Eigentlich sollte in unserer Gesellschaft ja gelten: Wer mehr hat, trägt auch mehr bei zum gemeinsamen Haushalt. Wer wenig hat, muss ohnehin jeden Euro zweimal umdrehen – inmitten der größten Teuerungskrise seit Jahrzehnten erst recht – und sollte auch niedrigere Steuersätze zahlen. Die Praxis sieht in Österreich allerdings anders aus. Arbeit wird hierzulande hoch besteuert, jede Pflegerin, jeder Paketbote, jede Putzkraft zahlt rund ein Drittel ihres Einkommens an Steuern und Abgaben. Wer mehr verdient, zahlt – fairerweise – zwar auch höhere Steuern auf seine Arbeit. Ganz anders ist es aber bei jenen, die sich zurücklehnen und Geld für sich arbeiten lassen können. Sie tragen nur wenig zur gemeinsamen Kasse bei: Einkommen aus Erben ist fast völlig steuerfrei. Wer viel Geld besitzt, muss davon nichts abgeben. Großgrundbesitzer zahlen auf ihren Grund und Boden so wenig Grundsteuer, dass es im internationalen Vergleichen lächerlich peinlich ist.
Ausgerechnet während immer mehr Menschen nicht wissen, wie sie die nächste Mieterhöhung, die nächste Gas- oder Stromrechnung stemmen sollen, haben die Reichsten im Lande saftige Steuergeschenke wirklich nicht nötig – würde man meinen. Und dennoch bekommen sie eines nach dem anderen vom Finanzminister serviert: Von der beschlossenen Senkung der Steuern auf Unternehmensgewinne profitieren vor allem die reichsten zehn Prozent der Bevölkerung, am meisten aber die wenigen superreichen Unternehmensbesitzer im Land. Damit nicht genug, das Lieblingsprojekt des Finanzministers ist im Koalitionsvertrag verankert und wartet auf die Umsetzung: die Abschaffung der Kapitalertragssteuer für Aktionäre und Anleger, kurz Aktien-KESt. Noch schieben die Grünen die Abschaffung hinaus. Doch wie lange noch?
Wer bisher mit Aktien spekuliert und diese mit Gewinn verkauft hat, musste das Einkommen daraus versteuern. Der Steuersatz auf Kapitalerträge aus Wertpapieren liegt bei 27,5 Prozent und zwar unabhängig von der Höhe des Aktien-Einkommens. Aber wer, wie die meisten im Land, jeden Tag arbeiten geht und so sein Geld verdienen muss, zahlt bis zu 43 Prozent Steuern. Der Vorstoß des Finanzministers würde nun bedeuten, dass Gewinne aus Aktien– und Anteilsverkäufen nach einer gewissen Behaltefrist, also wenn die Wertpapiere zumindest eine gewisse Zeit gehalten wurde, gänzlich steuerfrei wären. Verkauft also etwa Mark Mateschitz, der Sohn von RedBull-Gründer Didi Mateschitz, seine milliardenschweren Anteile an RedBull verkauft, bezahlt er keinen Cent mehr an Kapitalertragsteuer.
Ein Blick in die Daten zeigt: Personen mit geringem Einkommen besitzen de facto keine Aktien oder Fonds, unter den Besser- und Topverdiener:innen sind es deutlich mehr. Nur jeder Hundertste mit ganz wenig Vermögen besitzt Fonds mit Aktien oder Wertpapieren. Im Fünftel der Haushalte mit den höchsten Vermögen ist es jeder Vierte. Zugute kommt die Abschaffung der Aktien-KESt also überwiegend Menschen mit hohen Einkommen und hohem Vermögen. Dazu kommt, dass gerade die Portfolios von Vermögenden deutlich mehr wert sind und ihre realisierten Kursgewinne aus den Aktienverkäufen exponentiell höher liegen.
Geht es nach den Wünschen des Finanzministers, dürfen sich also Reiche über ein weiteres Steuergeschenk freuen. Das wird für uns alle wieder einmal teuer: 200 bis 300 Millionen Euro kostet es unsere Staatskasse pro Jahr, wird die Steuer auf Kapitalerträge aus Wertpapieren abgeschafft. Letztes Jahr sollen es sogar über 700 Millionen gewesen sein, weil der Aktienmarkt 2021 wie eine Blase künstlich aufgebläht wurde.
Gäbe es die Steuer nicht, würde der Regierung dieses Geld in der Teuerungskrise fehlen, um es den Menschen zu geben, die nicht mehr wissen, wie sie ihre Wohnung heizen sollen. Doch nicht nur das. Die Einnahmen fehlen dem Staat auf Jahre hinaus in der Pflege, Bildung, beim Klima. Wollen wir die Herausforderungen der nächsten Jahre stemmen, sollte es in die andere Richtung gehen: Beiträge zum gemeinsamen Staatshaushalt aus Aktienspekulation sollten steigen, höhere Aktiengewinne sogar höher besteuert werden als nur mit 27,5 Prozent. Denn unsere Arbeit ist für die Gesellschaft viel nützlicher als Aktienspekulation. Sie erschafft unseren Wohlstand, bereichert die Gesellschaft. Und nicht nur das Privatvermögen Einzelner.
Dieser Text erscheint zunächst als Gastkommentar bei „Zack Zack“.
Berichtigung: Im Beispiel zu RedBull wurde das Wort Aktien zu Anteilen verändert, weil Red Bull als Gesellschaft mit beschränkter Haftung und nicht als Aktiengesellschaft organisiert ist.