Die Daten zur Armutsgefährdung kommen aus der EU-SILC und rechnen bisher nur einen Teil der Corona-Krise mit ein, da der Erhebungszeitraum mit Juli 2020 endete. Daher ist davon auszugehen, dass der Sozialstaat im gesamten Zeitraum der Krise noch mehr Menschen vor Armut schützte. Allein das Kurzarbeitsprogramm hat über eine Million Jobs gesichert. Gemeinsam mit weiteren sozialstaatlichen Leistungen wie dem bestehenden Arbeitslosensystem und zusätzlichen Krisenmaßnahmen wie zum Beispiel die Arbeitsloseneinmalzahlungen, Härtefällefonds, Kinderboni und Sonderbetreuungszeit konnten Einkommensverluste für Haushalte mit niedrigen Einkommen vergleichsweise niedrig gehalten werden. Während das erste Einkommenszehntel keine Einkommensverluste verzeichnete, traf das für 2 von 3 Personen im zweiten Einkommenszehntel zu. Eine Gruppe, die die Krise besonders hart getroffen hat, waren die kleinen Selbstständigen. Über 40 % von ihnen weisen Einkommensverluste auf. Das hat auch mit der immer noch unzureichenden sozialen Absicherung wie etwa der freiwilligen Arbeitslosenversicherung zu tun. Daten zu Armut in Österreich, die den gesamten Zeitraum seit Ausbruch der Pandemie abdecken, fehlen noch. Dennoch liegt es nahe anzunehmen, dass der Sozialstaat eine abfedernde Wirkung für Hunderttausende hatte. Pensionen, die einen Teil der Sozialleistungen ausmachen, sind in der Auswertung nicht enthalten, womit die Zahl als Untergrenze anzusehen ist.
Sozialstaat wirkt auf individueller und gesamtgesellschaftlicher Ebene
Warum ist ein Sozialstaat, der Armut reduziert, wichtig? Einerseits ist Armut auf individueller Ebene verbunden mit vielseitigen negativen Effekten. Armut führt nicht nur zu erschwerter sozialer Teilhabe, Armut macht auch krank. So sind zum Beispiel 36 % aller armutsgefährdeten Menschen zwischen 18 und 65 Jahren chronisch krank. Für Menschen mit höherem Einkommen liegt dieser Anteil bei 26 %. Zwölf Prozent der Menschen mit niedrigem Einkommen sind gesundheitlich stark beeinträchtigt, für die Gruppe der Personen mit hohem Einkommen zwischen 18 und 65 Jahren liegt der Anteil so niedrig, dass die statistische Interpretation des Ergebnisses von der Statistik Austria als eher unsicher gewertet wird.
Gleichzeitig ist der Sozialstaat gesamtgesellschaftlich wichtig: Er senkt die Ungleichheit im Land. Umverteilung durch den Sozialstaat funktioniert im Wesentlichen durch Steuern und Transfers. Der österreichische Sozialstaat reduziert den Gini-Index. Der Gini-Koeffizient ist wohl das bekannteste Maß für ökonomische Ungleichheit. Er gibt an, wie gleich die Einkommen verteilt sind. Ein Wert von null würde bedeuten, dass alle Menschen im Land gleich viel Einkommen beziehen. Ein Wert von eins, dass eine Person das gesamte Einkommen alleine bekommt. Der Sozialstaat reduziert den Gini-Index vor Umverteilung von 0,49, der im internationalen Vergleich eher hoch liegt, auf 0,28. Die Einkommensungleichheit wird also durch den Sozialstaat deutlich reduziert. Im internationalen Vergleich liegt Österreich damit im Spitzenfeld. Warum ist es wichtig, Ungleichheit zu reduzieren? Erstens geben Personen niedrigerer Einkommensgruppen mehr ihres Einkommens auch wieder aus, während reiche Personen mehr Geld auf die Seite legen. Damit entgeht unserem Wirtschaftskreislauf Geld, weil es nicht ausgegeben, sondern gespart wird. Umverteilung, um Ungleichheit zu reduzieren, ist somit auch wirtschaftlich sinnvoll und kurbelt den Konsum an, weil Menschen mit geringeren Einkommen mehr Geld zur Verfügung haben. Dass ein starker Sozialstaat auch mit einer soliden Wirtschaft einhergeht, zeigt die folgende Abbildung.