Wohnen, Energie, oder in der Freizeit? Wo Österreichs Haushalte die derzeit höhere Inflation zu spüren bekommen ist nicht bei allen gleich. Je nach Konsumverhalten machen sich die steigenden Preise in gewissen Bereichen mehr bemerkbar als in anderen. Die Inflation ist seit Frühjahr 2021 höher, als wir das aus den letzten Jahren gewohnt waren. Die Gründe dafür sind leicht zu finden, dennoch wird das Thema derzeit verstärkt für ideologische Zwecke missbraucht und Zinserhöhungen seitens der EZB gefordert. Das würde aber nicht mal zur Symptombekämpfung taugen.
Der Ausgangspunkt der steigenden Preise ist bereits im Jahr 2020 zu finden: im Zuge der ersten Lockdowns im Frühjahr brach der Ölpreis stark ein. Generell brachte das erste Krisenjahr eine geringe Teuerung von 1,4 Prozent im Jahresdurchschnitt mit sich. Die Rückkehr des Ölpreises auf das Vorkrisenniveau fand im Frühjahr 2021 statt. Ab diesem Zeitraum setzten auch erstmals steigende Inflationsraten ein.
In den Frühjahrs- und Sommermonaten traten in einigen Bereichen statistische Effekte auf, die die Inflationsrate nach oben trieben – sogenannte Basiseffekte. Dazu trugen einerseits verschobene Abverkaufszeitpunkte im Handel bei. Im Möbelhandel etwa finden diese üblicherweise in den Sommermonaten statt. Nach den ersten Öffnungen im Mai 2020 wollte die Branche die Kund:innen gleich mit Angeboten locken. Der Abverkauf fand im ersten Krisenjahr also schon im Mai statt. Ein Jahr später wurde hingegen wieder das gewohnte Muster angewandt. Wie wirkt sich das auf die Teuerung aus? Die Berechnung der Inflationsrate basiert auf einem Vergleich des jetzigen Preisniveaus mit dem Vorjahresmonat. Waren die Preise dort besonders niedrig, erscheint auch die Steigerung umso extremer – man nennt dies „Basiseffekt“. Dieses Phänomen trat etwa im Möbel- oder Bekleidungshandel auf.
Weitere Basiseffekte waren in den Bereichen Energie und Treibstoff zu beobachten. Dort herrschten bis ins Frühjahr 2021 besonders niedrige Preise vor, dann begann der statistische Effekt zu wirken. Ausgehend von März 2021 lassen sich Monat für Monat Anstiege von teils über 20 Prozent beobachten. Im Bereich Gas stieg die Teuerung erstmals im August auf über fünf Prozent. Sowohl Treibstoffe als auch Energie haben ein hohes Gewicht im Warenkorb (3,5 bzw. 3,8 Prozent im Jahr 2021). Dementsprechend stark ist auch ihr Einfluss auf die gesamte Inflationsrate. Um diesen besser zu verstehen, eignet sich der Vergleich mit der Kerninflation. Bei dieser werden die Preise für Energie und Lebensmittel herausgerechnet. Die offizielle Inflationsrate nach dem harmonisierten Verbraucherpreisindex (HVPI) und die Kerninflation weichen vor allem in den letzten paar Monaten stark voneinander ab.
Ein weiterer wesentlicher Faktor für die gestiegenen Preise sind weltweite Angebotsknappheiten und Lieferengpässe. Für jeden Rohstoff und jedes Produkt lässt sich eine eigene Geschichte erzählen. Etwa für Bauholz, das im Pandemiejahr verstärkt in die USA exportiert wurde, begünstigt durch den dortigen Bau- und Heimwerker:innen-Boom, sowie Schädlingsbefall in Kanada. Mitte 2021 brachen die Preise ein, stiegen mittlerweile aber wieder an.
Die Pandemie brachte auch einen Digitalisierungsschub mit sich, der die Nachfrage nach Halbleitern und Mikrochips erhöhte. Hier herrschen bis heute Lieferverzögerungen, die etwa die Automobilindustrie stark treffen. Für derartige Chips werden um die 300 verschiedenen Stoffe benötigt, auch diese Komponenten werden dadurch stärker nachgefragt. Viele dieser Gase und Edelmetalle werden aus Russland und der Ukraine importiert. Der Krieg wird sich negativ auf die Produktion in beiden Ländern auswirken und könnte damit die Halbleiterkrise verschärfen.
Generell verschob sich das Konsumverhalten seit Pandemiebeginn. Vor allem in den Lockdownmonaten wurden weniger Dienstleistungen und mehr Güter nachgefragt. In vielen Bereichen, etwa bei Möbeln, konnte diese Nachfrage nicht direkt bedient werden. Diese Angebotsknappheiten hatten Lieferverzögerungen zu Folge, die auch durch Faktoren wie Arbeitskräfteausfälle durch Corona, Einreisebeschränkungen und die Verstopfung des Suez-Kanals verschärft wurden. Nach wie vor läuft der Welthandel also weniger rund als vor der Pandemie, die Lieferverzögerungen werden in den Containerpreisen sichtbar.
Wie stark sich Lieferengpässe auf die Preisentwicklung durchschlagen, zeigt sich am Beitrag dieser Güter zur Inflationsrate. Von der Inflationsrate von 5,8 Prozent im Februar sind 1,3 Prozentpunkte auf Güter mit Lieferengpässen zurückzuführen. Der Beitrag der restlichen Güter ist mit 0,5 Prozentpunkten nicht einmal halb so groß. Der Einfluss der Lieferengpässe ist auch am Verhältnis der beiden Gruppen über die vergangenen Jahre hinweg zu erkennen. So ist seit dem Vorjahr der Beitrag der Gruppe der Güter mit Lieferengpässen auf die Inflation im Verhältnis deutlich größer als jener der Güter ohne Lieferengpässe.
Der derzeitige Hauptfaktor schlechthin wirkt seit Mitte 2021 – und das immer stärker: die gestiegenen Gaspreise. Wie es dazu kommen konnte und warum die Gasspeicher in Europa derzeit schlecht gefüllt sind, hat mehrere Gründe. Diese reichen von der mittlerweile eskalierten Aggression Russlands gegenüber der Ukraine, bis hin zu einem überdurchschnittlich heißen Sommer in China, der dort den Gasverbrauch für Klimaanlagen steigen ließ. Der letztliche Ausbruch des Ukrainekrieges hat die Situation um die Gaspreise im Jahr 2022 weiter verschärft, eine Entspannung ist nicht in Sicht. Im Februar 2022 tragen die Preise für Energie und Treibstoffe zwei Prozentpunkte zur Inflation von 5,8 Prozent bei. Es gibt aber auch noch andere Bereiche, in denen interessante Dynamiken vorherrschen.
So zeigt sich seit Jänner 2022 ein erhöhter Beitrag im Bereich Gastronomie und Hotellerie. Ganze 0,9 Prozentpunkte der Inflation im Februar sind darauf zurückzuführen. Zu tun hat das vor allem mit dem Auslaufen des reduzierten Umsatzsteuersatzes (Rückkehr von 5 Prozent auf 10 Prozent) in der Branche. Diese Erhöhung schlug sich direkt in höheren Preisen nieder. Umgekehrt war die Reduktion im Jahr 2020 für die Verbraucher:innen aber nicht spürbar, sondern kam einseitig den Betrieben zu Gute.
Ebenso gestiegen sind zuletzt die Preise für Lebensmittel. Darunter vor allem für Brot, Fleisch und Gemüse. Dies hängt auch mit den gestiegenen Weltmarktpreisen für Weizen (Brotherstellung), Soja (Futtermittel) und Düngemittel zusammen.
Im Februar kam es außerdem zu einem kräftigen Sprung beim Beitrag der anderen Güter. Hier läge schnell die Vermutung nahe, die Inflation und steigenden Energiekosten machten sich bereits in den Güterpreisen bemerkbar. Hier gilt es aber aufzupassen, denn der Hauptgrund für den Anstieg sind wieder einmal Basiseffekte. Im Jahr 2021 herrschte ab der zweiten Februarwoche nur mehr Teillockdown, der Handel durfte also öffnen. Dementsprechend wurden Kund:innen wieder mit Abverkäufen gelockt. Typischerweise finden diese nach Weihnachten im Jänner statt, so auch heuer. Es wird hier also, wie bereits im Frühjahr 2021, ein Abverkaufsmonat mit einem gewöhnlichen Geschäftsmonat verglichen. Abermals führt dies zu Basiseffekten: die Preise für Möbel und Bekleidung tragen im Februar jeweils 0,2 Prozentpunkte zur Inflationsrate bei. Das ist fast ein Drittel des Beitrags der gesamten anderen Güter.
Die unterschiedlichen Entwicklungen in den einzelnen Teilbereichen implizieren, dass nicht alle Haushalte in Österreich in gleichem Ausmaß von der Teuerung betroffen sind. Je nach Konsumstruktur unterscheidet sich die „persönliche Inflationsrate“. Gibt ein Haushalt einen größeren Anteil seines Einkommens für Bereiche aus, in denen die Preise stark gestiegen sind, bekommt er die Inflation auch umso stärker zu spüren. In den letzten Jahren waren es vor allem Haushalte mit niedrigem Einkommen, deren Inflationsrate konstant über der durchschnittlichen lag. Ärmere Haushalte geben anteilsmäßig mehr Geld für Wohnen, Energie und Lebensmittel. also die Deckung der Grundbedürfnisse, aus. Reichere Haushalte hingegen wenden mehr Geld für Bereiche wie Freizeit, Verkehr, oder die Gastronomie auf. In den Jahren vor Corona waren vor allem die Wohnkosten der große Preistreiber. Im Gegensatz zu den schwankenden Energie- und Treibstoffpreisen stiegen sie konstant an. Die Entwicklung der Mietpreise lag in den letzten zehn Jahren deutlich über jener des Verbraucherpreisindex. Haushalte mit wenig Einkommen leben häufiger in Miete. Kumuliert sahen sie sich zwischen 2005 und 2020 einer um fast drei Prozentpunkte höheren Teuerung gegenüber als das reichste Fünftel.
Im Jahr 2021 hat sich dieses Bild etwas gedreht. Die Treibstoffpreise stiegen an, was höhere Einkommen stärker trifft. Die Preisentwicklung bei den Mieten blieb eher verhalten, was auch mit der ausgesetzten Anpassung der Richtwertmieten im Jahr 2021 zu tun hat. So sind bei der aktuellen Inflation reichere Haushalte im Gesamten stärker betroffen als jene mit niedrigem Einkommen. Hier ist aber noch ein Blick auf die Komponenten der jeweiligen Teuerungsraten nötig.
Für das oberste Einkommensfünftel betrug die Inflation im Februar 6,1 Prozent. Davon ist mit 3,1 Prozentpunkten aber mehr als die Hälfte auf die Bereiche Verkehr, Freizeit und Gastronomie und Hotellerie zurückzuführen. Die Deckung der Grundbedürfnisse trug im obersten Fünftel lediglich 1,9 Prozentpunkte bei. Die Teuerung für reiche Haushalte rührt demnach also vor allem von den Preisen für Freizeitbeschäftigungen her. Diese lassen sich theoretisch aufschieben, die Haushalte können ihren Konsum adaptieren und den Preisentwicklungen anpassen. Anders sieht es für das unterste Einkommensfünftel aus.
Hier betrug die Inflationsrate im Februar zwar lediglich 5,5 Prozent. Die Preise für die Deckung der Grundbedürfnisse Wohnen, Energie und Lebensmittel trugen aber mit 2,4 Prozentpunkten fast die Hälfte zur Teuerung bei. Dabei handelt es sich um Ausgaben, die nicht aufgeschoben und auch schlechter adaptiert werden können. Haushalte mit wenig Einkommen kommen daran nicht vorbei. Dementsprechend macht sich die Teuerung bei den Dingen des täglichen Bedarfs besonders bei ärmeren Haushalten bemerkbar. Überhaupt am stärksten betroffen sind derzeit energiearme Haushalte. Diese liegen einerseits an oder unter der Armutsgefährdungsschwelle und sind gleichzeitig mit überdurchschnittlich hohen Energiekosten konfrontiert. Im Jänner lag deren durchschnittliche Inflationsrate bereits bei sechs Prozent.
Es zeigt sich also, dass sich die Entwicklung der Inflation im Jahr 2021 gut den einzelnen Komponenten zuordnen lässt. Noch spiegeln sich die gestiegenen Energie- und Treibstoffpreise nicht in den Preisen anderer Güter und Dienstleistungen wider. Das wird aber wohl in naher Zukunft der Fall sein, sofern kein treffsicherer Weg gefunden wird, Haushalte und Betriebe vor der hohen Energiekostenbelastung zu schützen.
Wenig Sinn machen würde eine Zinserhöhung seitens der Europäischen Zentralbank, wie sie aus manchen Ecken gefordert wird. Das erschwert einerseits wichtige Investitionen in erneuerbare Energien und die Verkehrswende. Zudem zeigt sich aus den Daten eindeutig, dass die Inflation nicht nachfragegetrieben ist, sondern von der Angebotsseite herrührt. Höhere Zinsen können weder den Ukraine-Krieg beenden, noch Rohstoff- und Materialknappheiten und Lieferengpässe beseitigen.
Wie aber den steigenden Preisen begegnen? Kurzfristig wären etwa Preisdeckel eine effiziente Möglichkeit. Was die langfristige Verteilung der Inflation angeht, sind eindeutig die Wohnkosten der konstante Preistreiber. Sie belasten seit Jahren Haushalte mit niedrigen Einkommen überproportional. Insbesondere am privaten Sektor droht sich eine Mietpreis-Spirale in Gang zu setzen. Um dauerhafte Realeinkommensverluste abzuwenden, ist der wohnpolitische Aspekt also von mindestens genauso großer Bedeutung wie die Energiepreissituation.