Eine Ex-Arbeitslose erzählt: Der Zusatzjob hat mir mehr gebracht als das AMS

Der Zusatzjob hilft vielen Arbeitslosen mehr, um wieder Fuß zu fassen, als das AMS

Foto: Gabrielle Henderson/Unsplash

/ 14. September 2021

Wenn wir über Arbeitslosigkeit sprechen, tun wir das oft voller Vorurteile, Klischees und Stigmata. Anekdoten aus der Chefetage gelten als ernst zu nehmender Debattenbeitrag. Dabei kommen die tatsächlich Betroffenen nicht zu Wort. Immerhin geht es laut den jüngsten Zahlen um mindestens 350.000 Menschen in Österreich. 

Das Momentum Institut hat mehr als 1.200 Arbeitslose befragt. Die Resultate sind niederschmetternd: Das Arbeitslosengeld erfüllt das Ziel der Existenzsicherung nicht: Neun von zehn Befragten liegen mit unter 1.200 Euro monatlichem Einkommen deutlich unter der Armutsgrenze.
 
Acht von zehn Arbeitslosen verloren ihren Job unfreiwillig: Sie wurden gekündigt, der Betrieb geschlossen, die Saison war zu Ende.  Jene arbeitslosen Menschen, die selbst gekündigt haben, sind hingegen zumeist beruflich und finanziell bessergestellt.  Die allermeisten Arbeitslosen, waren vorher in Berufen, die schlecht bezahlt und wenig angesehen sind.

So gut wie alle Befragten suchen aktiv nach Beschäftigung. Je länger die Arbeitslosigkeit dauert, desto mehr Bewerbungen müssen sie versenden, um überhaupt zum Bewerbungsgespräch eingeladen zu werden. Bereits nach sechs Monaten müssen Arbeitslose im Schnitt 14 Bewerbungen versenden, um nur eine Einladung zu bekommen. Und entgegen landläufigen Vorurteilen: Langzeitarbeitslose und Arbeitslose mit Nebenverdienst suchen genauso intensiv nach einem Job. 

Knapp 60 Prozent schämen sich für ihre Arbeitslosigkeit, beinahe jeder zweite versucht zu verheimlichen, dass er arbeitslos ist. Die Belastung, die Arbeitslosigkeit mit sich bringt, zeigt sich auch bei psychosomatischen Beschwerden, beispielsweise bei depressiven Gedanken: Während 4 Prozent der Beschäftigten darunter leiden, sind es 19 Prozent der Arbeitslosen und 38 Prozent der Langzeitarbeitslosen. 

7 von 10 Arbeitslosen sagen, die Politik behandle sie als Menschen zweiter Klasse. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht. Die Daten sollten wachrütteln, zu befürchten ist aber, dass das Gegenteil passiert: aktuell gilt das Herumschrauben an der Arbeitslosen-Versicherung als Wundermittel gegen Arbeitslosigkeit. Wem zu Arbeitslosigkeit nur die Arbeitslosen als Schuldige einfallen, dem gehen in der Arbeitsmarktpolitik allzu schnell die Ideen aus. Dabei geht die Rechnung nicht auf: Wenn auf jede offene Stelle mehrere Arbeitslose kommen, dann kann man Arbeitslosen noch so triezen, sie werden keinen Job finden. 

Wie können wir den Aufschwung so weit stärken, um das Arbeitslosigkeits-Niveau dauerhaft zu senken? Es empfiehlt sich ein öffentliches Beschäftigungsprogramm, das hilft, die stark steigende Langzeitarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen. Die Arbeitslosen sind jene, die aktuell die oft beschworenen „Krisen-Kosten“ zahlen, mit starken Einbußen. Österreichs Arbeitslosengeld ist im Europa-Vergleich schließlich besonders niedrig. Dabei ist es eigentlich ganz einfach: Arbeitslosigkeit bekämpft man nicht, indem man Arbeitslosen mutwillig das Leben schwer macht. 
 

Der Kommentar erschien zunächst in der "Wiener Zeitung".

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