Europa

Die Bank gewinnt immer

Banken: Ein Mann im dunklen Anzug hält eine 3D-Grafik in den Händen. Darauf zu sehen sind Balkendiagramme, die von links nach rechts zuerst kleiner werden, dann wieder größer. Begleitet von einem jeweils roten und einem grünen Pfeil sollen damit Verluste und Gewinne dargestellt werden.

Österreich befindet sich in einer Rezession. Die Wirtschaft strauchelt, die Arbeitslosigkeit steigt und die Inflation ist fast doppelt so hoch wie im Euroraum-Schnitt. Doch in einer Branche klingeln die Kassen: bei den Banken. Sie schreiben Übergewinne in Milliardenhöhe.

Während die Arbeitslosigkeit etwa in der Baubranche im März um ein Fünftel höher war als im Vorjahr, sind die Banken neben den Energieunternehmen zu den großen Gewinnern der Inflationskrise avanciert. 1,8 Milliarden Euro an Übergewinnen schrieben allein die vier Geschäftsbanken Erste Bank, Bank Austria, Raiffeisen Wien-NÖ und die Bawag 2023.

Banken als Kriegsgewinnler

Dabei waren die Banken aber nicht besonders fleißig oder konnten mit Innovationen ihre Produktivität sonderlich steigern. Die Ursache geht zurück auf den Zufall. Konkret auf den russischen Angriff in der Ukraine. Durch den Krieg sind die Energiepreise in die Höhe geschnellt, was die größte Inflation der letzten fünf Jahrzehnte ausgelöst hat. Als Reaktion darauf haben Zentralbanken weltweit ihre Zinsen erhöht, um künstlich einen Rückgang der Wirtschaftsleistung auszulösen – in der Hoffnung, die Preissteigerungen damit zu bekämpfen. Und diese steigenden Zinsen lassen nun die Gewinne der Banken sprudeln.  

Die Zinsschere geht auf

So hob auch die Europäische Zentralbank (EZB) ihren Leitzins an und verteuert damit variabel verzinste Kredite, die Geschäftsbanken wiederum an Betriebe und Haushalte weitergeben. Das trifft große Unternehmen, deren Finanzierungskosten für Investitionen nun durch die Decke gehen, genauso wie den Häuslbauer, der nun monatlich eine höhere Kreditrückzahlung für das Eigenheim abstottern muss. Eigentlich alle, die Geld von Banken borgen. Ganz zur Freude der Geldinstitute, sie können ihr Kern-Geschäftsmodell äußerst profitabel verfolgen: Kredite werden teurer vergeben als Spareinlagen verzinst werden. Dank der Hochzinspolitik der EZB können sie ihre Zinsschere vergrößern. Gestiegene Zinsen auf Kredite verrechnen die Banken sofort an ihre Kundschaft weiter. Wenn es um die Erhöhung der Sparzinsen von privaten Sparer:innen geht, sind die Banken schon deutlich träger. Sie selbst legen Geld aber hochverzinst bei der EZB an. Während sie für Einlagen bei der EZB 4 Prozent kassieren, gaben heimische Banken den Sparenden in Österreich im Dezember 2023 durchschnittlich mickrige 0,96 Prozent auf ihre Ersparnisse. Der aus der ungleichen Weitergabe der Zinsspielräume resultierende Nettozinsertrag lässt bei den Banken die Korken knallen. Bei der Ersten Bank stieg der Nettozinsertrag um 88 Prozent an, der Nettojahresgewinn hat sich auf 720 Millionen Euro erhöht und damit mehr als verdoppelt im Vergleich zum Fünf-Jahres-Schnitt von 2019-2022. Ganz vorne dabei ist die Bank Austria. Sie verzeichnet für das vergangene Jahr einen Gewinn von rund 1,3 Milliarden Euro und hat damit ihren Gewinn sogar verdreifacht.  

Gewinne auf Kosten der Allgemeinheit

Aber nicht nur die Sparenden gehen fast leer aus. Auch das Staatsbudget leidet. Denn die hohen Zinsen auf ihre Einlagen bekommen heimische Banken von der Österreichischen Nationalbank (OeNB) ausbezahlt. Nun ist die OeNB zu 100 Prozent im Besitz der Republik Österreich. Schreibt die OeNB ein Plus, sind Ausschüttungen an die Republik fällig. Die enormen Zinsausschüttungen an die heimischen Geschäftsbanken haben aber einen großen Beitrag dazu geleistet, dass die OeNB für 2023 zum ersten Mal in der Geschichte rote Zahlen schreibt. In anderen Worten: Weil die OeNB den Geschäftstbanken so hohe Zinserträge ausschüttet, bleibt der Nationalbank nichts mehr, was an die Republik gehen kann. Geld, das dann im Budget für Investitionen wie Pflege, Kinderbetreuung oder Klimaschutz fehlt. Zum Leid der Allgemeinheit.   

Sondersteuer für Übergewinne notwendig

Die Energieunternehmen werden mittlerweile – wenn auch ungenügend – für ihre zufälligen Krisengewinne besteuert. Bei den Banken steht es nicht einmal zur Diskussion. Dabei hat selbst Margaret Thatcher, die ehemalige konservative britische Premierministerin, in den 1980ern eine Sondersteuer für Banken eingehoben, weil diese zufällig von der Wirtschaftskrise profitierten. Bei den Banken sollte die Politik nun nachziehen, damit auch diese einen Beitrag zur Finanzierung der Krisenfolgen beitragen, von der sie selbst so stark profitieren.

 

Dieser Text erschien zunächst als Teil einer Kolumne bei ZackZack.

EU-Wirtschaftsprognose 2023-2025: Österreich unter den Letzten

Die EU-Flagge und die der Mitgliedsstaaten wehen vor einem Gebäude im Wind.

Die Europäische Kommission hat ihre Winter-Prognose vorgelegt. Das Momentum Institut hat das erwartete Wirtschaftswachstum und die erwartete Inflation von 2023 bis 2025 für alle Euroländer ausgewertet. Österreich hat die zweithöchste Inflation. Beim Wirtschaftswachstum gehört Österreich zu den letzten drei.

Die EU-Kommission blickt skeptisch auf die Wirtschaft im Euroraum. Für die Staaten der Währungsunion rechnet sie dieses Jahr lediglich mit einem Anstieg beim Bruttoinlandsprodukt (BIP) von 0,8 Prozent, laut der am Donnerstag vorgestellten Winter-Wirtschaftsprognose in Brüssel. Im Schnitt wird die Wirtschaftsleistung im Euroraum insgesamt für die Jahre 2023 bis inklusive 2025 um 2,8 Prozent steigen. Mit insgesamt 1,3 Prozent Wirtschaftswachstum in den drei Jahren gelingt Österreich nicht einmal ein halb so hohes Wachstum. Noch schlechter entwickelt sich das Bruttoinlandsprodukt nur in Estland (0,2 Prozent) und Deutschland (1,2 Prozent).  

Die österreichische Wirtschaft schwächelt. Gegen die Flaute in der Industrie kann Österreich nicht viel tun, weil die am Weltmarkt hängt. Aber gegen die kollabierende Bauwirtschaft kann ein kräftiges Konjunkturpaket im Milliardenbereich helfen. Setzt die Regierung auf den sozialen Wohnbau mit Gemeinde- und Genossenschaftswohnungen, sorgt das in einigen Jahren auch für niedrigere Mieten.

Zweithöchster Preisanstieg in Österreich

Während die Teuerung in den Jahren 2023 bis 2025 im Euroraum insgesamt 10,6 Prozent betragen wird, liegt der Preisanstieg in Österreich mit 15,4 Prozent um fast die Hälfte darüber. Eine noch höhere aufsummierte Inflation gibt es nur in der Slowakei (17,9 Prozent). Die niedrigste Teuerung sehen wir in Finnland (7,3 Prozent), Luxemburg (8 Prozent) und Belgien (8,6 Prozent). Unser Fazit lautet: Energie und Wohnen müssen in Österreich billiger werden. Die Regierung kann etwa dafür sorgen, dass die Mietpreisbremse auch private Mietwohnungen einschließt.

EZB: Höchsten Realzinsen in der Eurozone seit 16 Jahren

Foto der EZB als Symbolbild für die Entwicklung des Realzinses in der Eurozone

Anlässlich der am Donnerstag stattfindenden Sitzung der Europäischen Zentralbank (EZB) hat das Momentum Institut die Entwicklung der Realzinsen seit 1999 analysiert. Im November 2023 gab es die höchsten preisbereinigten Zinssätze seit September 2007. Das könnte den Konjunktureinbruch verschlimmern.

Der Realzins misst den Zinsgewinn- oder Verlust, nachdem die Inflation abgezogen wurde. Im November 2023 wurde der höchste Realzins der Eurozone seit über 16 Jahren erreicht.

Positive und steigende Realzinsen bedeuten: Für Unternehmen wird es zunehmend schwieriger ihre Kredite zurückzuzahlen. Bisher konnten sie bei negativen Realzinsen ihre Preise deutlich stärker erhöhen als die Kosten (Zinssätze) für ihre Kredite gestiegen sind. Das ist nun nicht mehr der Fall: Die Produzentenpreise sinken bereits seit Monaten. Auch die Konsumentenpreise fallen in der Eurozone im Monatsvergleich. Derweil hält die Europäische Zentralbank ihren Leitzins konstant bei 4,5 Prozent. „inkt die Inflation 2024 weiter, werden die positiven Realzinsen umso mehr zur Belastung für die Wirtschaft. Das schädigt die schwächelnde europäische Wirtschaft noch weiter, sofern die EZB nicht bald damit beginnt, die Zinsen zu senken.

Im November wurden mit 2,1 Prozent die höchsten Realzinsen in der Eurozone seit August 2007 erreicht. Im Dezember 2023 ging der Realzins auf 1,6 Prozent zurück. In Österreich liegt die heimische Inflationsrate über jener der Eurozone. Deshalb lagen die Realzinsen hierzulande mit minus 0,4 Prozent im November 2023 noch leicht im negativen Bereich. Das markierte dennoch den höchsten Stand der Realzinsen in Österreich seit Februar 2010. Im Dezember letzten Jahres stieg die Inflation wieder geringfügig um plus 0,3 Prozentpunkte an. Dieser Anstieg hat auch die hiesigen Realzinsen im Dezember auf -1,2 Prozent minimal gesenkt.

Österreich hat zweithöchste Vermögenskonzentration der Eurozone

Höhere Vermögenskonzentration erweitert die Schere zwischen Arm und Reich

In Österreich ist besonders viel Vermögen in den Händen weniger. Österreich liegt auf Platz zwei der Vermögenskonzentration in der Eurozone. Das heißt, dass hierzulande die reichsten 5 Prozent der Haushalte den zweitgrößten Anteil am Vermögen des Landes im Eurozonen-Vergleich besitzen. Das zeigt eine Auswertung des Momentum Instituts der neuen Vermögensverteilungs-Konten der Europäischen Zentralbank.

Die Schieflage bei der Verteilung der Vermögen ist in Österreich besonders groß. Die reichsten fünf Prozent der österreichischen Haushalte mit den höchsten Nettovermögen besitzen mit 53,5 Prozent mehr als die Hälfte des gesamten privaten Vermögens im Land. Das ist der zweithöchste Anteil unter den zwanzig Ländern der Eurozone. Österreich liegt um 10,4 Prozentpunkte über dem Durchschnitt der Eurozone, was den Anteil der Top 5 Prozent der Haushalte am gesamten Nettovermögen betrifft. In Österreich schneidet sich die Oberschicht ein größeres Stück vom gesamten Kuchen des Vermögens ab als anderswo. Nur in Lettland geht noch mehr an das reichste Zwanzigstel der Haushalte.

Die ärmere Hälfte der Menschen besitzt kaum Vermögen

Die ärmere Hälfte der Haushalte besitzt lediglich 3,5 Prozent des Vermögens. Österreich liegt damit auch beim Anteil der ärmeren Hälfte am Gesamtvermögen auf dem vorletzten Platz. Nur in Deutschland besitzt die untere Hälfte anteilig noch weniger (2,3 Prozent). Österreich liegt um 1,8 Prozentpunkte unter dem Eurozonen-Schnitt (5,3 Prozent) beim Anteil der ärmeren Hälfte der Haushalte am Gesamtvermögen. Jede:r aus der unteren Vermögenshälfte hätte im Schnitt um rund 8.000 Euro mehr Vermögen, wenn Österreich wenigstens an den Durchschnitt der Eurozone herankäme.

In Österreich besitzen die ärmsten 50 Prozent der Haushalte somit für den Euroraum unterdurchschnittlich wenig Vermögen, während die reichsten 5 Prozent überdurchschnittlich viel besitzen. Das Vermögen in Österreich ist in den Händen von wenigen Menschen. Stellt man sich Österreich als Dorf mit zwanzig Einwohner:innen vor. Dann besitzt eine Person die halbe Ortschaft. Sowie die Hälfte aller Finanzvermögen, Bankkonten, Häuser, Felder, Wälder, Unternehmen, Gold und Schmuck gehört ihm. Umgekehrt besitzt die Hälfte der Einwohner:innen – zehn Menschen – fast nichts. Ihnen gehört zusammen weniger als einer von jeden 28 Euro an Vermögen. Die Kluft zwischen Arm und Reich ist riesig.

Top 5 Prozent haben Vermögen verdoppelt

Vom 4. Quartal 2010 bis zum 2. Quartal 2023 verdoppelte sich das Vermögen der reichsten 5 Prozent von 513 Milliarden Euro auf über 1 Billion Euro. Dieser halben Million Menschen stehen nun 563 Milliarden Euro mehr Vermögen zur Verfügung als noch vor zwölf Jahren. Das gesamte Nettovermögen der unteren Bevölkerungshälfte, also von mehr als vier Millionen Menschen, wuchs im gleichen Zeitraum von 23 Milliarden Euro im Jahr 2010 auf 71 Milliarden Euro an – und somit nur um 48 Milliarden Euro. Die Größe der Kluft zeigt sich vor allem bei den Pro-Kopf-Vermögenswerten: eine Person der unteren Vermögenshälfte verfügt im Durchschnitt über ein Nettovermögen von 17.680 Euro, während Reiche in den Top 5 Prozent durchschnittlich 2,4 Millionen Euro besitzen.

Bei der Höhe der vermögensbezogenen Steuern liegt Österreich im OECD-Vergleich am fünftletzten Platz von 38 Ländern. Bei Steuern auf Vermögen ist Österreich eine Steueroase. Mit solchen Steuerprivilegien lässt sich die enorme Vermögenskonzentration in Österreich nicht wirksam eindämmen. Österreich hat weder eine Erbschaftsteuer noch eine Vermögensteuer. Für Unternehmensbesitzer:innen senkt die Bundesregierung die Körperschaftsteuer und die Lohnnebenkosten, was die großen Unternehmensvermögen begünstigt. Die Republik besteuert auch Immobilienvermögen (Grund und Boden) nur gering. Um der Schieflage bei der Vermögensverteilung entgegenzuwirken, empfiehlt das Momentum Institut die Steuern auf Vermögen zu erhöhen. 

Banken fuhren mit EZB-Zinsen 1,6 Milliarden Gewinn ein

EZB Banken Übergewinne

Ein Teil der Übergewinne der Banken entsteht risikofrei. Österreichische Banken parken seit September letzten Jahres rund 115 Milliarden Euro bei der Europäischen Zentralbank. Sie erhalten dafür hohe Zinsen, die sie kaum an ihre Kund:innen weiterreichen. Die heimischen Banken haben dadurch innerhalb von elf Monaten knapp 1,6 Milliarden Euro an Gewinn eingefahren.

Seit Juni 2022 hob die EZB ihren Einlagenzins insgesamt neun Mal auf mittlerweile 3,75 Prozent an. Dadurch steigen die Zinsen für Banken, die Geld bei der Europäischen Zentralbank einlegen. Für ihre Kund:innen haben die heimischen Banken die Zinssätze jedoch nicht in gleichem Ausmaß angehoben. Der Zinssatz für täglich fällige Einlagen stieg nur von 0,06 Prozent auf 0,55 Prozent mit Ende Juni 2023. Die Banken verwehren ihrer eigenen Kundschaft eine risikolose, täglich fällige Einlage zu entsprechend hohen Zinssätzen. Genau die nehmen sie aber bei der Europäischen Zentralbank selbst in Anspruch. Dadurch erzielen sie ohne Aufwand Gewinne, aber die Sparer:innen schauen durch die Finger. Ein Ende dieser Praxis ist nicht in Sicht.

Banken geben die hohen Zinssätze der EZB nicht an ihre Kund:innen weiter

Insgesamt 1,85 Milliarden Euro an Zinsen erhielten österreichische Banken innerhalb von elf Monaten (August 2022 bis Juni 2023) für ihre Einlagen bei der EZB. An ihre Kund:innen geben die Banken die Zinserhöhungen jedoch kaum weiter: Für dieselbe Summe an Kund:innen-Einlagen bei den Banken bezahlten die Banken an österreichische Haushalte im selben Zeitraum lediglich 358 Millionen Euro an Zinsen. Netto haben die heimischen Banken mit diesem Geschäft 1,49 Milliarden Euro verdient, inklusive Juli und August 2023 erhöht sich der Gewinn aschätzungsweise auf etwa 1,6 Milliarden. Damit Sparer:innen zu einer vernünftigen Verzinsung ihrer Bankeinlagen kommen, schlägt das Momentum Institut eine Mindestverzinsung von drei Prozent für Spareinlagen unter 40.000 Euro pro Person vor.

Die Banken legen Kund:innengeld bei der EZB risikolos an

Ein Teil der Übergewinne der Banken geht auf die Zinszahlungen der EZB an die Banken zurück. Das verursacht den Euro-Staaten – auch Österreich - einen milliardenschweren finanziellen Schaden im staatlichen Budget. Jeder an Banken ausbezahlte Euro der EZB kostet den österreichischen Staat als Besitzer der österreichischen Nationalbank auch einen Euro – in Form von verlorenen künftigen Ausschüttungen der Nationalbank an die Republik. Zum Ausgleich empfiehlt das Momentum Institut eine Übergewinnsteuer für Banken. Die Geldpolitik der EZB kann Österreich nicht beeinflussen. Aber die Bundesregierung kann verhindern, dass sich Banken aus der hohen Inflation und den steigenden Zinsen überhöhte Profite herausschlagen. Damit neben den Sparer:innen nicht auch noch die Allgemeinheit draufzahlt, ist das Mittel der Wahl eine Übergewinnsteuer auf die rekordhohen Gewinne der Banken. 

EZB Zinserhöhungen: Erste Schäden für die Wirtschaft sichtbar

Europäische Zentralbank

In der heutigen Sitzung wird die Europäische Zentralbank (EZB) den Leitzins voraussichtlich um weitere 0,25 Prozentpunkte anheben. Die EZB hebt die Zinsen damit innerhalb von 13 Monaten so stark an, wie es seit 1945 in Österreich nicht vorgekommen ist. Schäden an der Wirtschaft werden sichtbar.

Seit Juni 2022 hob die EZB den Leitzins acht Mal auf mittlerweile 4 Prozent an, für heute wird eine weitere Erhöhung um 0,25 Prozentpunkte erwartet. Vergleicht man die Zinserhöhungs-Phasen, die Österreich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hat, handelt es sich um den größten Anstieg der Zentralbank-Leitzinsen innerhalb von 13 Monaten. Weder die Österreichische Nationalbank (1945-1999, Diskontzinssatz) noch die Europäische Zentralbank (seit 1999, Leitzinssatz) hoben die Zinsen in der Vergangenheit in so kurzer Zeit so stark an. 

Inflation sinkt – Zinsen steigen

Mit dem steigenden Leitzins möchte die EZB der Inflation entgegen. Seit Februar 2023 ist die Inflation in Österreich rückläufig und beträgt im Juni 7,8 Prozent. In der Eurozone ist die Teuerung seit dem Höchststand im Oktober 2022 rückläufig und kommt im Juni auf 6,4 Prozent. Der Leitzins steigt aber seit Juni 2022 beständig und beträgt im Juni 2023 4 Prozent. Mit dem Fallen der Energiepreise geht die Inflation aktuell ebenso rasch zurück, wie sie gekommen ist. Die wirtschaftliche Entwicklung steht aktuell nur auf wackeligen Beinen. Die Gefahr besteht, dass die Europäische Zentralbank mit ihren raschen Zinserhöhungen eine Rezession auslöst.

Einbruch der Neukreditvergabe drosselt die Wirtschaftsleistung

Durch die Geldpolitik der EZB zeichnen sich die ersten negativen Auswirkungen auf die Wirtschaft ab. Aufgrund steigender Zinssätze vergeben Banken um zwei Drittel weniger neue Wohnbaukredite an Haushalte. Auch das Neugeschäft für Konsumkredite der Haushalte ging um 14 Prozent zurück, während die Kredite an Unternehmen im Vergleich zum gleichen Monat des Vorjahres um knapp ein Drittel einbrachen.

Durch die Zinserhöhungen nimmt die österreichische Bauwirtschaft bereits Schaden. In der Industrie zeichnet sich ebenfalls ein deutlicher Abschwung ab. Die EZB sollte jetzt auf die Bremse steigen und keine weiteren Zinserhöhungen vornehmen. Sonst fügt sie der europäischen und österreichischen Wirtschaft tiefergehende Schäden zu. Auch am Arbeitsmarkt zeigt sich der laufende Konjunkturabschwung. Im Vergleich zum Vorjahresmonat haben Unternehmen 16 Prozent weniger offene Stellen ausgeschrieben, und es gibt um 3,1 Prozent Arbeitslose mehr.

EZB: Leitzinsen steigen in Österreich rasch und stark wie nie seit 1945

EZB als Symbolbild für die Zinserhöhung der Zentralbanken

Bereits im Vorjahr hob die EZB den Leitzins mehrmals an. Für 2023 prognostiziert werden weitere Erhöhungen – morgen um 0,5 Prozentpunkte, im März voraussichtlich erneut um 0,5 Prozentpunkte. Vergleicht man die Anfänge der Zinserhöhungs-Phasen seit 1945, die Österreich seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erlebt hat, zeigt sich: Aktuell handelt es sich um den größten Anstieg der Zentralbank-Leitzinsen (vom jeweiligen Ausgangsniveau) innerhalb von neun Monaten. Weder die Österreichische Nationalbank (1945-1999, Diskontzinssatz) noch die Europäische Zentralbank (seit 1999, Leitzinssatz) hoben die Zinsen in der Vergangenheit in so kurzer Zeit so hoch an. “Lediglich nach dem zweiten Ölpreisschock 1979 hob die Österreichische Nationalbank die Zinsen etwas schneller an. Aber nach drei Prozentpunkte von 3,75 auf 6,75 Prozent war damals Schluss. Der aktuelle Zyklus bleibt nicht bei drei Prozent stehen. Die EZB wird die Leitzinsen noch stärker erhöhen”, analysiert Picek.

International gehen die Zinsen der führenden Zentralbanken in die gleiche Richtung. Seit Beginn letzten Jahres stiegen die Zinsen im weltweiten Vergleich am stärksten in den USA und in Kanada von 0,125 bzw. 0,25 auf jeweils 4,5 Prozent. Auch die Zinserhöhungen Großbritanniens, Australiens und Norwegens liegen über jenem des Euroraums von 0 auf 2,5 Prozent. Die Schweiz und Dänemark hingegen haben ihre Leitzinsen weniger erhöht. In China und Japan sind die Zinssätze recht konstant geblieben. „Mit dem raschen, weltweit synchronisierten Anstieg der Zinsen steigt die Gefahr für eine harte Landung. In der Vergangenheit ist den Notenbanken nur selten eine weiche Landung gelungen. Statt nur einer Wachstumsabflachung steht die Gefahr einer Wirtschaftskrise noch im Raum. Als erstes trifft es die Baubranche, weil die besonders von günstigen langfristigen Krediten abhängt. Die gibt es jetzt nicht mehr. Firmen und Privathaushalte spüren das bei variablen Krediten und Neukrediten schon deutlich“, sagt Oliver Picek, Chefökonom des Momentum Instituts.

Erhöhen die Zentralbanken die Zinsen, verlangen Banken höhere Zinssätze von ihren Kund:innen: Für sie werden Kredite teurer. Schwächelt die Wirtschaft, können Unternehmen ihre Preise nicht mehr so leicht erhöhen und Arbeitnehmer Lohnforderungen nicht mehr durchsetzen. So will die Europäische Zentralbank die Inflation bremsen. “Mit Zinserhöhungen würgt die Europäische Zentralbank die Konjunktur ab, erzeugt Arbeitslosigkeit und vernichtet Wohlstand. Die Inflation sinkt, aber das ist teuer erkauft”, so Picek.

Hohe Zinsen für manche Länder gefährden den Euro

EZB Zinserhöhung

„Man sagt, dass sich Geschichte wiederholt, aber die Wahrheit ist, dass ihre Lektionen nicht gelernt werden.“ Der französische Politiker Camille Sée würde das heute wohl wieder äußern. In regelmäßigen Abständen bahnt sich eine neue Krise des Euro an. Diesmal haben Finanzspekulanten Italien als verwundbarstes Opfer auserkoren. Die Europäische Zentralbank hat dem Spuk bisher kein Ende bereitet, obwohl es in ihrer Macht steht.

Ein Rückblick: Ab 2010 geraten Griechenland, Zypern, Irland, Spanien, Portugal und Italien ins Visier der Finanzmärkte. Die glauben nicht an den Zusammenhalt des Euro. Treiben Zinssätze für die Staatsanleihen ihrer Opfer so schnell in die Höhe, dass kein Land der Welt damit umgehen könnte. Ein künstlich herbeigeführter Bankrott droht. Nordeuropa verschreibt dem Süden eine Schocktherapie. Am härtesten trifft es Griechenland, das sich nie mehr erholt von harten Kürzungen im Staatshaushalt, der Privatisierungen essenzieller Infrastruktur und der Abschaffung von gewerkschaftlich erkämpften Arbeitsrechten. Auf die Eurozone – auch nach Österreich – strahlen die Schmerzen aus. Sie bleibt bis Ende des Jahrzehnts beim Wirtschaftswachstum deutlich hinter den USA zurück. Dem Spar- und Kürzungsdogma fallen öffentliche Investitionen zum Opfer. Die Spätfolgen: In Genua stürzt eine Brücke ein. Wegen Lecks im Trinkwassersystem verliert Norditalien mitten in der größten Trockenheit einen großen Teil des gepumpten Wassers. Das schlimmste verhindert lediglich EZB-Präsident Mario Draghi, als er mit seinem Ausspruch „whatever it takes“ den Zusammenbruch der Eurozone verhindert und die Zinsen wieder drückt.

Nun geht es erneut los. Italien muss Banken und Anlegern erneut mehr für seine Staatanleihen bezahlen als etwa Deutschland. Die „Gefahrenzone“ – 2,5 Prozentpunkte Aufschlag – ist fast erreicht. Die Investmentbank Goldman Sachs prophezeit einen weiteren Anstieg. Doch wo bleibt die Lösung?
Unter dem Kürzel „TPI“ beschloss die EZB zwar, dass sie Staatsanleihen ausgewählter Länder aufkaufen kann. Beeindruckt hat das – ob der theoretisch strengen Bedingungen – die Finanzmärkte nicht. Die Zinsen, die Italien auf seine Staatsanleihen zahlen muss, steigen weiter. Mit jeder Zinserhöhung der EZB wird sich das Problem nur verschärfen.

Zeit für einen neuen „whatever it takes“-Moment: EZB-Präsidentin Lagarde muss die Finanzmärkte an der Hand nehmen. Klarstellen, dass die EZB nicht zulassen wird, dass Italien unter die Räder kommt. Das Zauberwort heißt „Rendite-Kontrolle“. Dafür setzt die Zentralbank einen maximalen Risikoaufschlag, etwa ein Prozent, den Italien mehr als Deutschland berappen muss. Glauben ihr die Finanzmärkte nicht, kauft die EZB die italienischen Anleihen. Das kann sie unlimitiert machen, hat sie doch als einziger Spieler am Geldmarkt die Fähigkeit, Euros selbst zu drucken. Meist reicht jedoch die pure Drohung aus, um die Spekulanten zu brechen.

Ob der EZB-Rat seine Lektion gelernt hat, wird sich erst weisen. Europa leidet währenddessen weiter unter einer Klimakrise, Corona-Krise, Gaskrise und Inflationskrise. Hilfreich wäre jedenfalls, wenn sich zumindest die Geschichte der Eurokrise nicht als Farce wiederholt.

 

Dieser Text erschien zunächst als Gastkommentar in der Wiener Zeitung.

 

EU Fit for 55 – eine erste Schnelleinschätzung

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Was ist das EU Fit for 55?

Fit for 55 benennt das Paket der EU-Kommission, mit dem sie das Klimaziel von -55% der Treibhausgasemissionen gegenüber 1990 erreichen will. Die Kommission um Präsidentin Van der Leyen präsentierte den Plan, der im Rahmen des “Green Deals” ausgearbeitet wurde, heute am 14.07.2021.

Worum geht es?

Der Plan EU Fit for 55 soll vorlegen, wie Europa das neue Ziel erreichen kann. Verschiedenste Maßnahmen, realisiert durch 12 Gesetzesvorschläge, schließen Änderungen in Klimagesetzen und CO2-Bepreisungen (etwa Zertifikatehandel und CO2-Steuern) mit ein. So sollen bis zum Jahr 2030 EU-weit jährlich nur noch maximal 2,1 Mrd. Tonnen CO2-Äquivalent ausgestoßen werden.

Fit for 55: Zielwert bis 2030 um 55% niedriger als 1990

Eines der wohl größten Projekte ist die Änderung des Europäischen Zertifikathandelssystems (ETS). Einerseits präsentierte Van der Leyen die Einführung eines zweiten ETS für die Sektoren Gebäude und Straßenverkehr, andererseits soll das bestehende System auf die Schifffahrt ausgeweitet werden und die Gratis-Zuteilung an Bedingungen geknüpft werden. Das ETS ist eines der Kerninstrumente der EU zur Reduktion der Treibhausgasemmissionen: Ihm unterliegen aktuell rund 45% der europäischen Emissionen. Auch Österreichs Emissionen sind stark an dieses EU-Instrument gekoppelt: Hierzulande werden mehr als ein Drittel der Gesamtemissionen nicht national, sondern durch den ETS reguliert.

Fit for 55: Anteil ETS Emissionen Österreich

Bisher sind die Klimaziele sowie die Konsequenzen bei Nicht-Erreichung der Einsparungsziele dieser beiden Sektoren durch die EU-Lastenteilung geregelt. Die EU-Lastenteilung sieht nationale Emissionsziele vor. Erreicht ein Nationalstaat, zum Beispiel Österreich, seine Ziele innerhalb einer Abrechnungsperiode (aktuell 2020-2030) nicht, müssen Zertifikate von Ländern, die ihre Ziele übererfüllt haben, abgekauft werden. Dieses Vorgehen kann für Klimasünderstaaten mit der Zeit immer teurer werden, wenn einerseits Zertifikate knapper und das Ausmaß der Nicht-Erfüllung der Ziele immer größer wird.

Gebäude und Verkehr machen einen großen Teil der Emissionen in der EU aus: Der Gebäudesektor steuert direkt und indirekt rund 36% der gesamten europäischen Treibhausgasemissionen bei, alleine der Straßenverkehrssektor ein Fünftel (Europäische Kommission 2021). Eine Eingliederung in das ETS soll die Emissionen dieser beiden Sektoren schneller und effektiver senken. Das Emissionshandelssystem ist ein Markt für CO2-Zertifikate, auf dem eine Maximalmenge von Zertifikaten ausgegeben wird. Die Betriebe der inkludierten Sektoren müssen für ihre Anlagen am Ende des Jahres genügend Zertifikate vorweisen. Ist das nicht der Fall, drohen Geldstrafen. So sollen Sektoren zur Reduktion ihrer Emissionen angehalten werden.

Ein weiteres Instrument ist der Carbon Border Adjustment Mechanism (kurz: CBAM), welcher ab 2023 eingeführt werden soll. Darunter versteht man eine CO2-Grenzabgabe bzw. einen CO2-”Zoll” auf ausgewählte importierte Produkte. So sollen Güter, die in Ländern außerhalb der EU, die sich nicht um Emissionen kümmern, produziert werden, entsprechend ihrer CO2-Abdrücke bepreist werden. Ziel davon ist, das sogenannte “Carbon Leakage” zu verhindern: Eine voranschreitende Klimapolitik in der Europäischen Union kann dazu führen, dass Unternehmen ihre Produktionsstätten in Drittländer verlegen, die weniger strenge oder keine CO2-Vorschriften haben. So könnten sie während des Produktionsprozesses CO2-Steuerleistungen bzw. -Maßnahmen umgehen. Werden diese Güter bei Import nicht an inner-europäische Teuerungen angepasst, steigt der Anreiz, die Produktion weiterhin ins Ausland zu verlegen, was den gewünschten Effekt einer Emissionsreduktion stark schmälern würde. Außerdem soll damit die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber ausländischen Herstellern gewährleistet werden.

Betroffen sind laut Gesetzesentwurf von 14.07.21 vorerst nur die energieintensivsten Sektoren Zement, Elektrizität, Düngemittel, Eisen, Stahl und Aluminium.

Zusätzlich umfasst der Plan eine Aktualisierung der Energiebesteuerungsrichtlinie. Ihr liegt der Besteuerungsunterschied zwischen Öl/Gas und Elektrizität zugrunde. Derzeit werden weniger Steuern auf fossile Energieträger eingehoben als auf Elektrizität. Dennoch könnte dieser Vorschlag wie schon 2011 an der Zustimmung einiger Mitgliedstaaten scheitern. Außerdem werden Änderungen in verschiedensten Richtlinien forciert: Dazu gehören die Erneuerbaren-Energie-Richtlinie sowie die Energieeffizienz-Richtlinie, die Richtlinie zum Aufbau einer Infrastruktur für alternative Kraftstoffe (mehr E-Ladestationen) und die Überarbeitung der Verordnung zur Festlegung von CO₂-Emissionsnormen für neue Autos und leichte Nutzfahrzeuge.

Was bedeutet eine Integration des Gebäude- & Verkehrssektors in das ETS?

Der Verkehrssektor kann, wie auch der Gebäudesektor auf zwei Arten in das Europäische Zertifikathandelssystem eingegliedert werden: Einerseits könnte das bestehende System einfach auf die zusätzlichen Sektoren ausgeweitet werden. Andererseits könnte ein parallellaufendes System für Verkehr und Gebäude gebildet werden. Im Vorschlag der europäischen Kommission wird letzteres ab dem Jahr 2025 für die Sektoren Straßenverkehr und Gebäude vorgezogen. Die Schifffahrt soll mit einer Übergangsphase in das bestehende System eingegliedert werden.

Die Entscheidung gegen die Integration in das bestehende ETS baut auf der höheren Einsparungs-Effizienz eines eigenen Systems für Straßenverkehr und Gebäude. Würde das bestehende System auf den Verkehrssektor ausgeweitet, heißt das, dass derzeit inkludierte Sektoren wie Wärme- und Energieerzeugung oder energieintensive Industriezweige (Ölraffinerien, Stahlwerke,…) mit dem Verkehrssektor um dieselben CO2-Zertifikate bieten. Eine Analyse des Policy Departments for Economic, Scientific and Quality of Life Policies des Europäischen Parlaments, weist daraufhin, dass der Verkehrssektor höhere Umstiegs- bzw. Treibhausgas-Vermeidungskosten aufweist, als bereits inkludierte Sektoren. Sofern sich der Zertifikatshandelspreis weiterhin über alle Sektoren kumuliert bildet, würde damit der Preis auch für alle Sektoren ansteigen, da die Vermeidungskosten im Verkehr besonders hoch sind und den Gesamtpreis so nach oben drücken. Damit wären die Emissionsreduktionen im Verkehrssektor jedoch trotzdem äußert gering, da der Zertifikatspreis mit großer Wahrscheinlichkeit unter den tatsächlichen Vermeidungskosten im Verkehr bleibt und so ein Anreiz fehlt, viel CO2 einzusparen. Bei einem aktuellen Zertifikatspreis von rund EUR 40-45 pro Tonne CO2 würde dieses System beispielsweise den Benzinpreis um 10-12 Cent pro Liter erhöhen. Das Europäische Parlament schätzt diese Preissteigerung als zu gering ein, um große Lenkungseffekte zu erzielen (European Parliament 2021).

Ein separates System wird mit zukünftig höheren CO2-Preisen für die Sektoren Straßenverkehr und Gebäude verbunden. Eine Schätzung ergibt einen Preisanstieg auf bis zu EUR 180 pro Tonne CO2 (2015 Preise) innerhalb eines separaten Systems für Gebäude und Straßenverkehr (Cambridge Econometrics 2021). Höhere CO2-Preise werden in fast allen Fällen von Produzent:innen oder Dienstleister:innen an ihre Abnehmer:innen weitergegeben (Europäischen Kommission 2015). Das heißt, Endkonsument:innen sind stärker von der Maßnahme betroffen. Der Grad der Betroffenheit von europäischen Endkonsument:innen unterscheidet sich jedoch: Gerade Haushalte mit niedrigen Einkommen aus ärmeren EU-Ländern sind stärker von einer Preissteigerung im Straßenverkehr betroffen als reichere Haushalte in Ländern wie Österreich (Graf et al. 2021).

Fit for 55: Preissteigerungen treffen ärmere Haushalte am stärksten

Begleitend mit den neuen Maßnahmen zum Zertifikatehandel sind daher Umverteilungsmaßnahmen notwendig, die die Kommission mit der Rückverteilung der Auktionseinnahmen und der Errichtung eines Sozialfonds installiert (Der Sozialfonds wird von dieser ersten Schnelleinschätzung nicht analysiert). Um negative Effekt auf Beschäftigung und ärmere Haushalte zu vermeiden, stellen vor allem Rückvergütungen als Pauschalbeträge (Lump sum payments) die verteilungspolitisch sinnvollste Maßnahme dar, auch wenn sie den das eigentliche Problem der Verteilungsungerechtigkeit nicht lösen (Cambridge Econometrics 2021). 

Zudem steht das Emissionshandelssystem seit seiner Etablierung berechtigterweise unter Kritik. Wichtige Reformoptionen wie ein Mindestpreis oder schnellere Abschaffung der kostenlosen Zertifikate wurden nicht aufgenommen, was den Preis einige Jahre zu tief für große Lenkungseffekte blieben lies.

Was bedeutet "Carbon Border Adjustment Mechanism"?

Die Einführung einer CO2-Grenzabgabe macht durchaus Sinn. Sie zieht Unternehmen zur Verantwortung, die vor angemessenen nationalen (bzw. Europäischen) Klimazielen in Drittstaaten “fliehen”, um dort uneingeschränkt produzieren zu können. Eine Ausweitung auf weitere Sektoren, die etwaige Risiken von “Carbon Leakage” bergen, wäre jedoch angebracht. Die europäische Union darf nicht übersehen, dass sie mit dem Import, Konsum und allgemein der Nachfrage von energieintensiven Gütern indirekt für einen großen Teil der im Ausland “produzierten” Emissionen mitverantwortlich ist. Die Einbindung mehrere Sektoren abseits der oben genannten in das CBAM ist deshalb wünschenswert, laut Europäischer Kommission aber noch nicht konkret geplant.

Damit der CBAM funktioniert, müssen mit seiner Implementierung außerdem die Zuteilung kostenloser Emissions-Zertifikate (wie es bis dato mit einem Teil der Zertifikate pro Jahr gehandhabt wird) an Unternehmen der genannten Sektoren auslaufen; das CBAM würde die kostenlosen ETS-Zertifikate sozusagen ablösen. Damit der CBAM für sehr energieintensive, europäische Unternehmen den Anreiz schafft, Emissionen tatsächlich zu reduzieren, kann und darf er nicht mit der Austeilung von kostenlosen ETS-Zertifikaten parallel existieren. Stark zu kritisieren ist deshalb, dass der Gesetzesentwurf, obwohl kostenlose Zertifikate nun an Bedingungen geknüpft werden, kein genaues Datum des Auslaufens kostenloser ETS-Zertifikate vorsieht.

Fazit: Fit for 55 geht in die richtige Richtung, ist aber noch nicht beschlossen

Grundsätzlich ist das Fit for 55 ein adäquates und zu begrüßendes Paket an Maßnahmen für Emissionsreduktionen innerhalb der EU. Auch die angekündigte Einführung eines Sozialfonds und der Rückverteilung von Auktionseinnahmen aus dem Zertifikatshandel an Haushalte mit niedrigen Einkommen klingt dem Titel nach sinnvoll (eine Analyse ist ausstehend). Dennoch sind die Maßnahmen zum Beispiel mit der Ausweitung des ETS und der Einführung eines zweiten ETS stark auf den Marktmechanismus fixiert. Die Maßnahmen sollten jedoch nicht dazu dienen, Steuereinnahmen zu generieren – in erster Linie müssen sie Emissionen durch verändertes Handeln reduzieren. Sollte der Preis von Zertifikaten in einem freien Handelssystem nicht genug steigen, sind die notwendigen Lenkungseffekte in Frage gestellt.

Dazu kommt, dass das Paket Fit for 55 erst Vorschläge der Europäischen Kommission darstellen. Um diese in Umsetzung zu bringen, bedarf es der Zustimmung aller Mitgliedsländer und des Europäischen Parlaments. Es ist mit Gegenwind von einigen Staaten zu rechnen. Konflikte wird es zum Beispiel mit der Automobilherstellernation Deutschland geben, da die Vorschläge zur Transformation des Verkehrssektors auch das Nullemissionsziel (also der Abschaffung von Verbrennungsmotoren) umfassen. Dazu kommt Polen, das seine fossilen Kraftwerke weiterhin betreiben wollen wird.

Ein weiterer Kritikpunkt richtet sich an das Fehlen eines konkreten Plans zur Erreichung des 1,5 Grad Ziels. Wird dieses Ziel nicht erreicht, werden irreversible Schäden für Mensch & Umwelt erwartet. Das Pariser Klimaabkommen verpflichtet deshalb alle teilnehmenden Länder, alles mögliche zu tun, um das Ziel zu erreichen. Der fehlende Kontext zum Ziel limitiert somit die Glaubwürdigkeit des Gesetzespakets.

Für alle, die sich selbst ein Bild machen wollen:

Die Gesetzesentwürfe und -änderungen sind ab heute hier zugänglich.

Zusammenfassungen und Fact-Sheets zu den einzelnen Sektoren sind hier downloadbar.

Anna Pixer

Muss die EZB ihre Geldpolitik ändern?

Europäische Zentralbank (EZB)_Inflation

Und fast schon täglich grüßt das Inflations-Murmeltier. Droht eine gefährliche Teuerungsspirale? “Die Situation ist ernster, als die Statistik zeigt”, sagt der Experte. Ein aktueller Befund, nach der Corona-Krise? Fast. Die Warnung stammt aus dem Jahr 2016. Die rapide steigende Inflation sei unausweichlich, das Ende der Währung nah, behaupteten monetaristische Ökonomen. Vor stark zunehmender Inflation wurde auch schon 2011/12 und 2015 gewarnt. Währenddessen sank die Inflationsrate von 3,3 Prozent 2011 auf 1,5 Prozent im letzten Vor-Corona-Jahr 2019.

Kein Grund zur Panik vor Inflation

Wann kommt es überhaupt zu Inflation? Wenn mehr Güter und Dienstleistungen nachgefragt werden, als angeboten werden können und Firmen ihre Produktion selbst mit Vorlauf nicht mehr erweitern können. Hohe Inflationsraten sahen wir auch in den 1970ern, als aufgrund geopolitischer Konflikte das davor spottbillige Öl auf einmal teuer wurde. Hohe Preis- und daraus folgend Lohnerhöhungen trugen zu einer Lohn-Preis-Spirale bei. Aktuell sehen wir nichts davon. Wenn die Pandemie überwunden ist, worin soll dann der Mangel bestehen? An Arbeitskräften, an Rohstoffen? Wir sehen von sehr niedrigem Niveau wieder steigende Energiepreise, aber sicher keinen Mangel. Auch keinen an Rohstoffen, deren Preise eher zeigen, dass viel Kapital auf der Suche nach Rendite ist.

Ein Blick auf die Zahlen zeigt, dass in Österreich die Inflation in den meisten Jahren seit 1945 über heutigen Werten lag. Auch in den letzten Jahren lag sie oft unter dem EZB-Ziel von 2%. Zieht man die Inflation von den etwa am Sparbuch gezahlten Zinsen ab, war ein Ertrag gegen null eher die Regel als die Ausnahme. Panik ist also unangebracht.

Lieber um Arbeitslose sorgen

Inflation für sich selbst ist wenig problematisch. Schwierig wird es nur, wenn die Löhne nicht mit der Entwicklung Schritt halten. Das ist bei den niedrigeren Einkommen in Österreich schon seit Jahren ein Problem: die Reallöhne stagnieren – bestenfalls. Mit ein Grund für die niedrigen Reallöhne ist die Arbeitslosigkeit. Sie blieb in den letzten Jahren auch bei brummender Wirtschaft hoch. Für die Arbeitslosen und ihre Familien ist es eine existenzielle Frage, mit der Hälfte des Einkommens auskommen zu müssen.

Zu diesem Thema hört man zu wenig, zur Inflationsangst hingegen sehr viel - oft von Menschen, die einem Investments, etwa in Gold, verkaufen möchten. Auch hilft die Inflationsangst, Stimmung gegen höhere öffentliche Ausgaben zu machen. Die sind aber notwendig, um den Wirtschaftsmotor zu starten und für einen Aufschwung zu sorgen, der stark genug ist, um Arbeitslosigkeit deutlich zu reduzieren. Die USA machen gerade vor, dass ein riesiges Konjunkturprogramm für Dynamik sorgt.

Hören wir stattdessen einseitig auf die Inflations-Besorgten und erhöhte die EZB die Zinsen, bezahlen wir dafür mit einem abgewürgten Aufschwung und noch höherer Arbeitslosigkeit. Wem der Wohlstand der vielen ein Anliegen ist, kann das nicht wollen. Zudem sollten wir nicht vergessen: nichts untergräbt Vertrauen in die Demokratie mehr, als fortdauernd hohe Arbeitslosigkeit.

 

Dieser Text erschien zunächst in leicht abgewandelter Form im "Profil" in einer Pro-Kontra-Gegenüberstellung.