Die geplante Pensionsreform in Frankreich ermuntert auch in Österreich manche die Anhebung des Pensionsalters einzumahnen. Unser Pensionssystem sei nicht zukunftssicher, längeres Arbeiten alternativlos. In aller Klarheit formulierte das der Chef der Industrie in Vorarlberg, Martin Ohneberg. Er will, dass überhaupt bis 70 gearbeitet wird in Österreich. Die Fakten geben diesen Alarmismus nicht her. Die Langzeitprognosen zeigen, dass unser Pensionssystem stabil ist.
Kommentare zur französischen Pensionsreform, wie der Gastkommentar von Rainer Nowak und Veit Dengler am 31. März an dieser Stelle publiziert, glänzen vor allem mit Halbwissen. Ein Pensionsantritt mit 64 “das Natürlichste der Welt”. Viele Franzosen und Französinnen gehen deutlich später in Pension. Die Voraussetzung für eine abschlagsfreie Pension mit 62 sind 42 Beitragsjahre. Wer mit 20 Jahren beginnt zu arbeiten, kann sich nicht die kleinste Lücke im Lebenslauf erlauben. Bald drohen es 43 Beitragsjahre zu sein. Eine abschlagsfreie Pension für alle, unabhängig von der Anzahl der Erwerbsjahre, gibt es in Frankreich auch aktuell erst mit 65 bis 67 Jahren.
Ja, wir werden älter. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich der Anstieg der Lebenserwartung aber deutlich verlangsamt. Reichere Menschen erfreuen sich nicht nur einer höheren Lebenserwartung, sie profitieren auch stärker von diesem Anstieg. Zahlen aus Deutschland zeigen, dass der Zugewinn über zwei Jahrzehnte beim obersten Einkommenszehntel bei vier Jahren lag, beim untersten Einkommenszehntel hingegen nur bei einem. Und die Kluft wird größer.
Tatsächlich arbeiten viele Menschen bis zum Umfallen. Im wahrsten Sinne des Wortes. Jeder vierte Mann mit niedrigem Einkommen stirbt in Deutschland, bevor er das gesetzliche Pensionsalter erreicht. Es sind jene, die körperlich anstrengende, schlecht bezahlte Arbeit verrichten. Menschen, die auf der Baustelle hackeln, oder unsere Angehörigen pflegen. Wer das Pensionsalter raufschraubt, verkürzt zuallererst die Pensionsjahre der Armen. Das ist in Frankreich nicht anders als in Österreich.
Die angebliche Naturgesetzlichkeit einer auch hierzulande dringend nötigen Pensionskürzung, verwundert mit Blick auf die Faktenlage. Für Österreich prognostizierte die EU-Kommission erst 2021, “dass die Rentenausgaben bis zum Jahr 2070 weitgehend stabil bleiben.” Das ist kein Aufruf zur politischen Untätigkeit. Es gibt viel Potenzial, die Zahl der Beitragszahler:innen zu erhöhen. Ende 2022 hatten nur knapp 6 von 10 Arbeitnehmer:innen über 55 Jahren einen Job. Entgegen der Zusicherungen der Unternehmen werden ältere Menschen am Arbeitsmarkt nach wie vor ausgegrenzt. Das trifft insbesondere Frauen.
Wer das Pensionssystem stärken will, muss gute Arbeitsmarktpolitik machen: Ein Arbeitsleben bis 65 Jahre allen Arbeitnehmer:innen ermöglichen. Durch effektive Maßnahmen gegen die Diskriminierung älterer Arbeitnehmer:innen, den flächendeckenden Ausbau der Kinderbetreuung, exzellente Gesundheitsprävention, gute und sichere Arbeitsbedingungen. Die Mehrkosten für die Pensionen in den kommenden Jahren sollten wir gerecht verteilen. Mit einer Steuerpolitik, die die Steuerschieflage endlich von der Arbeit zum Vermögen ausbalanciert. Wer das politisch angeht, kann sich über Unterstützung freuen: 3 von 4 Österreicher:innen wünschen sich das, wie eine Umfrage des SORA-Instituts belegt.
Dieser Text erschien zunächst als Gastkommentar in der „Presse“.