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Versteckte Armut: Sozialstaat schützt Frauen in Mehrpersonen-Haushalten am wenigsten

Sophie Achleitner
15. Oktober 2025
Versteckte Armut: Sozialstaat schützt Frauen in Mehrpersonen-Haushalten am wenigsten

Eine neue Studie der Caritas offenbart, dass gängige Berechnungsmethoden des Armutsrisikos jenes von Frauen, die mit anderen Personen in einem Haushalt leben, deutlich unterschätzt. 2024 haben Frauen und Männer in Österreich ein Armutsrisiko per Standarddefinition von 14 Prozent. Zieht man das individuelle Armutsrisiko von den Frauen in Mehrpersonen-Haushalten heran, sprich das Einkommen wird nicht auf Haushalts- sondern auf Personenebene betrachtet, verdoppelt sich das Armutsrisiko von diesen Frauen auf 30 Prozent, wie das Momentum Institut in einer Aussendung zeigt.

Frauen insgesamt und nicht-alleinlebende Frauen haben ein deutlich höheres Armutsrisiko als Männer. Hinzukommt: Während das hiesige Steuer- und Sozialleistungssystem das Armutsrisiko von alleinlebenden Männern, als auch von jenen in Haushalten mit anderen um jeweils 24 Prozentpunkte reduziert, ist das bei Frauen nicht der Fall. Das Armutsrisiko von Frauen insgesamt reduziert sich durch das Steuer- und Sozialleistungssystem um 26 Prozentpunkte. Bei Frauen, die mit anderen leben, reduziert sich das Armutsrisiko aber lediglich um 21 Prozentpunkte.

Doch nur weil Personen gemeinsam in einem Haushalt leben, bedingt das nicht zwingend, dass das gesamte Einkommen geteilt wird. Diese Realität ignorieren aktuelle Berechnungsmethoden zum Armutsrisiko gänzlich. Dennoch werden diese Indikatoren aber von der Politik zur Ausgestaltung zentraler Elemente unseres Lebens, wie etwa dem Sozialstaat, herangezogen. Diese politische Entscheidung lastet schwer auf den Schultern von Frauen im Land. 

Sozialstaat mangelhaft für Frauen in Erwerbsarbeit

Eine genauere Betrachtung des individuellen Armutsrisikos von nicht-alleinlebenden Frauen nach Erwerbsstatus und Kindern im Haushalt zeigt zudem: Während der Sozialstaat besonders für Pensionistinnen eine wichtige Rolle spielt, um ihr Armutsrisiko zu reduzieren, zeigt er große Schwächen bei nicht-alleinlebenden Frauen in Teilzeitarbeit (<20 Wochenstunden, minus 6 Prozentpunkte) und vollzeitbeschäftigten Frauen (minus 2 Prozentpunkte). Für selbständig erwerbstätige Frauen, die in Mehrpersonen-Haushalten leben, steigt das Armutsrisiko durch das Steuer- und Sozialsystem sogar (plus 4 Prozentpunkte). Im Erwerbsleben ändert das Steuer- und Sozialleistungssystem also wenig am Armutsrisiko von Frauen, die nicht allein leben. Haben Frauen mehr als drei Kinder, reduziert der Sozialstaat ihr Armutsrisiko weniger stark (minus 6 Prozentpunkte), als mit nur einem Kind (minus 7 Prozentpunkte).

Die zentrale Rolle von Familienleistungen und einkommensunabhängigen Sozialleistungen

Die einzelnen Komponenten des Steuer- und Sozialleistungssystems tragen unterschiedlich zur Armutsrisikoreduktion von nicht-alleinlebenden Frauen und Männern bei. Während bei Männern in Mehrpersonen-Haushalten vor allem das Arbeitslosengeld eine Rolle für die Armutsreduktion spielt, sind es bei Frauen, die nicht allein leben, vor allem die Familienleistungen. Ganz besonders gilt das für teilzeitbeschäftigte Frauen (<20 Wochenstunden, minus 7 Prozentpunkte beim Armutsrisiko) und inaktiven* Frauen (minus 9 Prozentpunkte). Der Grund: Mehr als die Hälfte der Frauen in Mehrpersonen-Haushalten bezieht Familienbeihilfe und diese Sozialleistung (wie auch das Kinderbetreuungsgeld) wird einkommensunabhängig ausbezahlt. Im Gegensatz dazu bleiben viele Sozialleistungen aufgrund der „Haushaltsanrechnung“ für nicht-alleinlebende Frauen unzugänglich – weil ihre Partner zu viel Einkommen aufweisen, sind sie gar nicht erst anspruchsberechtigt.

Gleichzeitig wirken sich Steuer- und Sozialversicherungsbeiträge negativ auf das Armutsrisiko aus, sprich es steigt. Auch hier ist der Effekt stärker für nicht-alleinlebende Frauen als für Männer: Ihr Armutsrisiko steigt um 2,3 Prozentpunkte, während jenes für nicht-alleinlebende Männer um nur 0,8 Prozentpunkte steigt. Besonders stark ist der Effekt bei Frauen in Teilzeitbeschäftigung zu sehen: Ihr individuelles Armutsrisiko erhöht sich durch das Steuer- und Abgabensystem um fast 5 Prozentpunkte.

Die Ergebnisse der Studie machen deutlich, dass das Armutsrisiko von Frauen, die mit anderen zusammenleben, systematisch unterschätzt wird und hinter den oft deutlich höheren Partnereinkommen versteckt bleibt. Weil das Partnereinkommen für viele Sozialleistungen angerechnet wird, haben viele dieser Frauen keinen Anspruch auf Leistungen des Sozialstaats. Weiters zeigt die Studie, dass Reformen im Steuer- und Transfersystem der letzten zehn Jahre das individuelle Armutsrisiko von Frauen tendenziell erhöht haben – die kommende Sozialhilfereform droht diesen negativen Trend fortzuschreiben. Für nicht-alleinlebende Frauen bedeutet das konkret: Wer über kein eigenes existenzsicherndes Einkommen verfügt, aber mit einem besserbezahlten Partner zusammenlebt, bleibt von sozialer Unterstützung ausgeschlossen – selbst, wenn sie über kein eigenes Geld verfügen. Die Reform stärkt damit das männliche Ernährer-Modell und vertieft finanzielle Abhängigkeiten, anstatt Frauen abzusichern oder eigenständige Existenzmöglichkeiten zu schaffen.

Gerade in Zeiten, in denen Frauen überdurchschnittlich häufig in Teilzeit arbeiten, immer noch viel geringere Löhne bekommen als Männer und gleichzeitig nach wie vor den Löwenanteil der unbezahlten Sorgearbeit stemmen, ist eine solche Reform ein klarer Rückschritt.

 

*  Inaktive Personen sind Personen in Ausbildung, Personen mit dauerhafter Behinderung, arbeitsunfähige Personen, Personen im Militär- oder Zivildienst sowie Personen mit Pflegeverantwortung oder anderen häuslichen Aufgaben.

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