Der Sozialstaat schützt hunderttausende Menschen in Österreich vor Armut, ein Instrument dafür ist die Mindestsicherung (jetzt Sozialhilfe). Sie ist das letzte Sicherheitsnetz für Menschen, die in Österreich leben. Wie sich die Inanspruchnahme der Sozialhilfe durch die Corona-Krise verändert hat, zeigen nun neue Daten (Statistik Austria 2021): Wurden im Jahr 2019 267.683 Personen unterstützt, reduzierte sich diese Zahl im Corona-Krisen-Jahr 2020 auf 260.114. Fast 74.000 Kinder lebten 2020 in Haushalten, die durch die Mindestsicherung unterstützt wurden. Die Frauenquote bei den Erwachsenen liegt bei 53 % (67.815 absolute Zahl), 47 % der Mindestsicherungsbezieher:innen sind Männer (59.268 absolute Zahl).1 Die durchschnittliche Bezugsdauer der Mindestsicherung liegt bei 9 Monaten. Die Ausgaben dafür stiegen im Krisenjahr 2020 auf EUR 959 Mio., nachdem sie zuletzt gesunken waren. Insgesamt gesehen sind die Ausgaben für die Mindestsicherung gering: Sie machen nur 0,76 % der gesamten Sozialausgaben und 0,44 % der gesamten Staatsausgaben aus.
Die Mindestsicherung ist das letzte Sicherheitsnetz für Menschen in Österreich. Sie soll dafür sorgen, dass Menschen zumindest das Allernötigste zum Leben haben. Die Anforderungen für den Bezug der Mindestsicherung sind streng: Eigenes Vermögen muss aufgebraucht sein, EU oder EWR-Bürger:innen haben nur dann Anspruch, wenn sie in Österreich arbeiten oder schon über 5 Jahren hierzulande wohnen. Zudem muss die Arbeitsbereitschaft für den Mindestsicherungsbezug gegeben sein, ausgenommen davon sind Mindestsicherungsbezieher:innen, die das Pensionsantrittsalter erreicht haben oder Kinder und pflegebedürftige Personen betreuen (Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz 2021).
Die aktuellen gesetzlichen Bestimmungen zur Höhe der Mindestsicherung sind noch nicht bundesländerübergreifend einheitlich, da mit Stand 1.7.2021 sechs von neun Bundesländern (Salzburg, Oberösterreich, Niederösterreich, Kärnten, Steiermark, Vorarlberg) das neue Sozialhilfegesetz erlassen haben (Wien teilweise). Bei den übrigen Bundesländern gelten noch die bisherigen Mindestsicherungssätze. Eine der Änderungen im neuen Sozialhilfegesetz legt nun Maximalbeträge statt Mindestbeträge fest. Für Alleinlebende und Alleinerziehende liegen diese bei EUR 949, für Paare bei EUR 1.329.2 Die Armutsgefährdungsschwellen (60 % der Medianeinkommen) für Österreich liegen deutlich über diesen Werten (hier). Alleinlebende Personen gelten dann als armutsgefährdet, wenn ihr Monatseinkommen unter EUR 1.328 liegt, für Alleinerziehende mit einem Kind liegt die Grenze bei EUR 1.726 und bei Paaren ohne Kinder bei EUR 1.992.
Die tatsächlich ausbezahlten Leistungen aus der Mindestsicherung pro Bezieher:in sind gering. Nur für Paare mit 2 oder mehr Kindern und Alleinerziehenden mit 4 Kindern oder mehr liegen sie bei über EUR 1.000.
Die geringen tatsächlich ausgezahlten Leistungen aus der Mindestsicherung haben neben den geringen Maximalbeträgen auch damit zu tun, dass Menschen ihr Einkommen mit der Mindestsicherung „aufstocken können“. Das heißt, die Mindestsicherung kann auch von Menschen bezogen werden, die andere Einkünfte haben. Sind diese Einkünfte jedoch sehr gering und liegen unter der Mindestsicherungsgrenze, ist es möglich – solange die Anspruchskriterien erfüllt sind – bis zur maximalen Höhe der Mindestsicherung „aufzustocken“. Von diesen Aufstocker:innen ist zum Beispiel dann die Rede, wenn Menschen einer Erwerbstätigkeit nachgehen, aber so wenig verdienen, dass sie trotz Arbeitseinkommen unter der Mindestsicherungsgrenze bleiben. Sie können zu ihrem geringen Einkommen einen zusätzlichen Betrag durch die Mindestsicherung beziehen, sodass sie Grundbedürfnisse wie Lebensunterhalt und Unterkunft bezahlen können. In Österreich sind fast drei Viertel der mindestsicherungsbeziehenden Haushalte Aufstocker:innen. Sie beziehen einen Teilbetrag der Mindestsicherung, weil ihre übrigen Einkünfte nicht ausreichen, um die Kosten für ihren bescheidenen Lebenserhalt zu begleichen.3
Mehr als 14.500 der Betroffenen verdienen trotz Erwerbsarbeit so wenig, dass sie ihren Lebensunterhalt und ihre Unterkunft nicht sichern können. Über 36.000 Bezieher:innen der Mindestsicherung sind auf Jobsuche, befinden sich in Umschulung oder beziehen anderweitig Leistungen des Arbeitsmarktservice. Damit haben mehr als die Hälfte der Mindestsicherungsbezieher:innen mit Einkommen zu wenig Erwerbseinkommen oder Arbeitslosengeld, um zumindest das Allernötigste zum Überleben zu haben. Die dritte Gruppe der Mindestsicherungsbezieher:innen mit Einkünften sind u.a. Bezieher:innen von Unterhaltszahlungen.
Die geläufige Meinung, in der Sozialhilfe befänden sich nur Menschen, die nicht arbeiten (wollen), ist falsch. Denn die nicht-erwerbstätigen Mindestsicherungsbezieher:innen können in 6 von 10 Fällen dem Arbeitsmarkt gar nicht zur Verfügung stehen: Nicht ganz zwei Drittel (64 %) davon sind Menschen, die zu jung oder zu alt für Erwerbsarbeit sind. Ein weiteres Drittel sind Menschen, die sich um pflegebedürftige Angehörige oder Kinder kümmern, selbst noch in Ausbildung und nicht arbeitsfähig sind, oder sich in Abklärung ihrer Arbeitsfähigkeit befinden.
Die Mindestsicherung sollte als letztes Netz im Sozialstaat Österreich dienen. Die große Zahl an Aufstocker:innen, zeigt jedoch, dass die Mindestsicherung auch dort hilft, wo andere Sozialleistungen versagen. Das Arbeitslosengeld selbst sollte eine existenzsichernde Wirkung haben, verfehlt diese jedoch regelmäßig. Zudem sollten Junge und Alte auch ohne Mindestsicherung, etwa durch Pensionszahlungen und Unterhalt. abgesichert sein, um nicht Gefahr zu laufen, ihr Hab und Gut zu verlieren oder keine sichere Zukunft aufzubauen.
1 Die absoluten Zahlen der weiblichen und männlichen Mindestsicherungsbezieher:innen und der Kinder, die in Mindestsicherung leben summieren sich nicht auf die Gesamtzahl der Mindestsicherungsbezieher:innen, weil Daten aus dem Bundesland Vorarlberg zu den Kategorien „Frauen“, „Männer“, „Kinder“ fehlen.
2 In manchen Bundesländern können noch zusätzliche Leistungen wie zum Beispiel zur Deckung der Wohnkosten bezogen werden. Eine Härtefallklausel erlaubt es, in einzelnen Fällen noch zusätzliche Leistungen zuzuerkennen.
3 Die Statistik der Mindestsicherung rechnet teilt die Menschen mit Voll- und Teilbezügen in sogenannte „Bedarfshaushalten“. Sie werden wie folgt definiert: „Eine Bedarfsgemeinschaft kann eine oder mehrere Personen umfassen; ein Haushalt kann aus mehr als einer Bedarfsgemeinschaft bestehen.“ (Statistik Austria 2021). Grundsätzlich gelten alle Personen, die in einem Haushalt leben als Bedarfsgemeinschaft, Ausnahmen davon gibt es zum Beispiel bei Personen, die in einer Wohngemeinschaft leben (Sozialberatung Wien 2021). Vereinfachend werden im Fließtext auf Bedarfsgemeinschaften durch den Begriff Haushalte verwiesen.