Aktuell ist eine Debatte um die Arbeitszeit in Österreich entbrannt. Der Arbeitszeitreport bietet einen Überblick über die Arbeitszeit der unselbständig Beschäftigten in Österreich und liefert Zahlen, die in der aktuellen Debatte bisher fehlen. Die Grundlage für ein funktionierendes Anreizsystem für das Ausweiten der Arbeitszeit ist, dass unselbständig Beschäftigte ihre Arbeitszeit frei wählen können. Der Report zeigt, dass dieses Privileg in Österreich jedoch nur wenigen unselbständig Beschäftigten vorbehalten ist. Am ehesten können unselbständig Beschäftigte in den reichsten Einkommensschichten ihre Arbeitszeit selbstbestimmt wählen. Genau jene unselbständig Beschäftigten reagieren aber überproportional robust auf finanzielle Anreize, sie verdienen bereits gut. Die finanzielle Benachteiligung von unselbständig Beschäftigten, die Teilzeit arbeiten, könnte in oberen Einkommensschichten daher nicht den erwünschten Effekt bringen. Gleichzeitig arbeitet nur ein Viertel der Teilzeitbeschäftigten freiwillig in Teilzeit. Die Benachteiligung von Teilzeitarbeit in Form von Einkommensverlusten hätte keine Anreizwirkung, Betroffene verändern ihre Arbeitszeit nicht. Bei Menschen aus den unteren Einkommensschichten ist der Anreiz zu Mehrarbeit bereits groß. Sie wollen mehr Stunden arbeiten, als sie es aktuell tun. Auch bei ihnen drohen Einkommensverluste, ohne den Grund für die Teilzeitarbeit ändern zu können.
Das Kräfteverhältnis am Arbeitsmarkt hat sich aufgrund der aktuell guten wirtschaftlichen Lage und des demographischen Wandels hin zu den Arbeitnehmer:innen gedreht. Angesichts der erschwerten Besetzung offener Stellen versucht die Bundesregierung das Arbeitsangebot auszuweiten. Damit entbindet sie Unternehmen von einem Verbesserungsdruck. Diese müssten sonst ihre Nachfrage nach Arbeitskräften mit höheren Löhnen und besseren Arbeitsbedingungen an das Arbeitsangebot der Arbeitskräfte anpassen. Der neueste Vorschlag: Die Aufnahme einer Vollzeitanstellung soll attraktiver werden, auch indem die Aufnahme einer Teilzeitstelle unattraktiver gemacht werden soll. Ziel ist es, mehr Menschen zu einer Vollzeitanstellung zu animieren (Kurier, 2022). Wie genau diese zusätzliche Attraktivierung aussehen soll, ist bisher unklar. Bereits heute haben Teilzeitbeschäftigte gegenüber Vollzeitbeschäftigten erhebliche Nachteile. Sie erhalten einen geringeren Lohn, haben dadurch einen geringeren Pensionsanspruch und bereits heute einen Nachteil bei allen einkommensabhängigen Sozial- und Versicherungsleistungen, etwa dem Arbeitslosengeld, dem Kinderbetreuungsgeld oder bei einer Bildungskarenz.
Der aktuellen Debatte liegt die Annahme zu Grunde, dass unselbständig Beschäftigte ihre Arbeitszeit völlig frei wählen können. Dieser Logik folgend arbeiten Teilzeitbeschäftigte freiwillig in Teilzeitverhältnissen. Das ist jedoch nicht der Fall. Nur rund ein Viertel der Teilzeitbeschäftigten gibt an freiwillig in Teilzeit zu arbeiten. Der Hauptgrund für eine Teilzeitbeschäftigung sind Betreuungspflichten von Kindern und Älteren. Die Verhandlungsmacht der unselbständig Beschäftigten ist nur selten hoch genug, um ihre gewünschte Arbeitszeit gegenüber ihren Arbeitgeber:innen durchzusetzen. Nur unselbstädig Beschäftigte im reichsten Einkommensdezil arbeiten so viel, wie sie es wollen. Eine Arbeitszeitreduktion ist nur unter guten finanziellen Voraussetzungen möglich. Die größte Arbeitszeitreduktion leistete sich in den vergangenen sieben Jahren das reichste Einkommensdezil. Außerdem sind oftmals die Unternehmen der Grund für die Teilzeitarbeit. In manchen Branchen ist bis zu einem Drittel der offenen Stellen nur Teilzeit ausgeschrieben. Das heißt, Beschäftigte wollen oft Vollzeit arbeiten, können es aber nicht, weil Unternehmen Teilzeit-Anstellungen bevorzugen.
Für eine Arbeitszeitanpassung benötigen unselbständig Beschäftigte einerseits ausreichend finanzielle Mittel und andererseits eine starke Verhandlungsposition gegenüber ihren Arbeitgeber:innen. Beides ist überproportional in reicheren Einkommensschichten zu finden. Unselbständig Beschäftigte dieser Einkommensschicht sind aber vergleichsweise robust gegenüber finanziellen Anreizen. Sie lassen sich etwa von einer Kürzung der Sozialleistungen weniger zu einer Arbeitszeitänderung animieren. Ärmere Einkommensschichten wollen hingegen teilweise mehr arbeiten als sie es aktuell tun, können es aber aufgrund anderer Rahmenbedingungen nicht. Ein finanzieller Nachteil für Teilzeitarbeitende droht daher das Ziel der Arbeitszeitverlängerung zu verfehlen. Gleichzeitig würde er zu Einkommensverlusten führen, die gerade in unteren Einkommensschichten existenzbedrohend sein können. Insbesondere Frauen, die aufgrund von Betreuungspflichten nicht Vollzeit arbeiten können, sind oft auf Sozialleistungen wie die Familienbeihilfe angewiesen.
Statt der Debatte um eine durchschnittliche Arbeitszeitverlängerung scheint eine Debatte um eine gesetzliche Arbeitszeitverkürzung sinnvoll. Der technische Fortschritt erlaubt uns als Gesellschaft die Löhne zu erhöhen und die Arbeitszeit zu verkürzen, ohne dabei auf Wohlstand zu verzichten. Österreichs Arbeitskräfte sind heute sieben Mal so produktiv wie 1950 (Dammerer, 2019). Bis in die 1980er-Jahre waren Arbeitszeitverkürzungen üblich – entweder durch eine geringere gesetzliche Höchstarbeitszeit oder durch einen höheren Urlaubsanspruch. Seitdem gab es weiterhin starke Produktivitätszuwächse aber keine Arbeitszeitreduktion mehr