Eilig hatte es Arbeitsminister Martin Kocher seit Amtsantritt nicht. 15 Monate bastelte er an einer großen Reform des Arbeitslosengeldes. Gereicht hat es nicht einmal für ein Reförmchen: Letzte Woche wurde das Projekt endgültig abgeblasen. Dabei rollt eine Teuerungswelle durchs Land, die wir in dem Ausmaß seit Jahrzehnten nicht gesehen haben. Allein in den letzten drei Monaten verzeichnete die Statistik Austria den höchsten Mietanstieg seit Beginn der Aufzeichnungen. Das bereitet Familien in der Mittelschicht zu Recht schlaflose Nächte, wer auf Arbeitssuche ist, geht da in die Knie.
Arbeitslose Menschen gehören in Österreich traditionell zu den Ärmsten. Das ist politisch durchaus gewollt. Wer seinen Job verliert, steht über Nacht nur noch mit rund der Hälfte seines Einkommens da. Nur knapp über 1.000 Euro hat ein arbeitsloser Mensch im Schnitt im Monat, das ist weit unter der Armutsgrenze, die hierzulande bei fast 1.400 Euro liegt. Nun kommt die Teuerung obendrauf. Wer Anfang des Jahres gekündigt wurde, kann sich heute, kein Jahr später, durch den Verlust an Kaufkraft des Arbeitslosengeldes um fast 200 Euro weniger pro Monat leisten. Was bleibt über, als Schulden zu machen oder Rechnungen zu schieben? Jeder vierte arbeitslose Mensch ist mit seiner Miete im Rückstand. Besonders schwierig ist es für alle, die bereits länger als ein Jahr arbeitslos sind. 6 von 10 Langzeitarbeitslosen leben an oder unter der Armutsgrenze. In der Armutsfalle sitzen arbeitslose Menschen übrigens selten allein. Über 400.000 Kinder in Österreich, die in Armut aufwachsen, können davon ein Lied singen. Das alles beschreibt eine Armut, die wir politisch selbst schaffen. Eine Erhöhung des Arbeitslosengelds auf 70 Prozent ist bitter nötig. Die meisten anderen Sozialleistungen werden nun ja auch regelmäßig automatisch an die Teuerung angepasst.
Dass es anders geht, zeigt ein Leuchtturmprojekt in Niederösterreich. Die kluge Idee des lokalen AMS dort: Statt Arbeitslosigkeit finanzieren wir lieber Arbeit. Alle, die länger als neun Monate auf Jobsuche sind, bekommen eine bezahlte Stelle angeboten. Arbeit gibt es genug: In der Gemeinde, im Sozialbereich, in der Verwaltung. Niemand ist gezwungen, das Angebot anzunehmen, fast ausnahmslos alle tun es. Wer es nicht tut, schafft es in den meisten Fällen einfach gesundheitlich nicht mehr. Ein Teilnehmer des Projekts war länger als drei Jahre arbeitslos, verschickte in dieser Zeit mehr als 600 Bewerbungen. Die Hoffnung auf einen Job hatte er längst aufgegeben. Heute arbeitet er in der Gemeindebibliothek. Die positiven Ergebnisse lassen sich aber nicht nur am Einzelfall ablesen: Durch das Projekt ist die Langzeitarbeitslosenquote um 60 Prozent gesunken. Die gesamte Arbeitslosenquote um rund 20 Prozent. Wenn der Arbeitsminister Ideen sucht, für einen weiteren Reformanlauf: Es gibt genügend.
Dieser Text erschien zunächst als Gastkommentar im „Kurier“.