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Herbstlohnrunde: Die Wirtschaft braucht eine Dosis Kaufkraft

Oliver Picek
24. September 2021
Herbstlohnrunde: Die Wirtschaft braucht eine Dosis Kaufkraft

Die Herbstlohnrunde hat begonnen. Verhandlungen zwischen Wirtschaftskammer und Gewerkschaften über höhere Löhne stehen an. Pünktlich wie das Amen im Gebet warnen manche wirtschaftsliberale Ökonom:innen vor einer Lohn-Preis-Spirale. Sie beschwören die Angst vor einer hausgemachten höheren Teuerung herauf, nennen die 1970er Jahre mit hohen Inflationsraten als Gottseibeiuns. Die Botschaft: Die Sozialpartner mögen sich mit Lohnerhöhungen zurückhalten, sonst drohe wirtschaftliches Unheil.

Angst vor Inflation durch Lohnerhöhung unbegründet

Für dieses Jahr kann man dafür getrost Entwarnung geben. Die durchschnittliche Teuerung im vergangenen Jahr – Grundlage der Lohnverhandlungen der Sozialpartner – beträgt 1,9 Prozent. Das liegt sogar noch unter dem Zielwert für die Inflation der europäischen Zentralbank. Damit lässt sich keine Spirale drehen, nicht einmal eine kleine. Das Verhandlungsergebnis dürfte zwar etwas höher ausfallen – eine „spürbare Lohnerhöhung über der Inflationsrate“ fordert die Metallergewerkschaft. Leistbar ist das allemal. Denn ein erstes fulminantes Comeback der Wirtschaft ist gelungen. Vergleicht man wöchentliche Werte, produziert die österreichische Volkswirtschaft schon mehr als vor der Krise. Die Industrie ist längst weit darüber hinaus und boomt.  

Nicht vergessen darf man: Höhere Löhne sind nicht nur Kostenfaktor, sondern auch Nachfrageturbo. Der ist trotz der Erfolge notwendig. Zwei Jahre verpasstes Wachstum gilt es aufzuholen. Die gute Nachricht: Dieses Mal besteht eine Chance auf eine vollständige Genesung, ganz im Gegensatz zur katastrophalen Behandlung der Wirtschaft nach der Finanzkrise 2007-2009. Doch dafür muss der Konsum im Land noch steigen. Zuvor brauchen die Menschen Einkommen, das sie ausgeben können. Neben niedriger Arbeitslosigkeit ist der wichtigste Faktor ein Lohnplus, das über der Teuerung liegt. Gerade diese Kaufkraft braucht es als Nachfrage für die vielfältigen Güter und Dienstleistungen, die in Österreich für den heimischen Markt erzeugt werden. Denn trotz Globalisierung und Digitalisierung passiert ein großer Teil der Wertschöpfung immer noch regional.  

Untätigkeit gegen Klimakrise ist großes Inflationsrisiko

Sind Warnungen vor dauerhaft höherer Inflation daher unbegründet? Grundsätzlich ja, denn der Kapitalismus funktioniert noch, weitet das Angebot aus, wenn der Preis steigt, zwingt ihn so wieder nach unten. Eines der größten Inflationsrisken ist jedoch die Untätigkeit gegen die Klimakrise. Die Trockenheit schlug letztes Jahr doppelt zu, führte zu einem Mangel an Chips und Aluminium: Der Wassermangel verhinderte die Reinigung in Taiwans Halbleiter-Fabriken und beeinträchtigte die Stromversorgung in Chinas Schmelzfabriken. Der verstärkte Import von Gas zur Stromerzeugung bewirkte schließlich die Knappheit von Gas in Europa und steigende Strompreise. Auch in den 1970ern stiegen die Nahrungsmittelpreise abrupt aufgrund von Missernten und die Rohstoffpreise aufgrund politischer Wirren. Will man regelmäßige Produktionsausfälle nicht riskieren, müssen wir das Tempo beim Kampf gegen die Klimakrise deutlich erhöhen.

Doch letztlich müssen Unternehmen in einer Marktwirtschaft unternehmerische Risiken selbst tragen – auch falls das Umfeld rauer werden sollte. In Österreich glaubte man während der Pandemie manchmal, dass dieses Prinzip außer Kraft gesetzt ist. Die Republik zahlte ihren Unternehmen im Schnitt die höchsten Subventionen europaweit. Nicht wenige Betriebe wurden überfördert, erhielten Zahlungen, die sie gar nicht benötigten. Zurückzahlen müssen sie nichts davon, die Bilanzen bleiben gepolstert. Die Fähigkeit der Unternehmen, eine Lohnerhöhung zu bezahlen, war so kurz nach einer Wirtschaftskrise noch nie so groß.

 

Dieser Text erschien zunächst als Gastkommentar in „Die Presse“.

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