Die Regierung hat es sich zum Ziel gesetzt, den Anteil der armutsgefährdeten Menschen innerhalb ihrer Legislaturperiode zu halbieren. Besonders die Bekämpfung der Kinderarmut sollte priorisiert werden. Die Amtszeit der Bundesregierung neigt sich dem Ende zu – von einer Halbierung der Armutsgefährdung sowie der Abschaffung von Kinderarmut ist Österreich Welten entfernt. Vielmehr ist der Fall: Die Zahl der armutsgefährdeten Erwachsenen und Kinder ist seit Regierungsantritt wieder gestiegen. Besonders stark betroffen sind vulnerable Gruppen, wie Erwerbsarbeitslose, Alleinerziehende, Mehrkindhaushalte, Mieter:innen, Pensionist:innen und Menschen ohne österreichische Staatsbürgerschaft. Für sie und alle Personen, die trotzt Sozialleistungen armutsgefährdet bleiben, hat die Regierung wenig bis gar nichts getan. Der Armutsreport analysiert die Dimensionen von Armut in Österreich und die Ziele, Maßnahmenpakete und Versäumnisse der aktuellen Bundesregierung bei der Armutsbekämpfung. 

Seit Regierungsantritt, Covid-19-Pandemie und Teuerungskrise nimmt die Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung in Österreich wieder zu. Auch wenn die aktuellen EU-SILC Daten aus dem Jahr 2023 das letzte Regierungsjahr noch nicht abbilden können, ist der Trend dennoch eindeutig: Im Vergleich zu 2019 sind mehr als 177.000 Menschen zusätzlich armutsgefährdet. Das ist eine Zunahme von 15,2 Prozent.

Auch die Anteile der armuts- und ausgrenzungsgefährdeten Menschen in Österreich nehmen zu. Der Anteil von Armut oder Ausgrenzung betroffenen Menschen ist um 1,2 Prozentpunkte höher als 2019; der Anteil der armutsgefährdeten Menschen ist sogar um 1,6 Prozentpunkte gestiegen seit 2019 – von 13,3 auf 14,9 Prozent.

Als die Regierung im Jahr 2019 ihre Amtszeit antrat, lag der Anteil der armutsgefährdeten Menschen in Österreich bei 13,3 Prozent. Ziel der Regierung war es, diesen Anteil zu halbieren. Mit Ende der Legislaturperiode müssten wir demnach bei einer Armutsgefährdungsquote von etwa 6,7 Prozent stehen. Von den aktuellen 14,9 Prozent also weit entfernt.

Am stärksten gestiegen ist die erheblich materielle und soziale Deprivation: Waren 2021 etwa 160.000 Menschen bzw. 1,8 Prozent der Bevölkerung erheblich materiell und sozial depriviert, sind es 2023 sogar 336.000 Menschen bzw. 3,7 Prozent der Bevölkerung. Der Anteil der erheblich materiell und sozial deprivierten Menschen hat sich allein zum Vorjahr (2022: 2,3 Prozent) um mehr als die Hälfte erhöht (+ 61 Prozent). Als erheblich materiell und sozial deprivier gilt eine Person bzw. ein Haushalt, die/der sich mindestens sieben der 13 Deprivationsmerkmale nicht leisten kann.

2023 können knapp eine Million Haushalte (mehr als 930.000 Haushalte) in Österreich keine unerwartete Ausgabe in der Höhe von 1.370 Euro tätigen. Auch einmal pro Jahr auf Urlaub zu fahren ist für rund 810.000 Haushalte nicht mehr möglich und fast 500.000 Menschen können es sich nicht leisten, auch nur einen kleinen Geldbetrag für sich selbst auszugeben. Die Anzahl der Haushalte, die es sich nicht leisten können, regelmäßig Fleisch, Fisch oder vegetarisch zu essen (damit gemeint ist eine vollwertige Mahlzeit) zu essen hat auch von 2021 auf 2023 um fast 70.000 zugenommen.

/ Ein armutsfester Sozialstaat?

Um Menschen vor Armut oder Armutsgefährdung zu schützen, braucht es einen armutsfesten Sozialstaat. Zum Teil kann das österreichische Sozialsystem vor Armut schützen: Aktuell sind es jährlich rund 860.000 Menschen, darunter 617.000 Erwachsene und 242.000 Kinder. Gäbe es keine Sozialleistungen wäre knapp ein Viertel der Bevölkerung (2,2 Millionen) armutsgefährdet. Sozialstaatliche Leistungen, wie etwa das Arbeitslosengeld oder die Familienbeihilfe, verringern die Zahl armutsgefährdeter Menschen auf 1,3 Millionen, also um 40 Prozent weniger als ohne Sozialleistungen.

Auch Familien schützt der Sozialstaat. In Österreich gibt es etwa 4 Millionen Haushalte mit Kindern, davon sind rund 1,3 Millionen armutsgefährdet. Sozialleistungen wie Familienbeihilfe, Kinderbetreuungsgeld, Schul- oder Studienbeihilfe entschärfen die Situation für 692.000 Mütter, Väter und Kinder. Insgesamt schützt der Sozialstaat jedes Jahr in etwa so viele Menschen aus der Armut, wie in Salzburg und im Burgenland zusammen leben. Pensionen, die einen Teil der Sozialleistungen ausmachen, sind in der Auswertung nicht enthalten. Die Zahl ist daher als Untergrenze anzusehen.

Dennoch gibt es in der sozialen Sicherung noch große Lücken. Denn über 1,3 Millionen Menschen bleiben, obwohl sie Sozialleistungen beziehen, armutsgefährdet. Einige vulnerable Gruppen trifft die Armutsgefährdung trotz Sozialleistungen besonders hart, unter ihnen etwa Alleinerzieher:innen, Erwerbsarbeitslose, Nicht-Österreicher:innen, Menschen mit niedrigem Bildungsabschluss, Menschen die zur Miete wohnen oder auch Kinder und ältere Menschen. Das bedeutet, dass das Einkommen dieser Menschen auch nach Sozialleistungen immer noch unter der Armutsgefährdungsschwelle liegt.

Ein Grund dafür, warum also auch nach Sozialleistungen immer noch 1,3 Millionen Menschen armutsgefährdet sind, ist das Fehlen von armutsfesten Sozialleistungen, sprich die ausgezahlten Beträge sind zu gering. Arbeitslosengeld, Mindestsicherung oder auch die Ausgleichszulage (Mindestpension) sind so niedrig bemessen, dass sie unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen. Einer erwerbsarbeitslosen Person fehlen für das Jahr 2023 rund 420 Euro um die Armutsgefährdungsschwelle überhaupt zu erreichen, Mindestpensionist:innen fehlen rund 280 Euro und Mindestsicherungs-Bezieher:innen sogar satte 520 Euro monatlich. Da die berechnete Armutsgrenze für das Jahr 2023 auf Einkommen von 2022 basiert, ist dieser Wert sogar unterschätzt, da die Löhne im Normalfall an die Inflation angespasst werden. Die Werte für die dargestellten Sozialleistungen beziehen sich auf das Jahr 2023. In Wahrheit ist die Differenz zur Armutsgefährdung also vermutlich noch größer.

/ Vulnerable Gruppen

Besonders vulnerable Gruppen sind auch nach Sozialtransfers immer noch armutsgefährdet – darunter Erwerbsarbeitslose, Alleinerziehende, Mieter:innen, Menschen mit nicht-österreichischer Staatsbürgerschaft, Mehrkindhaushalte sowie Kinder und Pensionist:innen. Die Armutsgefährdung steigt für sie außerdem stärker als für die Gesamtbevölkerung und hat seit Regierungsantritt für alle diese Gruppen wieder zugenommen.

Am stärksten hat sich das Armutsgefährdungsrisiko für Mehrkindhaushalte, Alleinerzieher:innen und Erwerbsarbeitslose erhöht. Das Armutsgefährdungsrisiko für Mehrkindhaushalte, also Haushalte, in denen mindestens 3 Kinder leben, ist um 11 Prozentpunkte angestiegen. Damit ist rund ein Drittel der Mehrkindhaushalte armutsgefährdet. Außerdem ist ein Drittel der Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft, 28 Prozent mit maximal Pflichtschulabschluss und auch mehr als ein Viertel der Mieter:innen sind 2023 armutsgefährdet. Auch bei den Alleinerzieher:innen, die zum Großteil Frauen sind, sind vier von 10 Haushalten armutsgefährdet.

Am höchsten ist die Armutsgefährdung weiterhin bei Erwerbsarbeitslosen: einer von zwei Menschen, die mindestens 6 Monate erwerbsarbeitslos gemeldet sind, ist auch nach Sozialleistungen noch armutsgefährdet.

/ Alleinerzieher:innen besonders armutsgefährdet

Eine dieser vulnerablen Gruppen sind Alleinerzieher:innen, denn Armuts- oder Ausgrenzungsbetroffenheit zeigt sich in alleinerziehenden Haushalten ganz besonders stark. Mit 48 Prozent haben Alleinerzieher:innen das zweithöchste Armuts- oder Ausgrenzungsrisiko (nach Erwerbsarbeitslosen) aller betrachteten Haushaltstypen. Auch die Armutsgefährdung liegt bei etwa 41 Prozent. Ohne Sozialleistungen würde die Armutsgefährdung von Alleinerzieher:innen bei 62 Prozent liegen. Hinzukommt, dass die Mehrheit der Alleinerziehenden weiblich ist. Der Frauenanteil in den etwa 300.000 Ein-Eltern-Haushalten in Österreich liegt bei 83 Prozent – das sind etwa 252.000 alleinerziehende Mütter.

Alleinerzieher:innen haben es oft schwer mit ihrem monatlichen Einkommen über die Runden zu kommen. Miete, Lebensmittelkosten und sämtliche haushaltsbezogenen Ausgaben können nicht wie in Paarhaushalten durch zwei geteilt werden – Alleinerziehende müssen alleine dafür aufkommen. Dafür reicht auch ein Vollzeiterwerbseinkommen oft nicht aus. Die Erzählung „Arbeit schützt vor Armut“ stimmt vor allem für die alleinerziehenden Frauen nicht. 38 Prozent der alleinerziehenden Mütter, die nicht erwerbstätig sind, sind armutsgefährdet. Wenn alleinerziehende Mütter einer Erwerbsarbeit nachgehen, reduzieren sie damit ihr Armuts-Risiko um lediglich 6 Prozentpunkte. Im Vergleich reduziert die Erwerbstätigkeit einer Frau in einem Paarhaushalt die Armutsgefährdung dieses Haushalts um etwa 15 Prozentpunkte, und beträgt dann lediglich 4 Prozent.

Dass das Erwerbseinkommen von Alleinerzieher:innen oftmals nicht ausreicht, um vor Armut geschützt zu sein, zeigt auch der hohe Anteil der ‚working poor‘. Das sind jene Personen, bei denen das Haushaltseinkommen trotz Erwerbstätigkeit unter 60 Prozent des Medianeinkommens – und damit unter der Armutsgefährdungsschwelle liegt. Jede dritte ‚working poor‘-Person ist eine alleinerziehende Frau (28 Prozent).

/ Unterschätzte Armutsgefährdungsgrenze von Alleinerzieher:innen

Da Alleinerzieher:innen alleine die Wohn- und Haushaltskosten, oftmals auch gänzlich alleine die Kinderkosten stemmen müssen, ist auch ihre Armutsgefährdung am höchsten. Dabei wird die Grenze für die Armutsgefährdung bei Alleinerzieher:innen sogar noch unterschätzt. Das hat folgenden Grund: In alleinerziehenden Haushalten treten geringere Skaleneffekte auf als in Paarhaushalten mit Kindern. Das dokumentiert die Statistik Austria in der Kinderkostenanalyse 2021. In dieser Studie werden die durchschnittlichen Kinderkosten separat für Ein-Eltern-Haushalte und Paarhaushalte berechnet.

Dabei wird deutlich: Die Kinderkosten sind in alleinerziehenden Haushalten deutlich höher als in Paarbeziehungen. Eine alleinerziehende Mutter zahlt für ihr Kind etwa 500 Euro mehr pro Monat als Eltern jeweils in einem Paarhaushalt für ein Kind ausgeben. Grund dafür sind die Hinzunahme von anteiliger Miete, Energie oder Versicherungszahlungen, Urlaube, Einkäufe etc., die eine alleinerziehende Person für ihr Kind ausgeben muss, da Kinder nicht selbst zum Haushaltseinkommen beitragen. Gemessen an ihrem Einkommen, haben Alleinerziehende also anteilig höhere Ausgaben.

Die Armutsgefährdung von Alleinerziehenden wird also unterschätzt; tatsächlich müsste sie um 204 Euro pro Monat für ein Kind und um 126 Euro pro Monat für zwei Kinder höher angesetzt sein. Bei Paarhaushalten mit Kindern ist das Gegenteil der Fall. Hier wird die Armutsgrenze um bis zu 377 Euro monatlich überschätzt. Die Differenz zwischen der Armutsgefährdungsgrenze für Alleinerzieher:innen und der von Paarhaushalten mit einem Kind liegt bei etwa 400 Euro. Das bedeutet, dass Paarhaushalte mit einem Kind monatlich etwa 400 Euro mehr zur Verfügung haben können, um als gleichermaßen armutsgefährdet zu gelten.

An diesem Beispiel wird deutlich: Wenn die Armutsgefährdungsschwelle zu niedrig angesetzt wird, wird Armut unsichtbar gemacht, denn viele Menschen oder Haushalte, die eigentlich armutsgefährdet sind, fallen dann offiziell nicht mehr unter die Armutsgrenze. Ähnliche Problematiken werden auch bei anderen vulnerablen Gruppen deutlich, diese werden im Detail im Armutsreport beschrieben. 

/ Fazit

Summa summarum hat die Regierung kaum etwas an der Situation von Armutsbetroffenen verbessert. Das Regierungsziel, die Armutsgefährdung zu halbieren wurde kläglich verfehlt, die Teuerungs-Entlastungspakete waren alles andere als treffsicher. Letztlich wurden auch sämtliche Regierungsvorhaben, wie sie im Regierungsprogramm festgeschrieben waren, nur ansatzweise oder gar nicht erfüllt.

Zwar wurden die Sozialleistungen valorisiert, also an die Teuerung angepasst, doch das Arbeitslosengeld wächst als einzige Sozialleistung nicht mit der Inflation mit und die Sozialleistungen wurden auch nicht armutsfest gemacht, sprich über die Armutsgefährdungsschwelle gehoben. 

Das „Paket gegen Kinderarmut“ entpuppte sich als temporärer Sonderzuschuss von 60 Euro pro Kind – viel zu wenig also um von einer echten Bekämpfung von Kinderarmut zu sprechen. Dafür hätte es eine Kindergrundsicherung gebraucht, auch diese gibt es bis heute nicht. 

Die Bundesregierung hatte auch eine Unterhaltsreform geplant, eine Unterhaltsgarantie wurde dennoch nicht eingeführt. Ebenso wurde zwar die EU-Vereinbarkeitsrichtlinie umgesetzt, allerdings konnte dadurch keine Erhöhung der Väterbeteiligung bei der Elternkarenz und -teilzeit erreicht werden. 

Im Regierungsprogramm wurde außerdem das Problem „weibliche Altersarmut“ anerkannt, doch wurden keine Maßnahmen gesetzt, die den Gender Pay Gap, die hohe Teilzeitquote von Frauen oder die finanzielle Absicherung von Frauen im Alter betreffen. 

Letztlich wurden im Zuge der Energie- und Teuerungskrise einige Entlastungspakete geschnürt. Die Einmalzahlungen konnten Haushalte mit niedrigen Einkommen zwar entlasten, allerdings nur einmalig und somit bei weitem nicht ausreichend. 

Das Momentum Institut empfiehlt daher: 

  • Sozialleistungen über die Armutsgefährdungsschwelle heben
  • Ausweitung des Jobgarantie-Projekts auf ganz Österreich
  • Erhöhung des Arbeitslosengeldes und Anpassung an die Teuerung
  • Neuberechnung der Armutsgefährdungsschwelle mittels Kinderkostenanalyse
  • Umsetzung einer Kindergrundsicherung
  • Flächendeckender Ausbau institutioneller Kinderbetreuung, kostenloses und ganztägiges Angebot schaffen
  • Ausbau von flexibler, ergänzender Kinderbetreuung, die Alleinerziehenden eine Erwerbsbeteiligung ermöglicht
  • Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz ab dem 1. Lebensjahr
  • verpflichtende Väterkarenz (fair geteilte Elternkarenz)
  • Unterhaltsgarantie wie von Alleinerziehenden-Organisationen gefordert
  • mehr leistbaren Wohnraum schaffen
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