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Sozialleistungen: Die unvollendete Anpassung an die Teuerung

Jakob Sturn
07. Januar 2023
Sozialleistungen: Die unvollendete Anpassung an die Teuerung

Es war ein turbulentes Jahr: Der Krieg in der Ukraine und die folgende Energiekrise traten die höchsten Preissteigerungen seit fast 50 Jahren los. Die Geldbörsen der Bevölkerung hielten damit nicht Schritt – desto länger das Jahr, desto mehr Menschen konnten sich selbst Alltägliches nicht mehr leisten. Reagiert hat die Bundesregierung darauf zunächst mit Einmalzahlungen. Vor allem bei den Ärmsten im Land waren diese zwar wichtig, aber der sprichwörtliche Tropfen auf dem heißen Stein: Sie sind schneller wieder verpufft, als die nächste Gasrechnung, Stromrechnung oder Mieterhöhung im Postkasten liegt.

Anpassung mit Schönheitsfehler

Schließlich konnte sich die Regierung zu zwei strukturellen Reformen durchringen. Von der Abschaffung der kalten Progression profitieren vor allem Menschen mit hohen Einkommen. In der größten Teuerungskrise seit Jahrzehnten hilft das am wenigsten jenen, die es am meisten brauchen.

Die zweite Reform ist ein Meilenstein. Sozialleistungen wachsen seit 1. Jänner mit der Teuerung mit. Der automatische jährliche Kaufkraftverlust soll so gestoppt werden. Das kommt der richtigen Gruppe zugute, hilft Ärmeren und der Mittelschicht deutlich mehr als Reichen. Denn sie trifft die Teuerung am stärksten.

Allerdings gibt es ein paar Schönheitsfehler: Angepasst werden die Sozialleistungen erst mit großer Verzögerung, sie hinken der Teuerung gewaltig hinterher. Wer auf Sozialleistungen angewiesen ist, bekommt das deutlich zu spüren: Das ganze vergangene Jahr über hatten wir mit explodierenden Preisen zu kämpfen, die Sozialleistungen verloren immer weiter an Wert. Ausgeglichen wird dieser Wertverlust aber erst 2023. Die Inflation zieht quasi im Railjet davon, die Sozialleistungen trödeln auf dem Fahrrad hinterher. Und zwar mit Verspätung, denn der für die Erhöhung maßgebliche Anpassungsfaktor beträgt für das Jahr 2023 nur 5,8 Prozent. Die aktuelle Inflationsrate ist mit 10,2 Prozent aber bereits fast doppelt so hoch, die Wertanpassung also viel zu gering. Der Grund dafür: Basis für die Anpassung bildet die durchschnittliche Inflationsrate von August 2021 bis Juli 2022. Ein beträchtlicher Teil der enormen Preissteigerungen des vergangenen Jahres ist darin noch nicht enthalten.

Sozialleistungen verloren schon Jahre davor an Wert

Dazu kommt, dass die Teuerung nicht plötzlich mit Jahreswechsel verschwindet. Die Inflationsraten bleiben hoch, der soeben zaghaft zugekittete Wertverlust vom Vorjahr reißt 2023 schon wieder auf. Für viele Familien in Österreich, die selbst mit Familienbeihilfe jeden Euro zweimal umdrehen müssen, ist das besonders schmerzhaft.

Beide Augen fest verschlossen hat die Regierung davor, dass Sozialleistungen schon in den Jahrzehnten vor der akuten Teuerung ordentlich an Wert eingebüßt hatten. Schon in der Vergangenheit wurden Sozialleistungen zu selten und nicht ausreichend an die Teuerung angepasst. Die Kaufkraft der Familienbeihilfe fällt heute damit um ein Viertel geringer aus als noch vor 20 Jahren. Ausgeglichen wird dieser Wertverlust nicht. Lediglich ein weiterer Verlust verhindert.

Dabei gilt immer noch: Viele Sozial- und Versicherungsleistungen sind für die Menschen, die sie benötigen, weder armuts- noch krisenfest. Wer Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe bezieht, schaut überhaupt komplett durch die Finger: Während andere Sozialleistungen zumindest in Zukunft mit der Teuerung mitwachsen, lässt die Anpassung für diese beiden Leistungen vergeblich auf sich warten. Wer Anfang letzten Jahres gekündigt wurde, hatte schon im Dezember 16 Prozent weniger Arbeitslosengeld zur Verfügung als zu Beginn der Arbeitslosigkeit.

Leistungen halbjährlich anpassen

Schwierig zu lösen wären diese Probleme nicht: Sozialleistungen – inklusive Arbeitslosengeld und Notstandshilfe – sollten, zumindest in Zeiten hoher Teuerung, öfter an die steigenden Preise angepasst werden, etwa halbjährlich. Dann würde der Abstand zwischen Teuerung und Sozialleistungen erst gar nicht so weit auseinanderklaffen, dass er viele Familien vor Probleme stellt. Komplett flicken können wir die Löcher in unserem sozialen Netz allerdings nur, wenn wir wirklich alle Sozialleistungen über die Armutsschwelle heben. Die Sozialhilfe, durchschnittliche Notstandshilfe, und die Mindestpension liegen noch um mehrere Hundert Euro im Monat darunter. Dafür wäre es höchste Zeit, leisten können wir uns das in einem reichen Industrieland in Österreich ohne Frage.

 

Dieser Text erschien zunächst in der Momentum-Kolumne „Ausgerechnet“ bei ZackZack.

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