
Österreich leidet unter hohen Strompreisen. Die Marktliberalisierung brachte statt billiger Energie zuletzt satte Konzerngewinne. Zeit für tiefgreifende Reformen – jenseits kosmetischer Korrekturen und Wettbewerbsillusionen.
Die Menschen in Österreich zahlen immer noch überhöhte Preise für Strom. Während die Wettbewerbsbehörde und E-Control mangelnden Wettbewerb unter den Stromlieferanten diagnostiziert, schlägt sie nur oberflächliche Lösungen vor – etwa monatliche statt jährlicher Stromrechnungen. Sie verkennen die wahre Natur des Problems. Es ist nicht mangelnder Wettbewerb im Markt. Es ist der Markt selbst, der versagt.
Denn Stromversorgung ist Teil der Grundversorgung, genauso wie die Wasserversorgung, Feuerwehr oder Gesundheitsversorgung. Niemand käme auf die Idee, sich eine Feuerwehr aussuchen zu müssen, oder ständig Wasserversorger zu wechseln. Doch beim Strom werden Verbraucher:innen permanent dazu gedrängt. Als wäre es ihre eigene Schuld, wenn sie hohe Preise zahlen. Besonders zynisch zeigte sich dies während der Energiekrise 2022/23. Alle Stromlieferanten lehnten Neukund:innen ab. Nur die staatlich garantierte Grundversorgung bewahrte tausende Haushalte vor dem Rückfall in ein mittelalterliches Leben ohne Strom. Da gab es nicht zu wenig Wettbewerb im Markt. Es gab keinen Markt.
Vor 24 Jahren liberalisierten Österreich und die EU die Stromversorgung im Glauben, der Markt könne es besser. Stattdessen flicken sie seither mit immer neuen Gesetzen und Regulierungen ein System zusammen, das es strukturell regelmäßig zerreißt. Ein grundlegender Umbau ist nötig.
Was braucht es für niedrigere Preise? Zunächst eine Umwandlung des größten Stromproduzenten Österreichs, des Verbund-Konzerns. Statt einer profitgetriebenen Aktiengesellschaft muss ihn die Bundesregierung in eine gemeinnützige Genossenschaft umgründen. Branchenexpert:innen schätzen, dass der Verbund mit alten, abgeschriebenen Wasserkraftwerken Strom teils zu Kosten von wenigen Euro pro Megawattstunde erzeugt. Verkauft hat er während der Energiekrise 2022/23 im Schnitt zu 200 Euro. Der Vorteil einer Genossenschaft: Statt maximaler Profite wären günstigere Preise für die Mitglieder, also die Kundschaft, das zentrale Ziel. Selbst Landesenergieversorger könnten Mitglied werden und den günstigen Strom an ihre zahlreichen Kund:innen weitergeben.
Das Merit-Order-System, bei dem teure Gaskraftwerke den Strompreis insgesamt nach oben treiben, muss auf den Prüfstand. Parallel dazu sollte Österreich seine Gaskraftwerke staatlich betreiben und sie mit einem klaren gemeinwirtschaftlichen Auftrag versehen. Spanien und Portugal zeigten vor, wie wirkungsvoll der Staat in Krisen Preise senken kann. Ihre Großhandelspreise waren während der Krise um 15 Prozent günstiger. Die Gaskraftwerke müssen zudem die Versorgungssicherheit im Notfall garantieren – etwa nach einem Blackout wie kürzlich in Spanien. Am Markt dafür Geld zu verdienen ist schwierig, weshalb es der Staat machen sollte.
Hinzu kommt die künstliche Trennung zwischen „Produktion“ und „Verkauf“ innerhalb der Energiekonzerne. Diese erzeugt einen fiktiven Markt, mit dem Unternehmen ihrer Kundschaft Fantasiepreise berechnen können. Diese absurde Praxis erzeugt Gewinne auf Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher und muss beendet werden. Österreich sollte integrierte, staatlich geführte Energiekonzerne schaffen, die preisreguliert agieren und die Vorteile günstiger Produktionskosten an Konsumenten direkt weitergeben. Wenn das Wasser die Donau hinunterfließt, sollte das nicht die Taschen der Stromkonzerne befüllen und jene der Konsumenten leersaugen.
Schließlich sollte Österreich von der Schweiz lernen, die die Liberalisierung für private Haushalte nie vollzogen hat. Regionale Monopole mit klar geregelten Preisen sorgen dort dafür, dass Gewinne planbar, aber plötzliche Exzesse in Krisenzeiten unmöglich sind: Stromkonzerne in unserem Nachbarland müssen ihre Preise nah an den tatsächlichen Kosten für die Stromerzeugung belassen. Die Politik in Österreich kann – in Kooperation mit der EU – die Liberalisierung des Strommarkts für Haushalte und kleine Betriebe zurücknehmen und so dauerhaft günstigere Preise sicherstellen.
Letztlich braucht es auch einen Sozialtarif für einkommensarme Haushalte, mit einem Kontigent an vergünstigtem Strom, das gleichzeitig den Energiesparanreiz für Vielverbraucher-Haushalte intakt lässt. Die Zeit drängt. Die Menschen sind ungeduldig und erwarten von der Politik klare Lösungen. Die aktuelle Situation zeigt deutlich: Der EU-Strommarkt funktioniert nicht im Interesse der Verbraucherinnen und Verbraucher. Es braucht den politischen Mut, jenseits ideologischer Marktgläubigkeit alle Optionen zu prüfen und konsequent umzusetzen. Nur so lässt sich verhindern, dass Strom weiterhin als Luxusgut gehandelt wird: zulasten der Menschen und zur Freude der Energiekonzerne.
Dieser Text erschien zunächst in etwas abgeänderter Form als Gastkommentar in der Tageszeitung Der Standard.