Verteilung
favorites-circle favorites-circle
favorites-circle-full favorites-circle-full

Teurer Umsatzersatz im Handel wenig zielsicher

Redaktion
17. November 2020
Teurer Umsatzersatz im Handel wenig zielsicher

Die neue Wirtschaftsförderung der Bundesregierung – der Umsatzersatz – geht an den Notwendigkeiten der Betriebe vorbei. Das pauschale Instrument führt zu Überförderungen in einigen Branchen, die der SteuerzahlerIn viel Geld kosten und wenig Nutzen für die Allgemeinheit bringen. Das Momentum Institut hat sich die Situation im Handel und die geplante Förderung näher angesehen.

Situation im Handel sehr unterschiedlich – Umsatzersatz das falsche Instrument

Der durchschnittliche Rückgang des Geschäfts im Handel ist wesentlich weniger stark als in der Gastronomie und der Beherbergungsbranche. Daher ist ein ähnliches Umsatzersatz-Instrument für den gesamten Handel weit weniger gerechtfertigt. Im Gegensatz zu klassischen Dienstleistungsbranchen, die weniger Chance haben, ihr angebotenes Produkt in die Zukunft zu verschieben, ist das mit physischen Gütern leichter möglich.

Gegenüberstellung der Umsatzveränderung zum Vorjahreszeitraum in Prozent nach Branchen

Die einzelnen Handelsbranchen sind unterschiedlich stark betroffen von den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie, wie Zahlen der Statistik Austria zur Umsatzveränderung zwischen Jänner und September zeigen. Der Bekleidungshandel musste im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2019 ein Umsatzminus von 20% Umsatz hinnehmen. Von den größeren Handelsbranchen sollten daher wenn überhaupt nur für den Textileinzelhandel zusätzliche Wirtschaftshilfen in Betracht gezogen werden.

Hingegen hält sich der Verlust in den meisten Branchen bisher in Grenzen und konnte nach dem Lockdown teilweise wieder aufgeholt werden. Manche Branchen hatten überhaupt keine Verluste zu verzeichnen. Der Bereich Möbel/Elektro/Baumärkte florierte mit einem Umsatzplus in Höhe von 5% im Vergleich zum Zeitraum des Vorjahres. Die Umsatzverluste des ersten Lockdown wurden in diesen drei Branchen davor und danach mehr als aufgeholt. Möbel, Elektro und Baumärkte sind finanziell daher sogar „Corona-Gewinner“.

Die Kosten für zusätzliche Schutzmaßnahmen dürften verschwindend gering ausfallen im Vergleich zu sonstigen bezogenen Beihilfen wie Kurzarbeit und Fixkostenzuschuss während des ersten Lockdown, die ebenfalls zu staatlichen Kostenübernahmen führen und so die Gewinne der drei Branchen steigern. Die 20% Umsatzersatz werden daher als (Über-)Förderung dieser Sparten wirken, mit der indirekt zusätzliche Gewinne der Unternehmen staatlich bezahlt werden.

Entschädigung und Umsatzentwicklung in Krise nach Branchen

Das Momentum Institut hat diese geschätzten Umsatzzahlen mit der neuen geplanten Wirtschaftshilfe des zweiten Lockdown, dem Umsatzersatz, verglichen. Die Umsatzveränderung von März bis Oktober zeigt an, wie gut die jeweilige Branche mit dem ersten Lockdown umgegangen ist und wie sehr die Umsätze nachgeholt werden.1 Das kann als Hinweis dienen, wie sehr die Branche in der Lage ist, ausgefallene Umsätze während des zweiten Lockdowns zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen bzw. bereits in den Tagen vor der Schließung erzielt hat.

Für den Handel ist für November 2020 nun ein Umsatzersatz zwischen 20% und 60% vorgesehen, für Gastronomie, Tourismus, Freizeit, Kultur, und „körpernahe“ persönliche Dienstleistungen (Frisöre, Masseure, Kosmetik) 80% des Umsatzes vom November 2019. 
Die konkrete Branchenliste des Bundesministeriums für Finanzen zum Umsatzersatz für den Handel liegt seit dem 23.11.2020 vor. Auf Basis des darin festgelegten Entschädigungsschlüssels für die einzelnen Sparten hat das Momentum Institut das jeweilige Ausmaß der Überförderung berechnet.

Für ausgewählte Handelssparten zeigt der Zahlenvergleich: Der Bereich Blumen und Pflanzen erhält einen Umsatzersatz (von 60%), der die geschätzten bisherigen Umsatzverluste auf Branchenebene von März bis Oktober überkompensiert. Die Bereiche Möbel, Elektro, und Baumärkte hatten gar keine Umsatzverluste, sondern Umsatzsteigerungen im Vergleich zum Vorjahr und erhalten den Umsatzersatz als „Bonus“, sofern sie ihre im zweiten Lockdown zu erwartenden Umsätze in die Zeit unmittelbar vor den Lockdown verschieben konnten oder danach aufholen können. In den Sektoren Sport, Unterhaltung und Schmuck reicht der Umsatzersatz (von 20%) zumindest aus, um den Umsatzausfall von März bis Oktober wettzumachen. Zu bedenken ist aber, dass andere hohe staatliche Beihilfen und Zahlungen wie die Kurzarbeit und der Fixkostenzuschuss in diesem Vergleich noch gar nicht eingerechnet sind. Für die Bekleidungs- und Textilindustrie zeigt sich ein ganz anderes Bild. Selbst bei einer Ersatzrate von 60% im November reicht der Zuschuss nicht aus, um den Verlust auszugleichen. Auch hier sind jedoch Kurzarbeit und Fixkostenzuschuss nicht berücksichtigt, welche die Bilanz noch aufbessern würden.

Umsatzersatz für Handel extrem teuer – Subventionsgewinne drohen auch hier

Kosten Umsatzersatz

Die Gesamtkosten des Umsatzersatzes variieren, je nachdem welche Branchen des Handels inkludiert werden. Sollten dem Großhandel ebenfalls Umsätze erstattet werden, was die Bundesregierung explizit angekündigt hat, liegen die Kosten bei über EUR 5 Mrd. Konkrete Pläne für den Großhandel wurden bis dato zwar noch keine präsentiert, befinden sich laut Finanzminister Blümel allerdings in Ausarbeitung. Berechnungen des Momentum Instituts zufolge kostet alleine der bisher beschlossene Umsatzersatz für die Gastronomie, Hotellerie, Reise- und Veranstaltungsbranche bis zu EUR 2 Mrd. für einen Monat.

Mit der Ausweitung auf den stationären Einzelhandel kommt nun etwa eine weitere Milliarde Euro an Kosten hinzu.2 Noch teurer wird es vor allem, wenn dem Großhandel ebenfalls ein Umsatzersatz gewährt wird oder großzügige Ersatzzahlungen im Rahmen des Fixkostenzuschusses für große Unternehmen erfolgen. Der Lebensmittelgroßhandel alleine kostet bei einer Umsatz-Ersatzrate von 20% bereits EUR 400 Mio. Für einige Branchen mit 80% Ersatzrate lagen keine Umsatzzahlen vor. Darunter fallen vor allem „körpernahe“ persönliche Dienstleistungen (Frisör, Masseur, Kosmetik), aber auch der Kulturbereich.

Doppelförderungen vermeiden

Betriebswirtschaftlich gesehen werden mit Umsatzerlösen die Kosten des Unternehmens abgedeckt und ein Gewinn erwirtschaftet. Der größte Teil des Umsatzes dient zur Abdeckung von Kosten. Kommt die gleiche Regelung wie bei Gastronomie und Hotellerie zur Anwendung, werden einmalig anfallende Personalkosten durch Kurzarbeit und Umsatzersatz jedoch zweimal rückerstattet. Weil sich der Umsatzersatz am November 2019 bemisst, werden auch fiktive Kosten abgegolten, die im November 2020 gar nicht mehr vorhanden sind. Bereits in Vormonaten gekündigtes Personal und vor allem aufgrund der Schließung gar nicht bestellte Waren werden pauschal trotzdem mitersetzt. Dadurch käme es auch im Handel zu staatlich erzeugten Subventionsgewinnen auf Kosten der Steuerzahler. Der zweite Lockdown darf nicht die Ausrede sein, um staatliches Geld großflächig zu verschenken.

Grundsätzlich sollten nur tatsächlich anfallende Kosten erstattet werden, und keine Kostenart zweimal ersetzt werden. Leitlinie staatlicher Wirtschaftshilfen während der Pandemie muss sein, dass Wirtschaftshilfen in Relation zum entstandenen Schaden stehen. Bisherige staatliche Krisenhilfen wie Kurzarbeit, Fixkostenzuschuss, Stundungen und Haftungen erfüllen dieses Kriterium nicht immer zur Gänze, aber großteils. Der Umsatzersatz tut das nicht: Zahlungen durch Doppelförderungen, die für eine Reihe von Branchen teils weit über den entstandenen Schaden hinaus gehen, belasten das Budget für die Zukunft, ohne positive volkswirtschaftliche Effekte zu bringen.

“Den bisherigen Weg zwischen notwendigen, gut begründbaren Krisenhilfen und Schutz des staatlichen Budgets hat das Finanzministerium mit dem Umsatzersatz deutlich verlassen. Das Sparschwein wurde geschlachtet, und jeder will jetzt zugreifen”, kritisiert Oliver Picek, Chefökonom des Momentum Instituts.

Grundsätzlich ginge es auch anders. Hilfen könnten schnell ausgezahlt werden, aber mit Bedingung, dass die beantragten Hilfen rückgezahlt werden müssen, wenn gar kein Schadensfall durch die Pandemie vorliegt. Die bisherigen Instrumente wie der Fixkostenzuschuss können rasch „Lockdown-fit“ umgestaltet werden, und vollumfänglicher (bis zu 100%) der Kosten ersetzen.

 

1Die Umsatzzahlen sind eine Schätzung auf Basis der Leistungs- und Strukturstatistik der Statistik Austria. Für die Monaten September und Oktober lagen noch keine Monatsumsatzdaten vor. Sie wurden mit den Zahlen aus Juli und August fortgeschrieben.
2Die Rechnung unterschätzt den Umsatzersatz in manchen Branchen stark, weil der Umsatz aufgrund beschränkter Datenverfügbarkeit nicht mit den tatsächlichen November-Umsatzzahlen berechnet werden kann, sondern ein Zwölftel eines Jahres dafür angenommen werden muss. Durch das Weihnachtsgeschäft dürfte der Umsatz vor allem im Handel aber wesentlich höher ausfallen. Eine Überschätzung wiederum könnte vorliegen, falls wenige große Unternehmen an die 800.000 Grenze (nach Kurzarbeit und Fixkostenzuschuss) stoßen. Das könnte jedoch durch zusätzlich staatliche Auszahlungen aus der Kurzarbeit und dem neuen Fixkostenzuschuss für große Unternehmen mit bis zu 3 Mio. Auszahlungsgrenze wieder durch andere staatliche Beihilfen ausgeglichen werden.
Anzeige
Alles
Text
Grafiken
filter filter