die Einkommensschere – der sogenannte Gender Pay Gap – bleibt ebenso bestehen, obwohl Frauen heutzutage häufiger als Männer einen Hochschulabschluss haben. Und sie schließt sich selbst dann nicht, wenn die Kinder bereits erwachsen sind.
Mutterschaft ist nicht der einzige Grund für den Gender Pay Gap. Genau dazu forscht die diesjährige Wirtschafts-Nobelpreisträgerin Claudia Goldin. Sie zeigt, dass es nicht eine, sondern gleich drei Einkommenslücken gibt: die „Mutterschaftsstrafe“, den „Preis eine Frau zu sein“ and das „Vaterschaftspremium“. Zusammen bilden sie den „Parental Gender Gap“.
Die Mutterschaftsstrafe zahlen Frauen, weil sie es sind, die in Karenz gehen und danach in Teilzeit auf den Arbeitsmarkt zurückkehren. Das Vaterschaftspremium wirkt, weil er Karriere und Überstunden macht, während sie die Kinder zuhause schupft. Und weil sich das konservative Rollenbild, dass es die Männer sind, die mit ihrem Einkommen die gesamte Familie ernähren, bei Gesellschaft und Arbeitgebern hartnäckig hält. Den Preis eine Frau zu sein, den zahlen Frauen obendrauf, weil sie für die gleiche Arbeit einfach schlechter bezahlt werden. Dank Goldin wissen wir also, dass nicht Mutterschaft allein für den Gender Pay Gap verantwortlich ist, sondern die Diskriminierung aller Frauen einen wesentlich bedeutenderen Anteil hat. Die Stundenlöhne von Frauen im Vergleich zu jenen von Vätern zeigen, dass das Vaterschaftspremium oft viel stärker wirkt als die anderen beiden Gaps.
Mit ihren Arbeiten zu den USA hat Goldin eine ganze Tradition an Forschung angestoßen. Es gibt mittlerweile eine ganze Menge Länderbeispiele. Zwar führen kulturelle Unterschiede zu verschiedenen Ausformungen, zum Beispiel in Norwegen, das Muster bleibt überall ähnlich. Für Österreich bestätigt das eine Analyse des Momentum Instituts: Egal ob mit oder ohne Kind, Frauen werden weit schlechter bezahlt als Väter. Die geschlechtsspezifische Einkommensschere ist also auch in Österreich nicht ausschließlich auf das geringe Einkommen der Mütter im Vergleich zu Frauen ohne Kinder zurückzuführen. Sondern basiert vor allem auf einem Anstieg des Einkommens der Väter.
Das ist durchaus unerwartet und bedeutet für viele, dass sie die Gender Pay Gap-Thematik neu betrachten müssen. Denn die Erklärung, dass Frauen nur aufgrund ihrer Mutterschaft schlechter bezahlt werden, war eine „gute“ Möglichkeit, den Frauen weiterhin die Schuld für ihre niedrigen Einkommen in die Schuhe zu schieben: Sie wollte doch Kinder, sie ging in Karenz, sie arbeitet „nur“ Teilzeit, sie hätte sich halt einen anderen Partner suchen müssen. Wenn man die Schuld bei den einzelnen Frauen sieht, kann man sich perfekt vor der politischen Verantwortung drücken.
Die politischen Herausforderungen sind aber größer denn je – auch weil wir alle drei Teile des Gender Pay Gaps angehen müssen, nicht nur einen. Damit sich der Gender Pay Gap nicht erst für unsere Enkelkinder schließt, braucht es jetzt Lösungen:
Natürlich müssen wir die Kinderbetreuung ausbauen und die Pflege von Angehörigen nicht weiter den Frauen umhängen., das steht außer Frage. Die Analysen zeigen uns aber auch, dass damit die Herkules-Aufgabe, den Gender-Pay-Gap zu schließen, längst nicht getan ist. Es ist notwendig, der strukturellen Benachteiligung von Frauen einen Riegel vorzuschieben. Dabei können uns eine verpflichtende Lohntransparenz und Quoten – nicht nur in Aufsichtsräten – helfen. Nicht zuletzt müssen wir jene Niedriglohnbranchen aufwerten, in denen so viele Frauen tagtäglich (über-)lebenswichtige Arbeiten verrichten.
Dieser Text erschien zunächst als Teil der Kolumne „Ausgerechnet“ bei ZackZack.