Frau im Supermarkt als Symbolbild für Teuerung bei Lebensmittel und Energiekosten
/ 18. Mai 2022

Um Haushalte bei der steigenden Teuerung zu unterstützen, empfiehlt das Momentum Institut entweder eine zeitweise Senkung der Mehrwertsteuer auf (Grund-)Nahrungsmittel oder eine Anhebung der Verkehrs- und Pensionistenabsetzbeträge samt Sozialversicherungsrückerstattung. Außerdem sollten Sozialleistungen inflationsangepasst werden. Eine Abschaffung der Kalten Progression würde dagegen vor allem Haushalten mit höheren Einkommen zugute kommen. 

 

Teuerung: Studie zur Verteilungswirkung von Unterstützungsmaßnahmen

Die anhaltende Teuerung – insbesondere bei Energiekosten und Lebensmitteln – macht weitere Unterstützungsmaßnahmen notwendig. Das Momentum Institut hat in einer aktuellen Studie derzeit diskutierte Maßnahmen analysiert. Im Fokus der Untersuchung standen dabei zwei Fragen:

  1. Werden Haushalte mit niedrigen Einkommen, die unter der Teuerung bei der Energie und Lebensmitteln am meisten leiden, unterstützt?
  2. Wie verteilen sich die Unterstützungsleistungen nach Einkommen?

Welche Maßnahmen eignen sich zur Unterstützung von niedrigen Einkommen?

Familienbeihilfe, Studienbeihilfe und Pflegegeld haben in den letzten 20 Jahren deutlich an Kaufkraft eingebüßt. Die zwischenzeitlichen Anhebungen haben zu keiner Zeit die Kaufkraftverluste durch die Teuerung ausgeglichen. Kinder, Studierende und Pflegebedürftige werden somit weniger unterstützt als noch vor 20 Jahren. Diese inflationsbedingten Kaufkraftverluste könnte man über eine Valorisierung wettmachen. Die Sozialleistungen müssten dabei soweit angehoben werden, dass ihre Kaufkraft wieder der von vor 20 Jahren entspricht. Laut Mikrosimulation würde diese Valorisierung von Familienbeihilfe und Pflegegeld rund EUR 2 Mrd. kosten. Haushalte mit niedrigen Einkommen würden davon besonders profitieren.

Abbildung 1: Die Verteilungswirkung einer Valorisierung von Familienbeihilfe und Pflegegeld als Maßnahme gegen die Teuerung. In absoluten Beträgen, als auch relativ zum Einkommen, profitieren Haushalte mit niedrigen Einkommen stärker. 

Von der Valorisierung profitieren allerdings nur Familien mit Kindern und pflegebedürftigen Menschen. Auch eine weitere Erhöhung des Teuerungsausgleichs, der Einmalzahlung für Haushalte mit niedrigen Einkommen, die bereits Ende 2021 und Anfang 2022 beschlossen wurde, steht deshalb im Raum. Kosten würde eine Neuauflage mit EUR 200 pro Haushalt rund EUR 140 Mio. Problematisch ist dabei allerdings, dass der Bezieher:innenkreis sehr eng definiert ist. Rund die Hälfte der armutsgefährdeten Haushalte würde gar nicht von der Neuauflage profitieren.

Abbildung 2: Anteil der Haushalte, die vom Teuerungsausgleich profitieren. Am meisten Haushalte profitieren in der Gruppe der armutsgefährdeten Haushalte. Trotzdem profitiert dort nur rund die Hälfte.

 

Die nachhaltigste Lösung zur Unterstützung von Menschen mit niedrigen Einkommen gegen die Teuerung wäre deshalb eine Aufstockung der Sozialleistungen. Konkret könnte man die Mindestpension und die Mindestsicherung/Sozialhilfe an die Armutsgefährdungsgrenze heranführen und die Nettoersatzrate des Arbeitslosengeldes auf 70 Prozent anheben. Wo würde man Haushalte mit niedrigen Einkommen nachhaltiger unterstützen und die Sozialleistungen armutsfest machen. 

Welche Maßnahmen eignen sich zur breiteren Unterstützung der unteren Einkommenshälfte?

Die Teuerung trifft mehr und mehr nicht nur die niedrigsten Einkommen, sondern kommt immer mehr auch in der Mittelschicht an. Rufe nach breiteren Unterstützungsmaßnahmen werden daher immer lauter. Anhand der Studienergebnisse lässt sich sagen, dass es hier zwei Möglichkeiten gibt:

Erstens könnte die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel gesenkt werden. Eine Halbierung der Mehrwertsteuer würde rund EUR 750 Mio. kosten. Der Vorteil wäre hier, dass fast alle Haushalte davon profitieren würden – denn alle müssen Lebensmittel kaufen. Auch die niedrigsten Einkommen würden davon also profitieren. Dazu kommt, dass die Ausgaben für Lebensmittel vergleichsweise gleichmäßig über die Einkommensgruppen verteilt sind. Insgesamt führt das dazu, dass zwar die absolute Steuersenkung mit dem Einkommen steigt. Relativ zum Einkommen sinkt die Unterstützung aber mit steigendem Einkommen. Haushalte mit niedrigen Einkommen profitieren im Verhältnis zu ihrem Einkommen am stärksten.

Abbildung 3: Die Verteilungswirkung einer Halbierung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. In absoluten Beträgen steigt die Unterstützung leicht mit dem Einkommen: Hohe Einkommen profitieren also etwas stärker. Gleichzeitig werden im Verhältnis zu ihrem Einkommen aber Haushalte mit niedrigen Einkommen stärker unterstützt. 

Wichtig wäre allerdings, eine wissenschaftliche Begleitforschung durchzuführen, die etwa mittels Scannerdaten von Supermärkten überprüft, wie die Preissenkungen an Konsumten:innen weitergegeben werden. Forschungsergebnisse aus Deutschland stimmen hier aber prinzipiell positiv: Während der Corona Pandemie wurden die Mehrwertsteuersenkungen auf Lebensmittel in Deutschland recht vollständig an Konsument:innen weitergegeben. 

Alternativ zur Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel könnten auch der Verkehrsabsetzbetrag, der Zuschlag zum Verkehrsabsetzbetrag, der Pensionistenabsetzbetrag und der erhöhte Pensionistenabsetzbetrag angehoben werden, etwa um EUR 150. Lohn- und Einkommensteuerpflichtig müssten dadurch weniger Steuer zahlen. Diese Absetzbeträge sind außerdem negativsteuerfähig. Das bedeutet, wenn man keine oder nur sehr wenig Lohn- oder Einkommensteuer zahlt, bekommt man einen Teil der Sozialversicherungsbeiträge rückerstattet, um so den vollen Absetzbetrag ausschöpfen zu können. Deshalb ist eine zusätzliche Anhebung der SV-Rückerstattung sinnvoll. Denn so profitieren auch Menschen mit einem niedrigeren Einkommen. 

Abbildung 4: Die Verteilungswirkung einer Anhebung der Verkehrs- und Pensionistenabsetzbeträge samt SV-Rückerstattung. Haushalte mit niedrigen Einkommen würden im Verhältnis zu ihrem Einkommen stärker profitieren – auch wenn Haushalte mit höheren Einkommen in absoluten Werten stärker profitieren.

Kosten würde diese Maßnahme rund EUR 700 Mio. Die Verteilungswirkung ist dabei ähnlich wie bei der Senkung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel. Allerdings steigt die Unterstützung stärker mit dem Einkommen an und auch relativ zum Einkommen betrachtet profitieren niedrige Einkommen weniger stark. Das liegt in erster Linie daran, dass Menschen mit einem sehr niedrigen Einkommen oft keine Lohn- und Einkommensteuer zahlen. Zwar wird das durch die SV-Rückerstattung teilweise aufgewogen. Zahlt jemand jedoch aufgrund eines sehr niedrigen Einkommens auch kaum Sozialversicherungsbeiträge, so ist die Unterstützung hier trotzdem gering. 

Als Maßnahme gegen die Teuerung nicht geeignet: Die Abschaffung der Kalten Progression

Die Abschaffung der Kalten Progression ist dagegen laut den Studienergebnissen kaum zur Unterstützung gegen die hohe Teuerung geeignet. Untersucht wurde hier eine Indexierung der Tarifstufen und der Verkehrs- und Pensionistenabsetzbeträge samt SV-Rückerstattung. Die Inflationsanpassung der Tarifstufen bringt dabei höheren Einkommen deutlich mehr als niedrigen Einkommen – sowohl absolut als auch relativ zum Einkommen. Das liegt daran, dass von der Indexierung der Tarifstufen nur Haushalte profitieren, die auch von der jeweiligen Tarifstufe betroffen sind. Während Haushalte mit einem (sehr) hohen Einkommen von (fast) allen Tarifstufen betroffen sind, sind Haushalte mit einem niedrigen Einkommen entweder von gar keiner oder von weniger Tarifstufen betroffen. Von der Indexierung der höheren Tarifstufen würden sie also nicht profitieren. Ihnen kann man mit der Abschaffung der Kalten Progression also nicht wirklich bei der hohen Teuerung helfen – und das obwohl die Maßnahme mit EUR 850 Mio. teurer wäre als die Mehrwertsteuersenkung auf Lebensmittel oder eine Anhebung von Verkehrs- und Pensionistenabsetzbeträgen. 

Abbildung 5: Die Verteilungswirkung einer Abschaffung der Kalten Progression. Die obere Mittelschicht und hohe Einkommen profitieren sowohl absolut als auch relativ zu ihrem Einkommen am stärksten. 
 

Fazit: Gezielte Unterstützung für niedrige Einkommen und sozial ausgewogene Kaufkraftstärkung für die (untere) Mittelschicht

 

Aufgrund der Studienergebnisse empfehlen wir einen Maßnahmen-Mix zur Unterstützung der Haushalte gegen die Teuerung.

Konkret bedeutet das:

/   Valorisierung von Studienbeihilfe, Familienbeihilfe und Pflegegeld, sowie eine Anhebung von Mindestsicherung/Sozialhilfe, Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Ausgleichszulagenrichtsatz. Damit können insbesondere auch Menschen, deren Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle liegen und die bisher noch nicht vom Teuerungsausgleich profitieren, unterstützt werden. 

/    Eine temporäre Senkung der Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel, bis die aktuell steigenden Nahrungsmittelpreise wieder sinken. Sie könnte sich auch auf Grundnahrungsmittel beschränken, auch wenn das einen gewissen administrativen Aufwand mit sich brächte. Als Alternative zur Mehrwertsteuer-Senkung auf Nahrungsmittel könnte eine Anhebung der Verkehrs- und Pensionistenabsätzbeträge sowie der SV-Rückerstattung im Einkommensteuersystem erfolgen. Die Mehrwertsteuersenkung würde sich dabei gleichmäßiger auf die Einkommensgruppen verteilen als die Anhebung der Absetzbeträge. Allerdings ist die Weitergabe an die Endverbraucher:innen hier nicht garantiert. Es bräuchte hier somit beispielsweise eine engmaschige Kontrolle mittels Supermarkt-Scannerdaten, um die Weitergabe der Steuersenkung auf die Endverbraucher:innen zu kontrollieren. Mittels der Mehrwertsteuer-Senkung lassen sich jedoch mehr Haushalte erreichen als mittels eine Einkommensteuer-Senkung, weil nicht jeder steuerlich erfasst ist.

 

Die gesamte Studie gibts's hier zum Download:
 

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