Zweit Welle von Arbeitslosen
/ 16. September 2020

Wer in einer Familie aufgewachsen ist, die mit Arbeitslosigkeit zu kämpfen hatte, weiß aus eigener Erfahrung um die desaströsen Auswirkungen für Betroffene und Angehörige: Keinen Job zu haben, geht nicht nur mit Geldsorgen einher, sondern stellt Grundsätzliches in Frage. Arbeit bedeutet Identität und gesellschaftliche Inklusion.

Auch wenn die Arbeitslosigkeit von ihrem Allzeithoch im Mai leicht gesunken ist, sind nach wie vor fast 410.000 Menschen ohne Job oder in Schulung. Dazu kommen knapp 400.000 Personen in Kurzarbeit. Fast eine Million Menschen – knapp ein Viertel der österreichischen Erwerbsbevölkerung – ist aktuell also gar nicht oder nur zum Teil im Job.
 
Wer bereits seit über einem Jahr keinen Job findet, also zu den Langzeitarbeitslosen zählt, hat in dieser Situation überhaupt keine Chance auf bezahlte Beschäftigung. Viele von ihnen sind gering qualifiziert, haben gesundheitliche Probleme und sind häufig auch schon über 50. Das sehen Arbeitgeber nicht so gern. Bereits die Finanzkrise 2008/2009 bescherte uns einen Sockel von ca. 150.000 Langzeitarbeitslosen. Mit dem Corona-Schock dürfte er neue Höhen erklimmen. Nicht nur menschlich, sondern auch ökonomisch ist das ein Problem. Die Finanzierung von Arbeitslosigkeit erfordert beträchtliche Summen, die produktiver in Bereiche wie Pflege oder Bildung investiert werden sollten. Mehr Arbeitslose mit ihren geringeren Einkommen bedeuten außerdem weniger Nachfrage und schwächen damit die Konjunktur.
 
Was also tun? Nur der Privatsektor – vulgo „die Wirtschaft“ – wird es nicht richten können. Auf eine offene Stelle kommen derzeit sechs Arbeitssuchende. Wenn die Unternehmen massiv Jobs abbauen, muss der Staat einspringen und antizyklisch Beschäftigungsprogramme lancieren - gerade für Langzeitarbeitslose. Leider findet sich dazu im 50-Milliarden-Corona-Paket der Bundesregierung nichts, trotz der großspurigen Ankündigung „koste es, was es wolle“. Dabei wären die Kosten überschaubar. 
 
Würden die Mittel, die bisher für die Finanzierung von Langzeitarbeitslosigkeit ausgegeben werden, um eine einzige Milliarde Euro aufgestockt, könnten damit 100.000 produktive Jobs im öffentlichen Bereich entstehen. Mit diesen zusätzlichen Ausgaben - einem Dreitausendstel der jährlichen Wirtschaftsleistung - ließe sich ein enormer volkswirtschaftlicher Effekt erzielen: Jeder zusätzlich ausgegebene Euro könnte bis zu 67 Cent an zusätzlicher Wertschöpfung generieren. Eine Jobgarantie für Langzeitarbeitslose hätte zudem eine Reihe weiterer Vorzüge.
 
Erstens bekämen Menschen, die länger keinen Job mehr hatten, wieder eine sinnstiftende Tätigkeit, die ihr Potenzial nützt und ihnen ihre Würde zurückgibt. Mittelfristig stiegen dadurch auch ihre Chancen auf dem regulären Arbeitsmarkt. Zweitens ließen sich gezielt jene öffentlichen Dienstleistungen forcieren, die wir in Zukunft dringend brauchen. Vor allem in der Pflege besteht ein riesiger Bedarf, aber auch in der Justiz oder in Schulen. Langzeitarbeitslose mit Zusatzausbildung könnten auch als „Klima-BeraterInnen“ Haushalten und Firmen beim Energiesparen helfen.
 
Bei kluger Ausgestaltung würde eine derartige Jobgarantie also auch dem Klima nützen und den nötigen Strukturwandel hin zu einer emissionsfreien Ökonomie befördern. Ein grünes Beschäftigungsprogramm hätte unter allen denkbaren Varianten den geringsten CO2-Fußabdruck. Warum es die Bundesregierung nicht längst gestartet hat, entbehrt jeder wirtschaftlichen Vernunft. Ein Heer an Perspektivlosen können wir uns als Gesellschaft nicht leisten. Zu hoch wäre der Preis – menschlich wie ökonomisch.

Dieser Beitrag erschien am 16.09.2020 als Gastkommentar in der Presse.

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