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Null-Lohnrunden schaden allen

Oliver Picek
10. Juni 2025
Null-Lohnrunden schaden allen

Die Diskussion um Löhne und Gehälter entzündet sich regelmäßig an der Frage, ob Beschäftigte „maßhalten“ sollten, insbesondere in wirtschaftlich angespannten Zeiten. Wirtschaftsliberale Ökonom:innen und Vertreter:innen der Industrie fordern oft Lohnzurückhaltung, begründet mit der Behauptung, die Löhne seien zuletzt schneller gestiegen als die Produktivität. Doch ein genauer Blick auf die Zahlen zeigt ein differenziertes Bild.

Seit Mitte der 1990er Jahre wuchs die Produktivität in Österreichs Industrie deutlich schneller als die Löhne. Denn es wird die gesamtwirtschaftliche Produktivität als Maßstab genommen, die stets niedriger ausfällt als jene speziell in der Industrie – ein Fakt, den die Arbeitgeberseite in wirtschaftlich guten Zeiten nicht infrage stellte. Erst in jüngerer Zeit konnten die Reallöhne etwas aufschließen, nachdem sie jahrelang zurückblieben. Es ist daher ökonomisch durchaus gerechtfertigt, wenn sich in Krisenzeiten dieses Verhältnis zugunsten der Beschäftigten verschiebt.

Österreichs Industrie gehört seit Jahrzehnten zu den erfolgreichsten in Europa. Gerade seit dem Jahr 2000 zählt Österreich regelmäßig zu den Ländern mit der stärksten industriellen Dynamik. Selbst nach dem pandemiebedingten Rückschlag zeigte sich die Industrie robust – bis externe Faktoren wie der Ukrainekrieg und explodierende Energiepreise den Aufschwung abrupt stoppten. Weder Löhne noch Gehälter waren für diesen Rückschlag ursächlich. Vielmehr lagen die Probleme in externen Schocks und teilweise auch in Fehleinschätzungen auf Managementebene.

Die Folgen wirtschaftlicher Krisen werden dennoch oft zuerst von den Beschäftigten getragen: Arbeitszeitreduktionen, sinkende Überstundenmöglichkeiten und steigende Arbeitslosigkeit drücken auf die Einkommen und damit die Kaufkraft. Eine weitere Drosselung der Löhne würde diese negative Spirale nur weiter verschärfen. Wenn Preise steigen, aber die Einkommen nicht Schritt halten, verlieren Arbeitnehmer:innen real an Kaufkraft. Das trifft nicht nur einzelne Haushalte hart, sondern auch die gesamte Wirtschaft. Sinkt die Kaufkraft, leidet die ohnehin fragile Binnennachfrage. Steigende Exporte – erkauft durch niedrige Löhne – können diesen Verlust nicht auffangen.

Hinzu kommt, dass eine Lohnzurückhaltung die soziale Ungleichheit weiter verschärfen könnte. Gerade Menschen mit niedrigeren Einkommen geben den Großteil ihres Gehalts für lebensnotwendige Güter wie Lebensmittel, Wohnen und Energie aus. Steigende Preise treffen sie daher überproportional stark. Wird kein Ausgleich geschaffen, vergrößert sich der Abstand zwischen wohlhabenden und einkommensschwachen Gruppen weiter, was gesellschaftlichen Zusammenhalt und wirtschaftliche Stabilität gleichermaßen gefährdet.

Denn ein angemessener Teuerungsausgleich für die Beschäftigten stärkt die Nachfrage und unterstützt somit auch die wirtschaftliche Stabilität. Gerade nach Jahren der zurückhaltenden Lohnentwicklung wäre es sinnvoll, den Beschäftigten zumindest einen Inflationsausgleich zu ermöglichen. Denn faire Löhne sorgen dafür, dass die Wirtschaft insgesamt robuster bleibt – ein Vorteil, der letztlich allen zugutekommt.

 

Dieser Text erschien zunächst als Gastkommentar im Kurier.

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